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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Linz: Das Brucknerhaus startet neu durch ­– mit Bruckner

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Vor dem Festival ist nach dem Festival. In Österreich sind Salzburg, Bregenz, Mörbisch vorüber, auch Grafenegg ist ausgeklungen und in den Städten kommt erst langsam die Saison auf Touren. Doch schon wieder hob – dieses Jahr etwas früher – in Linz das Brucknerfest inklusive Klangwolke an. Das soll wieder werden, was der Name schon sagt: ein Musiktreffen mit und in Bruckners Namen, eingegrenzt vom Geburtstag des Patrons am 4. September, mit eine Art Vorglühen, begangen in der Pfarrkirche von Ansfelden. Und beendet wird es an Bruckners Todestag, dem 11. Oktober in der Stiftskirche St. Florian – über dem Brucknergrab in der Gruft unter der Orgelempore, wo er einst übte. Bruckner wieder Bruckner geben, „mit Sinn, Respekt und rotem Faden“, das ist die so einfache wie schlagkräftige Idee des neuen Mann am Brucknerhaus. Das war etwas in Jahre und ins Gerede gekommen: Man stritt sich mit den Verantwortlichen des 2013 in seinen Neubau gezogenen Landestheater, mit dem man sich das Bruckner Orchester teilt. Die Platzausnutzung dümpelte bei 60 Prozent. Auch mit dessen seit 2017 amtierenden Chefdirigenten Markus Poschner lieferte sich der im gleichen Jahr berufene Intendant Dietmar Kerschbaum erst einmal einen öffentlichen Schlagabtausch. „Alles Intrigen“, wimmeln beide inzwischen ab, der Betriebsfrieden scheint wiederhergestellt.

Schließlich ist die oberösterreichische Landeshauptstadt, traditionell eine Metropole der Arbeiter mit vielen Pendlern, kulturell ambitioniert und wollte sich gleich gar nicht von Erwin Prölls mit Millionen gefüttertem St. Pölten abhängen lassen. 2009 war man Kulturhauptstadt Europa, an der Donau-Lände reihen sich das damals mit einem neuen Südflügel versehene Landesmuseum im Schloss, das ebenfalls 2009 umgebaute Ars Electronica Center, das 2003 eröffnete Lentos Kunstmuseum und eben das Brucknerhaus. Irgendwie wuppte es da nimmer. Deshalb jetzt ein neuer, vehementer Anlauf: „Es wird jetzt was, oder man kann es gleich ganz abreißen“, fasst Dietmar Kerschbaum seine Mission zusammen. „Das Brucknerhaus ist die Muse der Stadt, ein alte Dame, die in die Jahre gekommen ist und die wir mit viel Liebe verjüngen.“

Dabei war das Brucknerhaus 1974 von dem Finnen Heikki Sirén erbaut und mit viel Tamtam von Gott persönlich eingeweiht worden – Herbert von Karajan. In der Zwischenzeit ist nicht nur die eigens für den Stardirigenten hochgestimmte Orgel unbrauchbar, auch sonst nagt hier der Zahn der Zeit. Das eben will Dietmar Kerschbaum ändern. Der 48-Jährige, der sich gegen 42 Mitbewerber durchgesetzt hat, ist eigentlich lyrischer Tenor. Er war („ich bin lieber ein guter Zweiter und habe noch Zeit für meine anderen Aktivitäten“) an den großen Häuser ein regelmäßiger Gast, sang Wagners David, Mozarts Monostatos oder Pedrillo in Salzburg, Paris, Hamburg und Berlin sowie Operetten an der Wiener Volksoper. Außerdem hatte er sich seit 2002 im Burgenland mit seinem Jennersdorfer Festivalsommer samt sozialen Aktivitäten etabliert.

Das Singen und Regieführen hat er nun zurückgestellt, mit zunächst „Bruckner und die Tradition“ als Motto will er in einem fünfjährigen Masterplan das Brucknerfest auf seine Ursprünge zurückführen und ihm wie mit 200 weiteren Veranstaltungen dem Brucknerhaus  ein Gesicht geben – inklusive BrucknerBeats für die Jugend. Vom Vorgänger übernimmt er den sinfonischen Zyklus der Münchner Philharmoniker unter Valery Gergiev, aber bereits mit Daniel Kehlmann als Festredner setzte er inhaltliche Akzente.

Und der griff auch gleich die Flüchtlingspolitik von Kanzler Kurz an: „Wenn man sich erinnert, dass das Dritte Reich kein blasses Mahnwachen-Phantasiegespinst ist, sondern dass sich vor kurzer Zeit erst von diesem unseren Land aus die allerrealsten Flüchtlingsströme über Europa ergossen haben, Ströme von Verzweifelten, Entwurzelten und Entrechteten, die man von hier vertrieben hatte und die dann keiner draußen aufnehmen wollte, dann beurteilt man vielleicht auch einen jungen Kanzler anders, dessen größter Stolz darin liegt, dass er im Bündnis mit dem Möchtegern-Diktator Ungarns imstande war, verzweifelte Menschen ohne Heimat, Pässe und Rechte, die mit Muhe das nackte Leben retten konnten, von unserem reichen Europa fernzuhalten.“

Zudem ist im Brucknerhaus das Restaurant umgebaut worden, er soll wieder kommunikative Begegnungsstätte werden und heißt deshalb, mit eher unelegantem Apostroph, Bruckner’s – analog zum vom gleichen Gastronomen geführten Anton’s im Landestheater. Und auch die Orgel ist für 1,1 Millionen Euro neu errichtet worden. Von Anfang an war sie das Sorgenkind des Haues. Im barocken statt romantisch Stil aufgebaut und auf Veranlassung Karajans auf 446 Herz gestimmt – im Vertrauen, dass die Orchester in der Zukunft höher und brillanter spielen würden. Einmal mehr hatte sich der Maestro geirrt. Das falsch tönende Monster war unspielbar, verstaubte und brach am Ende fast von der Wand. Jetzt ist alles fein. Obwohl Wendelin Eberle von der Orgelbaufirma Rieger aus Schwarzach in Vorarlberg erst Anfang Mai den Neubauauftrag erhielt. Für die rund 17.000 Arbeitsstunden wurden 64 Mitarbeiter eingesetzt. Von der alten Orgel blieben nur die fürs Publikum sichtbaren und vertrauten Frontpfeifen erhalten. 3.800 auf 440 Hertz gestimmte Pfeifen, verteilt auf 51 Register, wurden neu hergestellt, dazu sämtliche Holzarbeiten. Die rein mechanische Spielweise auf drei Manualen und Pedal wird mit heute zur Verfügung stehender Elektronik unterstützt. Die neue Orgel verfügt auch über eine Speichermöglichkeit, mit der Konzerte aufgezeichnet werden können und so für die Nachwelt erhalten bleiben. Dabei werden nicht die Töne der Orgel digital fixiert, sondern die mechanischen Bewegungen.

Iveta Apkalna, die sich sieben Stunden eingespielt hat, machte auch davon Gebrauch. Denn die Titularorganistin der Hamburger Elbphilharmonie und Lettlands blondierte Antwort auf Cameron Carpenter hat sie jetzt eingeweiht, schöngetreten und lockergetastet. Hinter fünf Reihen weißer und lachsfarbener Rosen. Erst im schwarzen Outfit, dann im weißen Kostüm. Mit Musik aus Bruckners Notenschatz, also von ihm selbst (als erster öffentlicher Ton), Bach, Albrechtsberger und Mendelssohn. Und es klang so virtuos wie sonor, wenngleich da noch viel mehr Orgelmusik drin ist, noch längst nicht alle Register gezogen wurden. Am Ende gab es Beifall für die Organistin, die Orgel und das Werkstattteam.

Mit einer Orgelpfeifen-Patronanz konnte man übrigens Teile der alten Orgel als Andenken erwerben. Der größte Teil der 44 Jahre alten Pfeifen wurden eingeschmolzen, 1200 hat Dietmar Kerschbaum für eine Wiederverwertung reserviert. Sie sollen ein zweites Leben als Kunstwerk bei neuen Besitzern finden. Orgelpfeifen-Patronanzen gab es ab 100 Euro bis 500 Euro, teilweise verbunden mit einem Konzertabo. Für 1000 Euro konnte man eine große Orgelpfeife samt Registerzug auf bunten Betonsockeln mit Unterschrift von und Dinner mit Iveta Apkalna erwerben. Künstler Thomas Kurz hat diese Orgelpfeifen zu einer beeindruckenden Installation zusammengefügt, die im Foyer des Brucknerhauses zu sehen ist.

211 Konzerte, davon 128 mit klassischer Musik, 23 mit Jazz bzw. Weltmusik und 60 Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche warten im prall gefüllten neuen Saison-Programm des Linzer Brucknerhauses. Mit dem Motto „Credo – Bekenntnis, Glaube, Religion“ macht man sich auf die Suche nach Spiritualität in der Musik. Es gibt örtliche und thematische Klammern, im aktuellen Brucknerfest geht es um Bruckners Berlioz- wie Goethe-Verehrung, um sein Lieblingsglied, Schuberts „Gute Nacht“ aus der „Winterreise“. In Linz war übrigens auch 1868 zwei Monate vor der Münchner Uraufführung des Gesamtwerkes der Schlussmonologs des Hans Sachs aus den „Meistersingern“ erstmals zu Hören. Richard Wagner hatte ihn selbst Bruckner geschickt. Auch das wird jetzt wiederholt.

Dietmar Kerschbaum, der bei Ioan Holender an der Wiener Musikuniversität Management studiert hat, sieht sich als bodenständiger Teamplayer: „Ich leere auch Papierkörbe aus.“ Er möchte mit „wissenschaftlicher Respekt Bruckner international machen, denn er selbst hat sich ja nur klein gemacht.“ Er nimmt seinen Bildungsauftrag ernst und schaut auch auf Europa. Eigenes konzipierte Programme sind ihm wichtig, viele gehen von hier aus auf Tournee. Etwa 2 Millionen Euro hat er für den reinen Spielbetrieb, den Brucknerfest-Etat konnte er von 700.000 mit Sponsorenpflege auf 1.2 Millionen aufstocken. Namedroping mag er nicht, auch wenn sich Jonas Kaufmann gönnt und ihn für 19 Euro plus anbietet. Das Haus will er mit Professionalität und Dramaturgie füllen, das Bruckner Orchester musste sich thematisch einbringen. Und es er glaubt an seine Mission: „Die Hülle muss stimmen, das Haus muss gut schwingen. Es hat keine Harmonie gehabt, jetzt hat es sie.“

Kerschbaum hat nicht nur ambitionierte Pläne, er hat auch ordentlich Drittmittel dafür eingeworben. Mit einem andern Linzer, Stardirigent Franz Welser-Möst, ist er für Projekte „im Gespräch, wir haben schon Telefonnummern ausgetauscht und uns kreativ besprochen.“ Ob man also auch in Sachen Musikevents im Zentrum des zweitgrößten Ballungsraumes Österreichs bald wieder sagen wird „In Linz beginnt’s“? Immerhin hat ja auch die Arbeiterstadt für ihr Kulturmarketing bereits auf „Linz verändert“ umgerüstet.

Der Beitrag Linz: Das Brucknerhaus startet neu durch ­– mit Bruckner erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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