Die Kinder jubeln und schreien, hin und her gerissen zwischen ein wenig Angst und Begeisterung. Denn die Riesen sind so bedrohlich, dazu der fiesen Hagen, das züngelnde Rauchfeuer, die kariösen Pappzähne des monströsen Drachenmauls. Auf der Bayreuther Probenbühne IV ging gerade zum 10. Mal die Kinderoper in Szene, der „Ring des Nibelungen“, so klug wie pädagogisch wertvoll auf zwei statt 16 Stunden gekürzt und gewollt realistisch mit allen bewährten Theatermittel inszeniert, hat dort bereits seinen zweiten Inszenierungslauf. Tausende von möglichen späteren Wagner-Fans haben – bisweilen auch von überehrgeizigen Eltern da hineingeschoben – bereits die hysterisch überbuchten Vorstellungen dieser kleinen, sehr charmanten und höchst effektiven Schwester der Bayreuther Festspiele besucht und beklatscht. Und während ein paar hundert Meter weiter oben am Grünen Hügel nicht selten die Lust am Skandal, oder zumindest am Buhkonzert zelebriert wird und ja sowieso früher alles besser war, ist hier die Freude immer groß und ungetrübt. Dabei sind die kleinen Gäste die unbestechlichsten Besucher.
Tags zuvor hatte es bei den großen, den 107. Festspielen die bereits obligatorische, von der im Prinzip auch bereits nach bisherigem Vertragsende 2020 fest im Sattel sitzenden Chefin Katharina Wagner souverän und ohne besondere Vorkommnisse geleitet. Die ließ ihre neue, heftig pubertierende englische Dogge Bruno zu Hause, aber Mops Smilla, Gefährte des Künstlerpaares Rosa Loy und Neo Rauch, machte am Bein des Musikdirektors Christian Thielemann brav Männchen. Bayreuth 2018 – total auf den Hund gekommen. Und daneben grinste sich „Lohengrin“-Regisseur Yuval Sharon eines. Die Absage von Tenor Roberto Alagna zwei Tage vor Probenbeginn, der schnelle Ersatz Pits Beczala, der gar keiner ist, waren kein Thema mehr. Da war nur von Inszenator als von „unserem Sonnenschein“ die Rede, und das Ausstatter-Duo wähnte sich hier wie in einem „Kindergeburtstag“, wo einem alle Wünsche von den Lippen abgelesen würden.
Selten war vor einer Bayreuther-Neuproduktion so viel Harmonie. Thielemann, der jetzt mit 164 Vorstellungen (am Ende des Sommers) und allen kanonisch hier gespielten Wagneropern selbst die bisherigen dirigentischen Rekordhalter Daniel Barenboim und Felix Mottl geschlagen haben wird, warnte höchstens vor dem hier „gefährlichen“, weil schwierig zu schlagenden „Fliegenden Holländer“: „Da wird es schnell zu laut.“ In den „Meistersingern“ des letzten Jahrgangs hat Regisseur Barrie Kosky im etwas zu langweilig geratenden zweiten Akt den grünen Rasen im Nürnberger Gerichtsgebäude durch Wagners zusammengestellte Möbel ersetzten lassen. Bei der Generalprobe gab es sehr seltene Standing Ovations.
Längst bekannt ist, dass es 2019 einen neuen „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer geben wird. Es dirigiert Valery Gergiev, der Vielbeschäftigte, dem man einen zeitlich rigide definierte Vertrag vorgelegt hat, es singen Stephen Gould, die norwegische Sopranhoffnung Lise Davidsen, Ekatarina Gubanova, Markus Eiche und Stephen Milling. Anna Netrebko hat für zwei „Lohengrin“-Vorstellungen als Elsa unterschrieben. Sicher, wenn auch noch nicht offiziell bestätigt, ist auch schon die neue „Ring“-Besetzung 2020 mit Tatjana Gürbaca (als zweiter Regisseurin nach Katharina Wagner), Daniele Gatti am Pult und Günther Groissböck als Wotan-Debütant. Bei der Pressekonferenz gesichtet wurde auch die Dirigentin Susanna Mälkki. Könnte das die erste Frau im mythischen Abgrund werden? Katharina Wagner will natürlich auch ihre Gender-Hausaufgaben gemacht haben.
Viel zu feiern gibt es zudem (bei 30 Prozent im Preis steigenden Premierenkarten). Dieses Jahre wäre Wagner-Enkelin Friedelied 100 Jahre alt geworden. Nächstes Jahr wird der 100. Geburtstag von Wolfgang Wagner mit einem Festakt begangen, deswegen wird der 150. Geburtstag des ewig zu späten Wagner-Sohns Siegfried erst 2020 zelebriert. Und 2026 stehen 150 Festspieljahre seit 1876 an. Bis dahin, so hofft man, sollen alle Liegenschaften renoviert sein.
Weiter geht auch die dramaturgische Seitenlinie „Diskurs Bayreuth“. Zum letztjährigen Thema „Wagner und der Nationalsozialismus“ sind die Referate in Buchform erschienen, dieses Jahr hat die Kuratorin Marie Luise Maintz unter dem Motto „Verbote (in) der Kunst zu Vorträgen und Konzerten geladen. Feridun Zaimoglu eröffnet, nächstes Jahr will er hier ein Stück über Siegfried Wagner uraufführen. Diese Jahr aber gab bei den Bayreuther Festspielen bereits die erste Musiktheater-Novität seit dem „Parsifal“ 1882: „der verschwundene hochzeiter“ von Klaus Lang in einer technisch tricky Regie von Paul Esterhazy. Das aus 90 Minuten gefühlten Gamelanglocken-Liegeobertönen sich fügende Stück wurde atmosphäresatt im ehemaligen Stummfilmkino Reichshof gegeben. Dirigentenlos spielte das im Raum verteilte Ictus Ensemble, darunter mischten sich wortlos die Stimmen des Cantando Admont. Unsichtbar sangen Alexander Kiechle und Terry Wey den Hochzeiter und den Fremden, welcher ersteren 300 Jahre lang als Seelenbefreier entführt, bis dieser in eine fremde Welt zurückkehrt und zu Staub zerfällt. Mit ihren eigenen Hologrammen spielten die Tanzzwillinge Jiri und Otto Bubenicek in alpenländischer Tracht traumwandlerisch präzise im zeitlupenhaften Immersions-Quartett.
Das hätte ruhig ein wenig kürzer sein können, hatte aber meditative Magie. Keine Minute missen wollten alle hingegen vom „Kinderring“. Da versteckt sich der schlimme Reif in Fafners Goldzahn, Wotan spuckt und sucht seine Brünni, Fricka wachsen die Widderhörner schon aus den Ohren, Siegmund und Siegfried sind ein Tenor (ist ja auch dessen Sohn), die Rheintöchter wogen und weiern zwischen Satinfalten, der Waldvogel ist ein Monsterkolibri und überhaupt ist es wunderbar, wenn der 1. Akt „Siegfried“ in acht Minuten und die „Götterdämmerung“ eigentlich nur aus dem 3. Akt besteht. Und trotzdem fast nichts fehlt, es famos gespiekt und gesungen wird. Und mitten in den Erlösungsschluss hinein schreit ein Steppke „Mama“. Supersüß, diese Bayreuther Puppenkiste
Kein Zweifel, Katharina Wagner, ebenfalls seit zehn Jahren hier an der Macht, ist über den Hügel: Bayreuth hat Zukunft. Und der „Lohengrin“ wird sicher auch was. Irgendwie.
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