Tintenblauschwarz. Orange. Und am Ende ein fieses überflüssiges Grün. Das sind diesen Sommer die neuen Bayreuther „Lohengrin“-Farben. Neo-Rauch– und Rosa-Loy-Töne. Ein gemalter Operntraum. Mit Rundhorizont, Radiatoren, Strommasten, Kabelsträngen. Die Moderne im romantischen Tableau. Wo ganz viel durcheinandergeht an Stilen und Epochen. Und trotzdem zueinanderpasst. Weil es sich bricht und reibt, man immer neue Details entdeckt. Hier werden Hexen noch auf den Scheiterhaufen gestellt, erst Elsa, dann Ortrud. Gerettet werden beide. In was für eine Zukunft? Elsa, die blaustrümpfig blaugespült Ondulierte, trägt jetzt Orange und schnürt den Tornister. Ortrud, die böse Feenkönigin mit den Flügelchen, schaut verdutzt. Und Gottfried, das grüne Erbenerbsenetwas von Brabant, ist das der Froschkönig oder die Absinthmuse? Wir wissen es nicht, es ist auch wurscht. Weil alles vorher so schön war. Die Protagonisten sind lauter Motten auf dem Weg zur Lichtmaschine. Vormärz und Frühmoderne mischen hier, genauso wie Rembrandtkragen, Babystrampler, strenges Krangenschwester- und Hausdamenoutfit. Dazu wird stummfilmhaft in großer Gestik agiert, oder man friert in der Ecke ein.
Regisseur Yuval Sharon, aber irgendwie kann man das Inszenierungsquartett (auch Beleuchter Reinhard Traub zählt dazu), nicht trennen, fügt sich ein, macht sich klein, unterläuft und kommt große raus. Mit subtilen Parodien und grotesken Gesten. Man spielt Tableau und bricht es gleich wieder. Statt der Kombattanten im Gotteskampf fliegen hier Kinder mit Laserschwertern durch die Luft. Kommt Lohengrin, stellt sich auf der Energiezentrale ein weißer Schwan-Tarnkappenbomber auf, und es blitzt und brodelt, wie in der „Rocky Horror Picture Show“ wenn Frank’N’Furter den sweet transvestite gibt. Hier aber kommt nur – „Flieger, grüß mir die Sonne“ – Piotr Beczala als Tenor-Heilsbringer im Mechanikeroutfit, und versucht zu reparieren. Freilich mit einer wunderfeinen Stimme, biegsamer Alukern, von Bittermandeltönung umhüllt. Selten sang einer die Gralserzählung gebückter und entrückter, trauervoll, schon nicht mehr von dieser Welt
Anja Harteros’ Elsa braucht den ersten Akt, um sich frei und auf Tonhöhe zu singen, auch später bleibt sie etwas reserviert. Im Dreißigerjahre-Brautgemach (angeblich nach einem realen, noch benutzten Vorbild) zückt sie mit ihrem längst auch angerüschten, beflügelten Lohengrin die Bibel. Oder ist es der Kinsey-Report? Ein bisschen Bondage folgt später. Vorher schon stand sie, anfangs des zweiten Aktes, zwischen hin und hergeschobenem Pappschilf, in einem reizenden Türmchen, fast so wie auf dem Elbdeich bei Dessau. Und plötzlich hat sie die betörende Ortrud (Waltraud Meier zieht alle noch nicht eingerosteten Register) an der Hand, jetzt könnte noch alles gut werden, doch die grandiosen, ein wenig zickigen Damen entgleiten einander.
Wunderschön sehnsüchtig ist das anzusehen, und mit einer kleinen Träne dirigiert Christian Thielemann es. Ganz famos. Er nämlich blättert auch klanglich das „Lohengrin“-Bilderbuch auf, behend, nie übereilt, genießerisch. Er erzählt mit Noten, dramatisch fein abgeschmeckt, ohne jede Effektäußerlichkeit. Georg Zeppenfelds blaublütig tönender König Heinrich, der wortverständnislos blaffende Tomasz Konieczny und der aufgepumpte Heerrufer von Egils Silins fügen sich da trefflich in Klangfarbenbild. Das geigenzart strahlende im Blech wunderfein abgetönte Orchester folgt hinreißend, ebenso die geschmeidigen, nuancensatten Chöre Eberhard Friedrichs.
Fliegen statt Ratten also diesmal auf dem blauen, nicht grünen „Lohengrin“-Hügel. Die am Ende kultig geliebte Hans-Neuenfels-Produktion aus dem kühl analysierten Leben der Versuchstiere, hat eine versponnen-kulinarische, im Wimmelbildchen sein Wagner-Heil suchende Fortsetzung bekommen. In der Welt am Sonntag mehr!
Der Beitrag Der neue Bayreuther „Lohengrin“: neoromantische Wimmelbildchen mit frühmodernem Verwirrgestus erschien zuerst auf Brugs Klassiker.