Sie war so modern, so direkt. Als sie, die ursprünglich Schauspielern hatte werden wollen, sich in den Fünfzigern anschickte, als Hochdramatische die Opernbühnen der Welt zu erobern, da muss Inge Borkh wie ein Wirbelsturm, zumindest aber wie ein super erfrischender Frühlingswind gewirkt haben. Waren doch Sieglinden, Elektras, Turandots, „Fidelio“-Leonoren, Färberinnen, (von Tänzerinnen gedoubelte) Salomes doch damals (die verehrungswürdige Birgit Nilsson eingeschlossen, die freilich alles mit ihren Stimmfluten wett machte) eher statuarische Damen, Singsäulen, Musiktruhen gar. Karl Löbl prägen dem bösen Ausspruch von der „Kredenz auf Radln“ Ein viel flatterhafterer, nervös-zeitgemäßer, ja eben backfischhafter Opernzugvogel war indessen die Mannheimerin Inge Borkh, geborene Simon, in der Schweiz groß geworden, weil ihr Vater Jude war. Sie begann 1944 in Luzern als Operetten-Alt und endete 1973 in Palermo als Elektra. Das jugendliche Feuer ihres tragfähigen Soprans prädestinierte Borkh als zeitgenössische Tragödin, die die wilden Weiber der Opernbühne menschlich machte und psychologisierte.
In der Schweiz machte sie erstmals Furore als Magda Sorel in der deutschsprachigen Erstaufführung von Gian Carlo Menottis heute zu Unrecht vergessener Oper „Der Konsul“. Dies war ihr Durchbruch zu internationalen Erfolgen, gefolgt mit Engagements in den Opernhäusern Wien, München, Berlin, London, New York und San Francisco. 1952 sang sie bei den Bayreuther Festspielen die Freia und die Sieglinde. 1957 übernahm sie bei den Salzburger Festspielen die Titelrolle in einer längst legendären, zum Glück akustisch festgehaltenen „Elektra“ unter Dimitri Mitropoulos.
Sie verbrannte sich dabei, verabschiedete sich früh von der großen Bühne und startete eine zweite Karriere als Diseuse. Verheiratet war sie mit dem jugoslawischen Bass-Bariton Alexander Welitsch (1906–1991). Bis fast um Schluss reiste Inge Borkh ihren klassischen Lieblingen hinter, Mariss Jansons und Christian Gerhaher zum Beispiel. „Ich komm‘ vom Theater nicht los“, hieß eines ihrer Programme. Tatsächlich kommt man bis heute von dieser weißglühenden, Sinn und Klang transportierenden Stimme nicht los. Ihre Aufnahmen sind deutsch im besten Sinne: seelenvoll und beherzt. Vielleicht singt man heute ihre großen dramatischen Rollen, Salome, Elektra, Färberin, Lady Macbeth, Tosca, Turandot, aber eben auch Cherubinias Medea oder Orffs Antigone, schöner, geschmeidiger. Aber bei der Borkh, dieser lustigen, geerdeten Person, war es immer großes Drama. Und so relativiert sich so machen zeitgenössische Salome-Sensation, denkt man an die Wonderwoman der Borkh zurück. Am 26. August ist sie gestorben, gesegnete 97 Jahre alt.
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