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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Musikfest Berlin: Andris Nelsons besteigt mit seinen Bostonern einen Mahler-Gipfel

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Nach Yannick Nézet-Séguin mit den Rotterdamern, ständiger Gast bei den Berliner Philharmonikern, machte ein weiterer dortiger Orchesterliebling der jüngeren Dirigentengeneration mit einem seiner Klangkörper beim Musikfest Tourneestation: Andris Nelsons mit dem Boston Symphony Orchestra inklusive deren charakteristischem Laufstallpult mit den sieben Latten, das natürlich auch jeden Sommer nach Tanglewood verbracht wird (oder haben die da ein eigenes?). Auf dem Programm nur ein Stück, aber ein langes: Gustav Mahlers 3. Sinfonie. Und nach knapp hundert Minuten – Nelsons mag es diesmal gemächlich – weiß man: Er und die Bostoner, da wächst etwas zusammen, respektvoll, sorgfältig, ausgeglichen. Er scheint in deren dunklen, aber schlanken, europäisch weichen Klang richtiggehend verliebt.

Da recken sich keck neun Hörner, im dritten Satz erzählt von oben außen ein nicht ganz pannenfreies, aber sehr musikalische Posthorn von Natur und Naivität. Nelsons taucht neugierig in diesem gewaltigen Klangkosmos aus Esoterik und Erdenschilderung ein, kostet seine Reserven aber nicht voll aus, scheint sich, trotz klarer Schlagdiktion, eher vom souverän voranschreitenden Orchester führen zu lassen. Das türmt sich nicht, das reiht sich. Mahler wirkt hier gar nicht so titanenhaft, selbst der monströs lange erste Satz wird angstfrei entwickelt, spult sich frei ab, knallt aber auch angemessen rau (soweit diese seidenfeine Orchester das kann) los. Pan geistert durch die Celli mit, noch klingen die Bläser etwas verspannt

Der wunderhornige zweite Satz leuchtet in bunteren Farben, die Holzbläser tönen superb. Der dritte Satz atmet ruhig, nicht abgeklärt. Schön, nach langer Zeit in Berlin mal wieder die blumenglitzrig gewandeten, betontoupierte Susan Graham zu hören. Im Gegensatz zum Glamour-Outfit singt sie mit berührender Schlichtheit, Prägnanz und betörendem Mezzosamt Nietzsches „Zarathustra“-Worte. „Alle Lust will Ewigkeit“? Ja, aber auf die amerikanisch puritanische Art.

Noch einmal und wieder Wunderhorn, diesmal – auch eine schönen Geste – mit den Frauen und Kinderstimmen des Leipziger Gewandhauses, Nelsons anderem Orchester, wo er gleich am nächsten Tag gastiert. Dieser 5. Satz pendelt, bimmelt und bammelt freudvoll, hell. Die Boston-Streicher breiten anschließend im Finale ihre weiten Flügel aus, segeln klangklar, versonnen, vielleicht ein wenig zu unvergeistigt, mit einer frischen Anmutung ins sinfonische Ziel. Von der bukolischen Gustav-Lust zur göttlichen Mahler-Liebe, daran muss Andris Nelsons freilich noch feilen. Aber er ist ja noch nicht mal 40 Jahre alt.

Der Beitrag Musikfest Berlin: Andris Nelsons besteigt mit seinen Bostonern einen Mahler-Gipfel erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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