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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Münchner Festspiel-Liederabende: Anja Harteros gibt die Dame, Günther Groissböck gibt sich hin

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Lied, kleines Ding, das uns entzückt. Immer seltener zu finden während der Saison, hat es sich doch längst auf die Spezialfestivals wie Schubertiade oder Heidelberger Frühling zurückgezogen. Dankenswerterweise aber wird der Liederabend noch gepflegt bei den Salzburger wie Münchner Festspielen, beide freilich teilen sich auch den Längst-Nicht-mehr-Sänger Rolando Villazón, verkaufen ihn mit spanischen Canzones zu Höchstpreisen. Und nobilitieren so nur seinen fortgesetzten, ja, Publikumsbetrug. So wie auch das 50. Bühnenjubiläum von Edita Gruberova, als große Gala in Glitzerrobe gefeiert, wo man ihr doch in München schon vor fünf Jahren den letzten Vorhang fallen lassen wollte, für manchen, der sie sich glücklich erinnernd in frischeren Tagen erleben durfte, eher in der Rubrik Kuriosa und Monstrositäten abgelegt werden wird. In München hat man aber dieses Jahr zudem Elisabeth Kulman mit einen Spezialitätenprogramm im Körbchen; dazu – mit Liederabenden ganz traditioneller Art – Krassimira Stoyanova, Christian Gerharher (für den in Bayreuth unerwartet Lohengrin-Dienst verrichtenden Piotr Beczala) sowie zum Auftakt Anja Harteros und Günther Groissböck, beide ebenfalls in Bayreuth am Vokalwerk – und von höchst  unterschiedlicher Anmutung.

Anja Harteros bittet ins Nationaltheater, das sie auch füllt, und macht da weiter, wo sie bei ihrem letzten Münchner Festspielrezital vor vier Jahren aufgehört hat: bei Franz Schubert und Johannes Brahms. In schwarzer, oben herum glitzernder Robe gibt sie sich so huldvoll altmodisch wie distanziert. Sei es ihre zu probierende Elsa in Bayreuth (wo sie ebenfalls relativ spät eingestiegen ist) oder die gerade absolvierte Münchner Arabella, sie bleibt diesmal arg in der Komfortzone, die Stimme klingt leise und verhalten, aber sie zwingt ihr Publikum nicht in den Fokus auf sich selbst.

Fotos: Winfried Hösl

Jeweils zwei Liedgruppen widmet sie den jeweiligen Komponisten, und immer erst in den letzten beiden der jeweiligen Hälfte („Du bist die Ruh“ und „Im Frühling“ bei Schubert, bzw. „Der Gang zum Liebchen“ und „Von ewiger Liebe“ bei Brahms) macht sie auf, dreht sie am Volumen und verlangsam gleichzeitig fast schon manieriert die Gangart. So freilich entsteht eine aparte Intensität ganz eigener Art. Hell und fein, aber arg zurückhaltend wird der Rest ein wenig zu sehr abgespult. Obwohl es zum Teil sehr populäre Titel sind, hat Harteros das Notenpult vor sich stehen. Ihr wackerer Begleiter Wolfram Rieger wirkt beim Verbeugen so leicht sediert wie der ganz späte Götz Friedrich. Nicht einmal die beiden, nun endlich als kostbare Bijoux glitzernde Zugaben (Brahms’ „Dein blaues Auge“ und „Guten Abend, gut’ Nacht“) werden angesagt. Ein Blumenstrauß vom Haus ist nicht mal in der Festspielsaison vorgesehen. Ein irgendwie unterkühlt-eleganter Abend mit einer eher routinierten Sopranistin unter ihren raffinierten Möglichkeiten.

Alles gibt hingegen im ebenfalls sehr gut gefüllten Prinzregententheater Günther Groissböck. Er gibt sich hin. Aber wissentlich und kontrolliert. Bis hin zum rustikal italianisierten, ein wenig müde-trockenen „Core ’ngrato“, dass dann bei Tenören eben doch trotz Drama mehr Leichtigkeit verströmt. Bassisten-Abende sind rar und ein so guter, wunderbar frei strömender, perfekt fokussierter eine absolute Seltenheit. Der Niederösterreicher ist eine Naturbegabung auch auf dem Konzertpodium. Bei seinem von Christian Gerharher ausgeliehenen, hochsensibel reagierenden Klavierpartner Gerold Huber ist er bestens aufgehoben. Die beiden haben eine spontane Chemie, pflegen die direkte Interaktion. Groissböck, erst ein Stock von Kraftlackl im Frack mit gefalteten Händen, wird immer lockerer, geschmeidig, tänzelt, geht in die Knie, versinkt in der Flügelbeuge. Da verschmilzt jemand mit dem Notenstrom, setzt Töne in Bewegung um – und bewegt mit seinem natürlichen, uneitlen, dabei wachen, individuell dramatisierten, trotzdem in jeder Silbe verstehbaren Vortrag.

Er beginnt mit den herben Vier ernsten Gesängen von Johannes Brahms. Da sitzt jede Note, jedes Wort, nichts ist überpointiert, man folgt dem Vortragenden gebannt. Sehr gut zusammengebunden und doch sauber voneinander abgesetzt folgt Robert Schumanns Liedkreis als Leuchten einer haselnussfarbenen Stimme, die kantig und weich sein kann, hell eingefärbt ist, oder dunkel lockt. Minutiös und trotzdem zwanglos wechselt Groissböck zwischen Eintrübung und Aufheiterung, Eichendorffs romantisch-melancholische Naturlyrik findet ihre vokal vollkommene Entsprechung; durch die tiefe Stimmlange sogar noch dringlicher und nachdrücklicher.

Nach der Pause, ebenfalls auswendig, russische Romanzen von Peter Tschaikowsky und Sergej Rachmaninow, melodiesatte Klangflächen, bisweilen wendig („Ständchen des Don Juans“), aber meist langsam und wohlig alle Resonanzräume diese fein flutenden Stimme auskostend. Das klingt perfekt idiomatisch, etwa in dem großflächig dahingeworfenen „Singe nicht, du Schöne“. Groissböck weiß, obwohl man ja nichts versteht, zwischen den verschiedenen lyrischen Ichs zu differenzieren. Er setzt herrlich schwarze Töne, erweist sich aber als bis zu letzten Note fesselnder Erzähler. Das Publikum geht mit diesem Naturtalent begeisternd mit, und klar, dass als erste Zugabe noch eine, jetzt wieder deutsche, klangvolle Short Story folgt: Schuberts „Erlkönig“.

Ein toller Abend, aber man ist nicht wirklich überrascht, hat Günter Groissböck doch nach einer machtvoll-tiefen „Winterreise“ unlängst bei der Decca seine zweite Lied-CD vorgelegt. Und da geht es richtig zur Emotionssache. Natürlich wieder mit dem tastenfeinen Gernot Huber. Promotet mit einem getragenen Schwarzweißvideo, wo die Wellen an das Bootshaus am Ufer eines winterlichen Sees schlagen, nennt er die jüngste Scheibe  HERZ-TOD „eine Art künstlerisches Glaubensbekenntnis“. Das freilich ist ein explizit düster-melancholisches. Obwohl der passionierte Radfahrer Groissböck eigentlich ein durchaus heiterer Mensch ist. Doch Brahms’ Vier ernste Gesänge, der Michelangelo-Zyklus von Hugo Wolf, Wagners sonst meist von Frauen interpretierte Wesendonk-Lieder oder die Rückert-Lieder Gustav Mahlers, gipfelnd im hier schön vokal ausgesponnenen „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ – das ist die volle Traurigkeit des 19. Liedjahrhunderts. Die Groissböck aber so souverän gestaltet, dass man nicht völlig im Tränensee wegsuppt. Es mag ein wenig ans Herz greifen, aber Sterben muss nach dem Genuss dieser CD keiner. Wir warnen aber vor leicht schattigen Nebenwirkungen.

Der Beitrag Münchner Festspiel-Liederabende: Anja Harteros gibt die Dame, Günther Groissböck gibt sich hin erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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