Debussy, Stockhausen, Bruckner, Wagner, Zimmermann – es war eine wilde Mischung, um die das Musikfest Berlin dieses Jahr thematisch wie musikalisch kreiselte. In der Schlusskurve traten dann noch einmal zwei Debussy-Liebhaber gegeneinander an, bei den Berliner Philharmonikern François-Xavier Roth, dessen Karriere in den letzten Jahre einen steilen Anstieg genommen hat, und bei seinem Deutschen Symphonie-Orchester zum Start der zweiten Saison Robin Ticciati, der sich und den Seinen einen deutlich frankophonen Kurs verortet hat. François-Xavier Roth verblendete scheinbar auseinanderstrebende Komponisten zu einem kühne Mixtape, wobei in der ersten Konzerthälfte noch sorgsam getrennt wurde. Schon optisch. Aug dem weitgehend leeren Podium entfalteten die Bläser in rhythmisch perlender Trockenheit Igor Strawinskys Symphonies d’instruments à vent, die dieser dem toten Debussy gewidmet hat. Dagegen kontrastierte wirkungsvoll das nachkriegsaufgewühlte Violinkonzert von Bernd Alois Zimmermann mit seinen apokalyptischen Tutti-Zuckungen, seinen gerissen schrillen Klangwellen im Larghetto und der überraschenden Rumba-Verliebtheit im Finale. Scheinbar altmodisch gebaut und überkommenden Formen huldigend, probiert und experimentiert Zimmermann hier im Detail. Caroline Widmann zog das mit kräftigem Bogenstrich und zupackender Attacke plastisch nach.
Der zweite Konzertteil, die Philharmoniker exekutierten ihn mit heller Klanglichkeit, kam wie ein kaum unterbrochenes und gebrochenes sinfonisches Gebilde daher. Siebensätzig und spannend zu hören. Denn auf fünf Images-Ausschnitte Claude Debussys kamen zwei Einzelwerke von Györgi Ligeti. Nicht neu, aber sehr konsequent und ausführlich ausgeführt, Verbindungs- wie Trennungslinien in der Musik aufzeigend. Da fließt und bauscht sich der Debussy, Ligeti aber entwickelt sich aus dem stehenden Jetzt. Zitathafter, warm pulsierender Wirklichkeit, Orten, Landschaften, Situationen, Tänzen, stehen kühl abstrakte Tongebilde gegenüber. Ligetis „Lontano“ und „Atmosphères“ schließen sich einmal direkt an oder sind bewusst abgesetzt, um Gegensätze zu überspielen bzw. zu betonen. Und so scheint Debussys „Ronde du Printemps“ plötzlich Ligeti vorwegzunehmen, während der Ungar den Franzosen nachklingen lässt. Und Roth dirigiert tänzerisch elfhaft.
Zupackender agiert da optisch Robin Ticciati. Der hat erst eine „Parsifal“-Suite auf den DSO-Pulten, um dann als geistesverwandtes Mysterienspiel Debussys auf eine Stunde kondensiertes „Le Martyre de Saint Sébastien“ folgen zu lassen. Der 35-jährige Brite hat noch keine komplette Wagner-Oper dirigiert. Das merkt man, allzu plan und glatt gleiten Vorspiel, Karfreitagszauber und Weihfestspiel-Finale vorüber, sauber, zart anschwellend, aber ohne szenisches Temperament, Rubati und dramatische Gestaltungskraft. Beim debussy fasziniert zunächst die aus der Semi-Rente zurückgekehrte Dame Felicity Lott als Sprecherin von mokanter Gestaltungskraft für den schwülstigen D’Annunzio-Text zwischen pathetischem Ernst, wissender Parodie und sachlichem Referieren. Zartrot wehte dabei ihr roter Kleidschleicher über schwarzer Samthose, um auch optisch das Androgynen dieses zweifelhaften Heiligen zu zeigen, der einst von einer Frau – Ida Rubinstein – pantomimisch dargestellt wurde.
Natürlich wurden hier die Wagner-Anspielungen und–Anregungen besonders herausgearbeitet, das DSO und der Rundfunkchor glänzten aber auch in den filmmusikhaften Chören und Aufzügen mit ihren altertümlichen Kirchentonarten. Klar, dieses Hybrid mutet 107 Jahre nach seiner Uraufführung nur noch seltsam lachhaft und bisweilen befremdlich an. Aber als szenischer Versuch Debussys, dem nur ein einzige Oper gelang, kann man es ruhig ab und an herauskramen. Und wann, wenn nicht in diesem Gedenkjahr? Berlin bekam es sogar zweimal zu hören. Denn schon Daniel Barenboim hatte es im Frühjahr präsentiert – kompakter, schwerer, gravitätischer. Doch der zweite, ziselierte, eher mit hellen Farben und weniger Tiefe arbeitenden Blick Ticciatis tat dem Werk gut. Möge der Heilige, hier davon getragen von dem süßen Sopransolo der hochschwangeren Erin Morley, jetzt erst einmal wieder in Freuden ruhen.
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