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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Jean-Guihen Queyras: Ich will es farbenfroh und verschieden“

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Er ist fleißig im Plattenstudio gewesen in letzter Zeit. So sind von dem in Montreal geborenen, in Freiburg lebenden französischen Cellisten Jean-Guihen Queyras jüngst die Brahms-Cellosonaten mit seinem langjährigen Klavierpartner Alexandre Tharaud als Labelgast bei Erato erschienen. Sein Hauslabel harmonia mundi hat frisch-fluffige Cellokonzerte und eine Sinfonie von Carl Philipp Emanuel Bach mit dem Ensemble Resonanz unter Riccardo Minasi herausgebracht, und im Herbst folgen dort Cellosonaten von Antonio Vivaldi.

„Ich bin mein Leben lang in alle Richtungen gegangen“, so charakterisiert der immer noch bubenhaft wirkende 51-Jährige diese bunte Mischung. „Ich brauche das, die Befruchtung und auch das Auseinanderdriften. Ich will es farbenfroh und verschieden. Besonders gern arbeite ich deshalb auch an Uraufführungen, da sind ja schon einige für mich komponiert worden, etwa von Gilbert Amy, Philippe Schoeller, Bruno Mantovani, Ivan Fedele und Thomas Larcher Konzerte und Solosonaten sowie eine Hommage à Boulez von Jörg Widmann. Natürlich gibt es auch diverse neue Projekte…

Ja es stimmt, meine Karriere hat sich inzwischen mehr nach Deutschland verlagert. Das kommt sicher durch meines neues Management, und das dort – natürlich kein Zufall – auch gemeinsame Freunde und Musizierkollegen sind – Isabelle Faust und Sasha Melnikov. Mit Alexander spiele ich im Duo Beethoven, gemeinsam bilden wir ein Trio. Denn Management wie Plattenfirma versuchen, Freundschaften zu animieren. Mit Isabelle ist es quasi genetisch, wir sind wie zwei Geschwister von der Bogenführung angefangen, über Geschmack, Vibrato-Einsatz. Wir sind sehr ähnlich veranlagt, es hat sofort Klick gemacht, wurde nie langweilig, wir müssen nicht viel diskutieren. Es geht immer um die gleichen Werte, deshalb freue ich mich auf jede Gelegenheit, mit Isabelle zu musizieren.

Photos: Marco Borggreve

Unser Schumann-Projekt mit Konzerten und CDs, die Trios zusammen und die Konzerte nacheinander, das war sehr besonders. Auch mit dem Freiburger Barockorchester, das wir alle drei gern mögen. Wir hatten die Trios schon zusammengespielt, aber nach den intensiven Konzerten die Aufnahmen, das war nochmal eine Steigerung, wir waren wirklich in the Schumann mood. So vieles ist klarer geworden, hat uns diesem Komponisten noch näher gebracht. Wir haben dabei auch untrepretatorisch Entscheidungen getroffen, bei denen man nicht alle glücklich machen kann, aber wir waren sehr happy damit. Und sehr viele Hörer auch.

Live-Konzerte und CDs, ich bemühe mich das zusammenzubringen, aber harmonia mundi macht da nicht so viel Druck. Ich kann auch sehr viel vorschlagen. Einmal hatten sie den Wunsch nach Cellokonzerten von Vivaldi, und auch die Bach-Suiten-CD hat harmonia-mundi-Chefin Eva Coutaz angeregt, das kam dann zum Glück zum richtigen Zeitpunkt. Gerade spiele ich die Bach-Suiten ja wieder für das ungewöhnlichen Tanzprojekt mit Anne Teresa de Keersmaeker. Sie hat dabei sehr viel von mir aufgenommen, den Klang aber auch die Dramaturgie, wie ich mich bewege, wie ich jeweils die sechs Sätze angehe, wie jeden einzelnen. Das macht die Qualität ihrer Choreografie aus, es ist auf mich zugeschnitten, nicht nur auf die Komposition. Ich bin also in ihre Choreographie eingeschrieben. Wir haben das schon über 20 Mal gespielt, aber es ist immer noch komisch für mich, weil sich in dieser szenischen Version mein Gravitätszentrum verschoben hat. Ich bin quasi verlängert worden, habe Kammermusikpartner. Da ist es dann  ganz seltsam, die Balance wieder zu finden, wenn ich sie wirklich nur solo spiele.

Ich finde das Projekt „Mitten wir im Leben sind“ sinnvoll, es gibt Stellen, wo der Tanz das Vorrecht hat und Moment, wo ich allein agiere. Ich bin gern Teil eine Truppe, die mal nicht aus Musikern besteht, das ist ein schönes Gefühl. Ich wollte sehr gern was mit ihr machen, Bernard Foccroulle, unser gemeinsamer Freund, hat uns dann zusammengebracht. Sie wollte sowieso was Neues von Bach machen, eigentlich standen die Brandenburgischen Konzerte an, das hat sie jetzt verschoben, es kommt im September in Berlin an der Volksbühne heraus, um mit mir die Suiten zu machen. Und sie wollte auch unbedingt selbst mittanzen. Ich bin sehr dankbar dafür. Das ist eine Gnade, weil sie eine so besondere Ausstrahlung hat. Wir arbeiten jetzt hart, unsere Kalender dafür immer wieder zu synchronisieren. Wir denken auch durchaus über ein Folgeprojekt nach, auch wenn das natürlich noch definiert werden muss.

Aktuell bin ich aber natürlich auf mein eignes Festival Rencontres Musicales de Haute-Provence konzentriert, das am 21. Juli schon zum 30. Mal gestartet ist. Das geht neun Tage, von Samstag bis übernächsten Sonntag. Angefangen damit haben ich und mein Bruder, der Geiger ist, als wir noch Studenten waren. Der Impuls kam von meinen Eltern, um uns Gelegenheit zum Spielen zu geben, und um die Musik dorthin zu bringen, wo sie für gewöhnlich nicht ist. Am Anfang waren wir ein wenig wie fahrende Gesellen, sind während des Festivals von einem Dorf zum nächsten gezogen. Der größte Erfolg ist immer der langen Nachmittag in der Kathedrale von Forcalquier, das sind fünf Stunden Musik, sehr informell. In der ersten Reihe gibt es Kissen für die Kinder, man kann Kommen und Gehen.

Mit zunehmenden Alter sind wir freilich ein wenig ruhiger geworden, auch weil es für das Team wahnsinnig viel Logistikarbeit war. Jetzt spielen wir nur noch an insgesamt frei Orten: Drei Konzerte in einer Abtei, le Prieuré de Salagon, nicht weit weg, die ist ein magischer Ort, aber mit nur wenig Platz. Für die drei letzten Konzerte gehen wir dann Open Air wieder in einen Klosterkreuzgang in Forcalquier.

Die Musiker kommen aus Freundschaft, es gibt lächerlich wenig Geld. Stammgäste sind meistens wir vier von meinem Arcanto Quartet, Antje Weithaas, Daniel Sepec und Tabea Zimmermann. Natürlich auch Alexandre Tharaud, früher war auch Silke Avenhaus viel da. Dieses Jahr ist alles ein wenig um Kristian Bezuidenhout zentriert, für den wir in der Gegend sogar einen schönen Pleyel-Flügel von 1830 aufgetrieben haben. Ich frage immer jeden Teilnehmer nach seinen Wünschen. Wir hatten auch fast immer einen Composer-in-Residence da, Mantovani, Schoeller, Jarell, dieses Jahr ist es Tristan Murail. Das Publikum ist etwa zur Hälfte lokal oder von auswärts. Es kommt aus ganz Europa, manche buchen schon ein Jahr im Voraus ihr Hotelzimmer!

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