Typisch. Bryn Terfel setzt sich auf die Treppenstufen, zieht sich einen Schuh aus, riecht daran, meint dann Fliederduft zu verspüren und sing sich eins. Bei der nächsten Nummer zupft er gar den Gastgeber allzu vertraulich am Haar, streicht ihm über’s Embonpoint, so dass die daneben platzierten Königlichen Hoheiten schon mal vorsorglich ein paar Zentimeter wegrücken. Aber keine Angst, der walisische Weltstar kennt seine Grenzen und würde die gerade bei einer feierlichen Preisverleihung keineswegs überschreiten. Höchstens lockert er den zeremoniösen Rahmen etwas auf. Und das ist auch fein so. Denn festlich, aber angemessen, ohne zu viel Gedöns, herzlich und liebevoll der Stifterin im Gedenken zugewandt. So war sie nämlich, die vierte Verleihung des Birgit Nilsson Preis im Königlichen Opernhaus Stockholm in Anwesenheit von König Carl XVI. Gustaf und Königin Sylvia. Und welch glückliche Zufall, dass just zum 100. Geburtstag der größten schwedischen Sängerin, die nicht nur die Wagnerbühne jemals gesehen und gehört hat, von der Jury eine andere schwedische Hochdramatische nun mit diesem renommierten, mit einer Million Dollar dotierten Preis für ihrer künstlerische Exzellenz bei noch gleichzeitiger Präsenz in der Musikwelt ausgezeichnet wurde: Nina Stemme, die zwei Tage vorher noch den mittleren von drei „Ring“-Zyklen am Royal Opera House Covent Garden hinter sich gebracht hatte und jetzt mit Mann, drei Kindern, Mutter, Schwester und weiteren Anverwandten sichtlich gerührt den Award entgegen nahm. Hatte sie doch hier schon, am der gleichen Stelle, auf der die Nilsson wie sie selbst ihre ersten Bühnenschritte unternommen haben, vor neun Jahren Isloldes Liebestod gesungen. Damals war als erster Preisträger Plácido Domingo ausgezeichnet worden, noch von der Nilsson selbst bestimmt. Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker sind ihm 2011 und 2014 nachgefolgt.
„She was – Birgit“, so beendete der Tenorissimo der gegenwärtig in Los Angeles immer noch nicht vom „Don Carlo“-Posa lassen kann, seine freundliche Videobotschaft. Überhaupt war die Gala wieder fein ausgerichtet, ein letztes Meisterstück von Nilssons treuem Wiener Freund, Sachverwalter und Stiftungsvorsitzenden Rutbert Reisch. Der wird auch nicht jünger und hat deshalb jetzt die Stiftung an die Königlich Schwedische Musikakademie übertragen. Deren Vorsitzende Susanne Rydén bedankte sich bewegt. Und auch vorher schon hatte er seine Sache ziemlich gut gemacht. Mit Reischs überaus tätiger Mithilfe erschienen zum 100. Nilsson-Geburtstag ein kiloschweres Fotobuch, eine neue TV-Dokumentation, die Wiederauflage ihrer Memoiren auf Englisch, einen 31-CD-Box mit Liveaufnahmen (Sony), und auch die Decca hat ihre kompletten Nilsson-Einspielungen auf über 80 CDs gepackt. Und im Opernhaus ist auch noch eine Ausstellung mit Nilsson Memorabila zu sehen. Mehr Nilsson geht fast nicht.
Und so war jetzt die Geburtstagsfeier samt 4. Preisverleihung auch der richtige Zeitpunkt für die Staffelübergabe. Denn die Schweden scheinen sehr gut zu wissen, was sie an der Bauerstochter aus Schonen haben, die auch heute noch als leuchtende Wagnerrakete mit präzisem Stimmlaserstrahl der Nachwelt präsent ist. Fanfaren, Hymnen und royaler Glamour unterstrichen das nur. Auch Peter Mattei, Christof Loy und Pavol Breslik saßen im Publikum Und immer stand der Nilsson-Spruch im Raum, vom sich Zeit lassen, aber den richtigen Moment erkennen können. Musikalisch umrahmt wurde die Gala von der Sopranistin – keine Verwandtschaft – Christina Nilsson, die unter Leitung von Evan Rogister mit der der Kungliga Hovkapellet drei skandinavische Lieder sang. Später folgte dann raumfüllend Bryn Terfel mit dem Holländer- und Sachs-Monolog, sowie der Ansprache von Verdis Falstaff. Beim Galadinner im Spiegelsaal des Grand Hotels spielte zudem Leif Ove Andsnes Klaviermusik von Grieg und Chopin.
Vorher aber hielt noch die Ex-Sängerin und Operndirektorin Brigitta Svendén die Laudatio auf die Stemme, die sie seit fast ihrem ersten Sopranistinnenton kennt. Und auch die Geehrte im fuchsiaroten Paillettenkleid erinnerte sich gerührt daran, wie oft sich die Wege der Nilsson mit ihrem kreuzten, seit sie ein Nilsson-Stipendium zugesprochen bekommen hatte. Und dass sie sich bei ihr noch per Fax Rat holen konnte, ob sie jetzt wirklich mit der Isolde in Glyndebourne ihre erste hochdramatische Rolle angehen sollte: „Die und alle anderen auch“, hat die Nilsson gesagt. Der gehörten dann die letzten offiziellen Worte, besser Töne des Abends – als Elektra.
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