Frische Post von der Oper Zürich. „Inszenierung trotz Hausarrest“ heißt es da. Denn der russische Regisseur Kirill Serebrennikow, dessen seit August 2017 mit Wladimir Putins Gnaden andauernder Hausarrest eben bis – mindestens – zum 19. Oktober verlängert wurde, kann natürlich nicht in die nette Schweiz kommen, um dort Mozarts „Così fan tutte“ zu inszenieren. Grund dafür ist laut russischer Justiz eine Untersuchung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder. „Das vermutlich politisch motivierte Verfahren wird trotzdem nicht verhindern, dass die künstlerische Vision des Film-, Theater- und Opernregisseurs auf die Zürcher Bühne gebracht wird“, schreibt die Zürcher Oper weiter. Da er „die am 20. September beginnenden Proben nicht persönlich leiten wird, wird seine Konzeption jedoch in enger Absprache mit ihm durch seine Mitarbeiter umgesetzt. Serebrennikow hat einen detaillierten Ablauf der Inszenierung erarbeitet. Sein Mitarbeiter Evgeny Kulagin wird diese Anweisungen vor Ort in Zürich selbstständig umsetzen. Die Kommunikation mit Kirill Serebrennikow wird eingeschränkt über seinen Anwalt möglich sein. Dem Regisseur werden Aufzeichnungen von Proben übermittelt. Nach der Sichtung wird das Feedback des Regisseurs an das Ensemble zurückgespielt. Auch die Kostüme und das Bühnenbild wurden bereits nach den Ideen und Anweisungen Serebrennikows in den Werkstätten des Opernhauses hergestellt. Das Opernhaus Zürich und das gesamte Ensemble der Produktion sind fest entschlossen, am 4. November die Premiere einer Kirill Serebrennikow-Inszenierung zu feiern.“
Tja, was soll man dazu sagen? Richtig und wichtig ist Solidarität mit dem Inhaftierten. Man darf ihn nicht vergessen. Genauso wenig wie das Schicksal des hungersteigenden und vom Tod bedrohten Regisseurs und Aktivisten Oleh Senzow. Aber ist ein Festhalten an den künstlerischen Plänen wirklich der richtig Schritt? Oder ist das nicht eigentlich Etikettenschwindel? Tut man Kirill Serebrennikow wirklich einen Gefallen, wenn man einen unter dubiosen Umständen entstandenen Torso, die Fata Morgana einer Inszenierung, die ihr Urheber nie gesehen, die er nicht betreuen, ändern, überhaupt mit lebenden Menschen entwickeln konnte, für teures Geld an die Kunden verkauft? Ist Theater wirklich so austauchbar geworden, dass es – unter solch besonderen Umständen – auch per Ferndiagnose erstellt werden kann?
Gut, die Stuttgarter Oper hat das letztes Jahr vorgemacht mit ihrem trotzigen Festhalten an Serbrennikows „Hänsel und Gretel“-Inszenierung, für die er immerhin einen wichtigen Part, den begleitenden Film, selbst fertig stellen konnte. Zumal man dort auch vom Hausarrest überrannt worden war. Das ist in Zürich nicht der Fall, da konnte man seit einem Jahr damit kalkulieren, dass der in Russland im Prinzip schon vorverurteilte Regisseur, an dem es wohl ein Exempel zu statuieren gilt, nicht da sein wird können. In Stuttgart war die Premiere eingebettet in zwei Wochen mit vielen Solidaritätsveranstaltungen. Davon ist in Zürich bisher nicht die Rede. Da will man einfach eine teure Premiere herausbringen und auch einen Namen verkaufen. Das Theater macht einfach weiter, als wäre nichts geschehen.
In Stuttgart war das Humperdinck-Ergebnis menschlich anrührend, aber künstlerisch eigentlich nicht diskutabel. Man hat trotzig die angesetzten Vorstellungen weitergespielt. Diese Saison steht die „Inszenierung“ nicht mehr auf dem Programm. Dafür aber eine „Salome“ (eine Oper, die eben auf Druck von Orthodoxen kurz vor ihrer Minsker Premiere abgesetzt wurde) , die wirklich von Anfang bis zum Ende von Serebrennikow stammt, genauso wie an der Komischen Oper Berlin sein „Barbier von Sevilla“. Hätte man nicht stattdessen ein der beiden authentischen Produktionen als starkes Zeichen ausleihen und den Zürcher Zuschauern zeigen können, was sie wirklich versäumen? Seit Serebrennikows Inhaftierung wurden von ihm zwei weitere „Werke“ gezeigt: in Cannes der Rockmusik-Film „Leto“, den er eben abgedreht, aber eben noch nicht postproduziert hatte, als er verhaftet worden war und der bisher nicht in die Kinos gekommen ist sowie am Moskauer Bolschoi Theater sein Ballett über Rudolf Nurejew. Das mag als Thema für Russland sehr wichtig gewesen sein, verlässliche Beobachter sprachen aber von einer unsäglichen Kitschrevue, die ebenfalls nach wenigen Vorstellungen wieder von der Bühne verschwand.
Und auch die nächste Kirill-Serebrennikow-Premiere ist wieder an einem deutschsprachigen Opernhaus angesetzt: am 10. März 2019 soll in Hamburg sein „Nabucco“ Premiere haben. Hoffen wir, dass es wirklich dazu kommt. Denn nochmal nur Kirills Schatten vorzuführen, eine vermutlich bleiche Assistenten-Arbeit, dass hat seine künstlerische Potenz wirklich nicht verdient. Da muss es andere Arten geben, mit diesem unsäglichen Künstlerschicksal umzugehen, als einfach weiter zu machen.
Der Beitrag Zürichs neue, regieloses „Così“: Kirills Schatten oder wie solidarisiert man sich mit einem Künster? erschien zuerst auf Brugs Klassiker.