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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Gstaad Festival I: Brahms in der Dorfkirche – mit Hannelore Elsner als Clara Schumann

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Salzburgs Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler hat eben ganz ergriffen Rilke zitiert: „Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.“ Damit meinte sie natürlich ihren gelungenen Festspielsommer, aber eben auch das Wetter. Das ist nun perdu – vor allem die Sonne. Zu meinem letzten diesjährigen Schweizer Festival geht es von Salzburg fast elf Stunden lang mit Flugzeug und dreimal Zug nach Schönried im Berner Oberland. Als die zuckelnde helvetische Bahn sich über die letzten Stationen Oeschseite (Halt auf Verlangen) und Saanenmöser müht, ist es kühl, leicht nebelig, regenverhangen. Der Herbst naht, und das ist gut so. Immer noch lustig bunt hängen die üppigen Blumenbalkone voll in diesen komischen Hotels, die unter riesigen Giebeln vorgeben, eine Almhütte zu sein. Freilich de-luxe, fünfsternig mit allem Wellness-Pipapo. So wie das gastgebende Ermitage, das ist rustikal und großzügig (supernettes Personal!), aber mit einem schrägschicken Pepp. Nennen wir es Cortina-Schick, auch wenn das weit weg und lange her ist. Hier freilich gibt es noch die Pannesamtsessel unter dem geschnitzten Wahlspruch des Hauses, den bunt sich färbenden Granitwasserfall vor Stofflämpchen, die kristallinkrustierte Bar, wo nachts einsam, aber frohgemut ein E-Klavierspieler in die Tasten greift. Hier gibt es aber eben auch die alten Ehepaare, die bis aus Wellington/Neuseeland gekommen sind, um ein weniger Schweizer Berg- und Bahngenuss mit schöner Musik zu verbinden. Willkommen beim Gstaad Menuhin Festival!

Fünfzehn Jahren war ich nicht mehr hier. Und auch damals hat es geregnet. Was hier nicht weiter stört, sind doch die Saanentalwiesen so wunderbar smaragdgrün. Natürlich hat das Kuhdörfli (Almabtrieb ist auch!) der Milliardäre noch diskreter mondänen Charme entwickelt  und ist mit seinem High-Class-Heidi-Ambiente eigentlich nicht mehr von dieser Problemwelt. Aber diese Leute haben auch neuerlich mit ihrem Geld das Festival zum Blühen gebracht. Nur zehn Prozent des Acht-Millionen-Franken-Etats für über 70 Konzerte in sechseinhalb Sommerwochen kommen von der öffentlichen Hand, ein Drittel steuern die Privatsponsoren bei.

Doch von denen merkt man erst einmal nichts, denn ich beginne, so wie der eben hierher verzogene Yehudi Menuhin samt Familie vor 61 Jahren, in einer der urigen Dorfkirchen des Tals. Neu ist das Beinhaus, mit seinem Knochen-Memento-Mori, das jetzt den Künstlern als Garderobe dient, doch aus dem 15. Jahrhundert ist das schlichte Gotteshaus in Zweisimmen, wo jetzt Dinge aufgeführt werden, die vier Jahrhunderte jünger sind – aber im entfernteren Sinn mit der Gegend zu tun haben. Denn drei Sommer lang, von 1886-88 weilte Johannes Brahms nicht in Bad Ischl, sondern am Thunersee. Musikalisch fruchtbare, aber auch heiße Sommer in einer touristenvollen Schweiz, wovor der Komponist seine alte Jugendfreundin Clara Schumann warnt; was heute viel Gelächter auslöst.

Auch weil Hannelore Elsner (in schwarzer Seide mit orangen Riesenblumen) und der Schweizer „Tatort“-Kommissar Stefan Gubser, den sich um diese Aufenthalte und seine Erwähnungen rankenden Briefwechsel zwischen den beiden so sonor wie zurückhaltend vortragen. Die Elsner vor allem ist große Dame, aber auch besorgte, stets ein wenig geldknappe Gefährtin. Extra für solche Gelegenheit wurde dieser Abend konzipiert, einer von fünfen, die als thematische Reihe im Festival, die in Thun komponierten Brahms-Werke vorstellen.

Heute sind es die am Fuße der Jungfrau entstandene jeweils zweite Cello- und Violinsonate sowie das Klaviertrio Nr. 3. Eingerahmt von den Lesenden an ihren Holztischen mit Opa-Lampe spielen das der literaturaffine Pianist Sebastian Knauer, Hamburger wie Brahms, der zupackende rumänische Cellist Andrei Ionita und die amerikanische Geigerin Christel Lee, die als erste ihres Landes vor drei Jahren den Sibelius Wettbewerb gewann und hier als Menuhin’s Heritage Artist antritt. So wird die Tradition gewahrt und dem Gründer würdig gedacht. Es ist ein schönes Konzert in kräftigen, leuchtenden, spätsommerlich vitalen Farben. Ein Spätwerk, das noch einmal die Säfte zum Fließen brachte. Die Schweiz hat Brahms’ Fantasie beflügelt, mögen die Briefe bisweilen arg nüchtern sein, die Musik beschwingt auch sie.

Gstaad mag, das liegt in der Natur der Festivalsache, auch ein Rein-Raus-Konzertfest ganz Europa auf Sommertour durchpflügender Künstler sein, aber so ein kleines Juwel kann man nur hier, in der passenden Dorfkirche im Berner Oberland hören. Das hell erfreute Publikum weiß es zu schätzen.

Der Beitrag Gstaad Festival I: Brahms in der Dorfkirche – mit Hannelore Elsner als Clara Schumann erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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