Wie entspannt man sich zwischen „Macbeth“ als professioneller Opernaufführung und dem derselben Verdi-Oper gewidmetem Dirigentenkurs? Riccardo Muti tut das mit einem Konzert seines Jugendorchesters Luigi Cherubini, welches er dem großen Geigenvirtuosen Ruggiero Ricci dediziert. 50 Jahre Verbundenheit mit dem Maggio Musicale hat der Maestro (ihn traut man sich noch, so zu nennen) mit seinem, die dortigen Vokal- und Instrumentalkollektive nutzenden „Macbeth“ eben zu feiern gewusst. Und 100. Geburtstag hätte der 2012 gestorbene Violinist dieses Jahr am 24. Juli gehabt. Der ja, entgegen seines Namens, ein waschechter Kalifornier gewesen ist. Was wunderbar in das ambivalente, von Washington aus das gerade mit den Füßen getretene Bürgerrechts-Amerika des vor 50 Jahren erschossenen Martin Luther King passt, dem sich das diesjährige Ravenna Festival unter dem Motto „I have a dream“ widmet. Und trotzdem hatte gerade der Westcoastler Ricci zeitlebens eine besondere Vorliebe für Niccolò Paganinis Geigenspezereien. Deshalb spielt jetzt beziehungsreich der Wiener philharmonische Geiger Wilfried Hedenborg, der bei Ricci am Salzburger Mozarteum studierte, im Teatro Alighieri das vierte Paganini-Konzert. Mit etwas stählernen, dürren, gleichwohl brillant gläsernen Ton, der stetig offenbart, wie sich hier höchste Virtuosität und harmonische Banalität die Waage halten.
In den Proben hatte Muti seinem Orchestra Giovanile dauernd klar machen müssen, dass gerade diese Simplizität besonders sorgfältig exekutiert werden muss, damit sie wirkt: „Ich weiß, das ist langweilig, aber tut bitte, so als wäre es anspruchsvoll“. Was auch geschieht. Nur schade, dass dem sehr guten Solist das letzte Quentchen Rattenfängertum fehlt, das diese Musik eben nicht nur solide erscheinen lässt, sondern zum Blubbern bringt. Das freilich tat vorher – solamente Italia in der ersten Programmhälfte – Rossinis reife, aber eben leider nicht authentische Ouvertüre zu „Il Viaggio a Reims“, jener verloren geglaubten Krönungsopernkantate, die 1984 in Pesaro Claudio Abbado wieder ausgraben durfte. Obwohl auch die in den Proben noch mehr glitzerte und keckerte. Im Konzert geht Muti auf Nummer sicher, wollte vor allem, dass es schön und präzise klingt. Was es tut. Eine Musterübung in Stilistik.
Vorher übrigens gefragt, warum er selbst eigentlich 1995 genau dieses 4. Paganini-Konzert mit dem eher dünn und spröde tönenden Gidon Kremer aufgenommen habe, weiß Muti ebenso dünnlippig nur zu entgegnen: „Die Plattenfirma wollte es so.“ Ok und Kremer hatte immerhin 1969 den Paganini-Wettbewerb in Genua gewonnen und 1983 spielte er den Teufelsgeiger Capricci heruntersäbelnd höchstselbst in Ulrich Schamonis vor allem besetzungskuriosem Schumann-Biopic „Frühlingssinfonie“. Schließlich verkörpern in dieser schon wieder komischen Schmonzette auch Herbert Grönemeyer Robert und Nastassja Kinski die Clara; ganz zu schweigen von André Heller als Mendelssohn.
Zurück nach Ravenna. Da gibt es in der zweiten Konzerthälfte wie zum Ausgleich Beethovens 7. Sinfonie. Als Musterstück, wie ein wissender Meister ein klanglich ein wenig flaues, auch energetisch kurzatmiges Jugendorchester gut tönen lässt. Den ersten Satz hat er akribisch durchgearbeitet, die feierlich-rhythmische Kondukt-Exegese des Allegretto überlässt er hingeben dem eigenmächtig dahinlaufenden Kollektiv. Um im Scherzo wieder beherzt zu gliedern, wo, wie auch Finale, deutlich wird: Hier geht es gar nicht so sehr um Interpretation, denn um Bewältigung. Denn was nützt ein eigenwilliger Ansatz, wenn die meisten Musiker noch nicht einmal verstanden haben, wie überhaupt nur die Noten tönen?
Das ist Zurücknahme und weise Pädagogik in einem. Man muss wohl so alt und erfahren werden, um sich an den richtigen Stellen fast unsichtbar machen zu können. Gut für die jungen Instrumentalisten, solches mit so einem Dirigenten zu lernen. Der übrigens selbst von sich sagt: „Ich war an jungen Leuten eigentlich nicht so sehr interessiert. Bis mir klar wurde, dass ich verpflichtet bin, meine Erfahrungen weiterzugeben, Jüngere daran teilhaben zu lassen, wie es mir Antonino Votto beigebracht hat. Dann wollte ich es richtig machen und habe das Cherubini-Orchester gegründet. Auch um mich selbst in die Pflicht zu nehmen.“ Was er, man hörte es hier sehr fein, bis heute tut.
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