Die Frage kam dann doch noch, am Schluss der Pressekonferenz in einem der vielen vergoldeten Spiegelsalons in der Stockholmer Oper, am Morgen nach der Verleihung des Birgit Nilsson Preis an Nina Stemme. Was sie denn mit der Million Dollar Preisgeld anzufangen gedenke….und Rutbert Reisch, der scheidende Stiftungsvorsitzende, ging entschieden dazwischen. Birgit Nilsson auf deren Gagen und die kluge Anlage ihres Mannes der üppige Geldsegen zurückgeht, hätte das entschieden dem Auszuzeichnenden überlassen. Man frage ja auch Günter Grass oder Barak Obama nicht, wofür sie ihr Nobelpreisgeld verwendet hätte. Doch Nina Stemme hakte doch ein, sie könne noch nichts sagen, aber klar, sie habe sich auch Gedanken über ihr Erbe gemacht, wenn sie einmal nicht mehr sänge und die Nilsson sei da ja mit einem sehr guten Beispiel vorangegangen…Und überhaupt, wenn sie ich etwas wünschen dürfte, dann ein neues, größeres, flexibleres nationales Opernhaus in Stockholm für die vielen Begabungen im Lande. Denn das historische Gebäude sei doch allzu beschränkt.
Aber auch wenn ein Rückzug der gegenwärtig besten Hochdramatischen der Welt noch einige Jahre auf sich wird warten lassen, da wird was passieren. Und die anderen Preisträger bisher sind ja ähnlich verfahren. Plácido Domingo hat das Geld gleich für einen Nilsson Award bei seinem Operalia Wettbewerb gestiftet, die Wiener Philharmoniker haben dafür ihr Archiv renoviert, digitalisiert und zugänglich gemacht. Und auch Riccardo Muti, der nichts hat verlauten lassen, dürfte es vermutlich seinem Cherubini Jugendorchester haben zukommen lassen.
Jedenfalls offenbarte Nina Stemme an diesem strahlenden Herbstmorgen wieder einmal ihre schwedische Strukturiertheit und Klarheit. Ruhig erzählte sie, wie sie sich die Musik eigentlich mit viel Interesse erarbeitet habe, dass die Begabung nie eine besondere gewesen sei und wie sie erst mit einem Mathematikstudium begann, dann aber doch der Ruf der Oper stärker geworden sei. Und – da capo – wie sehr doch ihr Wahlspruch „Hurry, but slowly“ sich bewahrheitet habe. So wie die Schweden offenbar als Sänger reüssierten, weil sie zielgerichtet, pragmatisch und fleißig seien. Und später, im persönlichen Gespräch, offenbart sie dann, wie sie selbst heute noch nach jedem „Ring“-Zyklus ausgelaugt ist, wie sehr sie sich selbst in Brünnhildes Schlussszene konzentrieren muss, es eigentlich nicht laufen lassen kann: „Alle im Saal, ich auch, wollen diesen Moment in Erinnerung behalten, also muss ich da immer alles zusammen nehmen, um wirklich gut zu sein. Und Wagner hat da noch einige böse Sachen komponiert, vor denen ich immer noch Angst haben. Routine gibt es nicht, das hatte ich mir vor 15 Jahren, bei meiner ersten Isolde noch anders vorgestellt.“
„La Bohème“ war ihre erste Oper, und Mimì hat Nina Stemme auch als erste komplette Partie auf Schwedisch an einer kleinen Bühne gesungen. Da also begann es. Und dreimal, das gibt sie auch zu, hat sie gegen den Rat ihrer Agentin gehandelt: bei ihrer ersten Senta in Antwerpen, bei der „Faust“-Marguerite, die sie unbedingt singen wollte und dann sehr genossen hat. Und bei der Isolde: „Aber da hat Birgit Nilsson den Segen dazu gegeben.“ Deren letzte Rolle war übrigens die Färberin in der „Frau ohne Schatten“. Nina Stemme singt sie 2019 erstmals an der Wiener Staatsoper zu deren 150-jährigem Bestehen. Und es wird wohl nicht die letzte Partie sein. Über die Küsterin in „Jenufa“ denkt sie nach. Sehr sogar.
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