Zu Hause, in der Welt und im Radio – der Arbeitsalltag der Bamberger Symphoniker. Als Bayerische Staatsphilharmonie eben ein wenig staatstragender (obwohl auch hier die jüngsten, schrägen Bayern-goes-Universe-Bilder von Markus Söders Weltraumabenteuer eifrig kommentiert werden…) , aber deutlich internationaler als manche andere, vergleichbare Klangkörper. Heute zum Beispiel, da sind sie gerade unterwegs nach Göteborg wo sie Jahrzehnte nicht waren, zuletzt in den Fünfzigern unter Joseph Keilberth, so wie auch vorher in Kopenhagen. In Skandinavien schwächelt ein wenig das Orchestertourwesen, trotz der vielen, tollen, neuen Hallen. Da können auch andere ein traurig Lied von singen. Die Bamberger haben freilich aus ihrem Eröffnungsprogramm an der Regnitz eine variable kleine Tournee zusammengestrickt. Nach zwei Konzerten zu Hause geht es in die Alte Oper Frankfurt, dann nach Dänemark und Schweden. Kompakt, clever, effektiv. Natürlich mit dem inzwischen weltweit begehrten Chefdirigenten Jakub Hrůša, der eben seine dritte Spielzeit startet und den sie – in beidseitigem Einvernehmen – vorsorglich schon bis 2026 verlängert haben. Der 37-Jährige Tscheche gibt nicht nur dem Orchester mit seiner Prager Vergangenheit eine daran anknüpfende idiomatische Zukunft, er ist auch einer der besten Maestri seines Alters überhaupt. Sagt zum Beispiel einer, der es wissen muss, der viele kennt: der deutsche Geiger Frank-Peter Zimmermann, der ebenfalls auf der Reise dabei ist und nicht nur seine nach dramatischem Umständen wieder zurückerhaltene Stradivari „Lady Inchiquin“ mit im Gepäck hat, sondern auch Bohuslav Martinůs 1. Violinkonzert. Apropos: Das und einiges andere aus dem Tourneeprogramm gibt es heute Abend zum Tag der Deutschen Einheit auch im Deutschlandfunk zu hören. Geht es noch staatstragender?
Ich stoße in Kopenhagen zur beflügelt aus der Alten Oper am Airport Kastrup eintrudelnden Truppe. Die jetzt, es ist kalt und windig, später kommt Regen, nur noch ins Hotel will. Es ist Reise- und Ruhetag, trotzdem zieht es so manchen gleich zur kleinen Meerjungfrau im Hafen, denn gemeinsam war man noch nie hier. Und abends gibt es eine weitere Premiere: Hrůša, der eine Riesenkoffer mit seinen zu studierenden Partituren mit sich schleppt, isst die erste Zuckerwatte seines Lebens. Die wird nämlich zum Kaffee gereicht in einem hippen Restaurant mit basischen, aber extrem leckeren Gerichten und einer ziemlich dominanten Bedienung; die liebt Hrůša ebenso.
Auch der nächste, klimatisch nicht bessere Tag wird mit Sightseeing und Notenversenken verbracht. Hrůša zum Beispiel präpariert, das passt bestens ins Saisonprogramm der Bamberger mit „Symphonischen Erzählungen“, gerade Hans Abrahamsens Orchesterlied-Zyklus „Let me tell you“. Der ist mit der – dann auch in Bamberg aufgebotenen – Sopranistin Barbara Hannigan zu einem heimlichen Hit der Moderne avanciert. Und abends kann er den im Konzert anwesenden Komponisten gleich noch wegen ein paar Details zu Rate ziehen. Für was Tournee alles gut sind.
Eine Premiere für alle, nur nicht für den Chef, der fast einmal der Musikdirektor der Königlichen Oper geworden wäre, ist der 2009 in einem neuen Stadtteil eröffnete Saal von Jean Nouvel, das Koncerthuset des Dänischen Rundfunks, der hier auch seinen neuen Standort errichtet hat. Im alten Auditorium samt Restgebäude im Kopenhagener Norden residiert jetzt die Musikhochschule.
Von außen freilich ist die hässliche, in blaue Plastikplanen eingepackte Konzertsaalkiste erst einmal eine Enttäuschung, aber sie hat innere Werte. Backstage gibt sich alles grau und technoid, wie Elefantenhaut wirken die von Rillen durchfrästen Betonwände. Aber innen im Saal, wo es keine Ecke gibt und alles in heimeligen Rotholztönen leuchtet, fühlt man sich sofort geborgen. Es schwingt, das Fluidum ist gut, und auch die Toyota-Akustik hat sich optimiert: Es klingt satt und vollmundig, trotzdem trennscharf. Jacob Hrůša probt umsichtig eine Stunde, zunächst einmal das aus vielen Liegeflächen und Tutti-Knallern bestehende „Magnetite“ von Emily Howard, das erst am nächsten Abend wieder auf dem Programm steht. Dann schnell, konzentriert, sich auf wenige Knackstellen beschränkend, die drei Werke des heutigen Konzerts.
Die Orchesterleitung hingegen begibt sich ein paar Stockwerke tiefer. Im mit für hier wichtigen Größen aus allen Sparten der Musik bedruckten Spannplatten ausgekleideten Studio 4 hat der deutsche Botschafter Andreas Meitzner zum Prä-Nationalfeiertagsempfang geladen. Und erstaunlich viele Leute sind gekommen, sicher auch den potenten deutschen Sponsoren geschuldet. Man hört Deutsch und Dänisch, französisch ist freilich der Wein. Beide Nationalhymen werden von einem Orchesterstreichquartett intoniert, es gibt Leberpastete, Fisch, Rote Beete, Käse, Schokokuchen. Und draußen steht das Konzerthauswasser flaschenweise zum Mitnehmen. Trinken während des Konzertes ausdrücklich erlaubt.
Über viele Rolltreppen schwingen sich die Menschen nach oben, im Discoschummerlicht und Neoröhrengewirr unter den wild wuchernden Pressspanplatten der Decken wirken die riesigen Foyers labyrinthhaft; zur Pause, wenn die Bars besser ausgeleuchtet sind, damit man sieht was man konsumiert, wird es wieder überschaubarer.
Das Programm heute – tschechisch mit deutschem Einschlag, aber auch der mit ganz anderem Akzent. Jacob Hrůša hat sich das Orchester wirklich schon zu eigen gemacht, sein Klang wird wieder unverwechselbarer, mitteleuropäisch weich, mit singenden Holzbläsern. Die rücken vor allem den tiefenentspannt fröhlich genommenen Brahms – die 2. Sinfonie – in die Nähe seines Bewunderers Antonin Dvrorak, von dem es als Zugabe einen von ihm orchestrierten „Ungarischen“ Brahms-Tanz gibt. Hrůša lässt es fließen und laufen, und behält so sicher wie unmerklich alle Stimmstrippen in der Hand. Zart leuchtet das Instrument des erst 21-jährigen neuen Hornsolisten, die Streicher haben Fülle, das Blech schmiegt sich selbst in der davonstürmenden Finalstretta weich ins Gefüge, knallt nicht raus. Ein Brahms ohne Stirnrunzeln und Schweißperlen.
Dem ist zum Auftakt Dvořáks bisweilen etwas ausufernd sich drehendes „Goldenes Spinnrad“, auch das webt sich ein in die „Symphonischen Dichtungen“ der Saison, vorangegangen. Hier begeistert Hrůšas klangerzählerische Meisterschaft, wie er die immer neuen Ansätze als Wechsel zwischen Tutti und Solisten sanft verblendet, die märchenhaften drei Motivwiederholungen individuell gestaltet, ohne in Extreme gehen zu müssen. Das nimmt mit auf eine redliche, aufmerksamer Klangreise, der die Dänen gern folgen. Und die ihre Sinnesorgane bereit machen für den neoklassisch kühlen, dann wieder melodiewarmen Martinů. Den spielt Frank-Peter Zimmermann nüchtern und mit Verve, er lässt es glitzern und fein strahlen.
Er glaubt fest an das mitunter spröde, repetitive Werk, das zudem technisch höchste Ansprüche stellt. Er wird es bald, das zweite Konzert Martinůs ist bereits eingespielt, in dieser Konstellation bei BIS auf CD veröffentlichen. Und es auch gleich nochmal nächste Woche mit Jakob Hrůša (es ist dessen Debüt) bei den Berliner Philharmonikern aufführen. Das nennt man klug überlegte Hingabe. In Weimar hat er es kürzlich erstmals überhaupt gespielt. Bis Weihnachten werden es 21 Konzertauftritte damit sein. Was einiges sagt über Zimmermanns Marktwert, und wie er seine Programme diktieren kann. Respekt! Die Musiker und auch ihr Chef aber tun sich erstmal an dem hinterher mit Empfehlungen des dänischen Radioorchesters backstage ausgeschenkten Freibier gütlich. Diesmal dürfen die Busse noch ein wenig warten. Während Intendant Marcus Rudolf Axt mit dem Tourveranstalter schon mal über eine mögliche, baldige Rückkehr nach Kopenhagen nachdenkt. 2020 ist schließlich das Jahr der deutsch-dänischen Freundschaft…
Der Beitrag Es klingt so golden: die Bamberger Symphoniker in Kopenhagen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.