So eben gehen Festspiele, Salzburger Festspiele. Man schlendert durch eine der schönsten Städte der Welt (wenn man es schafft, mental die immer dichteren Touristenhorden auszublenden) und geht vor der Felsenreitschule vorbei an einer erwartungsfrohen Menge, die gleich in die „Salome“-Generalprobe darf, auch einige neugierige Sänger sind darunter. Doch es gibt ja nicht nur die Richard-Strauss-Variante. Und wenn es Intendant Markus Hinterhäuser (dem – auch das ist Salzburg – eben noch seine Frau die vergessenen, frisch gereinigten Hemden für den schweißtreibenden Job den Mönchsberg hinunterträgt) auch nicht geschafft hat, wenigstens konzertant Jules Massenets „Herodiade“ zu terminieren, so hören wir stattdessen im entenkükengelben Mozarteum-Saal auf der anderen Salzachseite „San Giovanni Battista“, ein 70-minütiges Oratorium des eben vehement wiederentdeckten Alessandro Stradella. Das hat in fast atemloser Kürze sehr viel melodisch flammende Würze: 44 Nummern wunderbar variantenreicher Barockmusik, mit ins ariose sich weitendenden Rezitativen und mal mit Dacapo-Teilen spielenden, mal nur abwechselnd lyrischen oder dramatischen Solostücken. Die wenigen Choreinwürfe steuert ebenfalls das fein ausbalancierte Ensemble bei.
Johannes der Täufer wird hier zunächst glaubensstark in einem arkadischen Ambiente gezeigt, bevor es ihm an den Kragen geht, weil die heftig und leider erfolgreich greinende Salome (hier: Herodiade la Figlia) seinen Kopf fordert. Was sich freilich unvermittelt und ohne Tanz auf einem Dominantakkord auflöst, der finessenreiche Dirigent Václav Luks lässt auch einfach und demonstrativ die Arme oben. Nein, da kommt nichts mehr! Sein Collegium 1704 hat sich längst zu einer der besten Alte-Musik-Truppen in Tschechien entwickelt und glänzt jetzt auch in Salzburg mit farbigem Spiel und unterhaltsamen Tempi, bissfest und geradlinig. Dazu kommt eine wirklich erlesene Sängerbesetzung mit dem herrlich biegsamen Countertenor Christophe Dumaux in der Titelrolle an der Spitze. Der schmachtet und schluchzt rollenkonform, dass es eine wahre Märtyrerfreude ist. Giulia Semenzato singt mit aufmüpfig hellem Sopran die Salome, die dunkel funkelnde Lucile Richardot leiht den wenigen Sätzen der Herodiade la Madre ihr kostbares Altorgan. Krystian Adam gibt mit charakteristischem Tenor den Consigliere, Kresimir Strazanac mit weichem, beweglichen Bassbariton den hier vergleichsweise mildgestimmten Herodes.
Nach dieser perfekt in das Motto „Passion“ der diesjährigen Ouverture Sprituelle passenden Aufführung biegt die einst von Alexander Pereira erfundene Konzertreihe mit Tomás Luis de Victoria unter Jordi Savall in die Finalkurve, um ihren Abschluss mit dem ersten, eindrücklichen Matineeauftritt der Wiener Philharmoniker zu finden. Eruption und Ekstase, Apokalypse und Apotheose gibt es vor allem in Gustav Mahlers 2. Sinfonie zu hören, mustergültig gesteigert und feinsinnig klanggemalt unter der absolut souveränen Leitung von Andris Nelsons. Zuvor aber widmete er sich, als schon oftmals angetretenes Team, mit Hakan Hardenberger Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert „Nobody knows de trouble I see“. Eine gustiös ausmusizierte Viertelstunde mit freier Tonalität und Bebop, Hammondorgel und Spiritual, die das Orchester nonchalant exekutiert.
Um dann in der Auferstehungsinfonie verinnerlicht zu glänzen. Mit schroffer Kontrabassattacke beginnt das meisterlich, von betörend austarierter Ruhe und mit zarten Soli versetzt war das Andante moderato. Geschäftigt winden sich instrumental die Fischlein in des Antonio zu Paduas Wunderhornlied-Predikt. Ekaterina Gubanova intoniert das „Urlicht“ mit schlanker Mezzoschlichtheit, etwas zu grell und auftrumpfend später Lucy Crowe ihr Sopransolo. Besonders aber im Finale disponiert Andris Nelsons mit toller Dramaturgie, den Notentext selten in die Extreme treibend und organisch den durchsichtigen, nie lauten Chor des Bayerischen Rundfunks als letzte Finalsteigerung hinzunehmend. Ein tröstlicher Klopstock-Hymnus am sonnigen Sommermorgen, ein perfekt geistig-vergeistlicher Beginn für die Salzburger Opernhauptsachen.
Der Beitrag Salzburger Festspiele: Stradella-Ekstase, Mahler-Apokalypse erschien zuerst auf Brugs Klassiker.