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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Und die „Traviata“-Zeit bleibt in Luxemburg stehen – dank Teodor Currentzis und Nadezhda Pavlova

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Die blaue Verdi-Stunde verdämmert nicht, sie verdonnert. Zeitweise. Und das ist auch gut so. Denn der italienische Komponist bietet einen Werkkorpus, bei dem sich der in Russland wirkende griechische Dirigent Teodor Currentzis so richtig austoben kann, im Lauten wie im Leisen, im Harten und im Zarten. Das hat er 2016 so sinnfällig wie selten am Zürcher Opernhaus in dem düsteren, zynischen, aber auch opulent grellen „Macbeth“ grandios unter Beweis gestellt. Wobei ihm die minimalistisch clevere Regie Barrie Koskys und eine perfekte Sängerschar ideal zuarbeitete. So ist es jetzt auch im begeistert erbebenden Grand Theâtre de Luxembourg, wo für nur drei szenische „La traviata“-Vorstellungen Currentzis und seine MusicAeterna-Truppe aus Perm gastierten. Die Produktion von Altzaubermeister Robert Wilson stammt aus Linz, wo sie 2015 mit lokalen Kräften herauskam. 2016 wanderte sie an die koproduzierende Oper am Ural. 2017 erhielt man dafür in Moskau den begehrten russischen Theaterpreis Goldene Maske. Jetzt gastierte man in Zentraleuropa. Konzertant in Köln (wo sich Currentzis – wie auch in der „Aida“ – überraschend von seinem Assistenten vertreten ließ), am 18. in Dortmund und am 20. in der Elbphilharmonie. Aber komplett war diese denkwürdige „Traviata“ jetzt nur an dem prestigeträchtigen Bespieltheater in Luxemburg zu sehen.

Wilson als Strippenzieher und Currentzis als Musikmanipulator. Neun Neonröhren halten auf Distanz. Im leeren, nur durch indirektes Licht oder Punktscheinwerfer kostbar und immer wieder verblüffend gegliederten Bühnenraum inszeniert Robert Wilson einen seiner üblichen Totentänze. Er haben in der „Traviata“ bisher nur Kitsch und Sentimentalität erlebt, lässt er verlauten. Auch er liefert nur die üblichen Wilson-Manierismen, aber diesmal gehen sie auf. Bleiche Puppen mit wilden Frisuren und zuckendem Gehüpfe meiden jeden Naturalismus, die Violetta steht nicht selten frontal und allein zum Publikum – wie alles Miteinander hier ein isoliertes ist. Personen laufen und singen aneinander vorbei, folgen einem strengen Bewegungs- und Gestenmasterplan in einem oft fernöstlich anmutenden Schattentheater. Frostig steif sind die uniformartigen Roben und Fräcke, im ersten Akt hängen ein paar Platten und Stangen herum, durch den zweiten fahren blattlose Büschen, heben und senken sich Lämpchen. Im dritten steht nur noch eine Liege, die irgendwann weg ist, der Traviata-Tod ereignet sich im Stehen als Schattenspiel.

Optisch nichts Neues also unter der kalten, immer nach Nô-Theater riechenden Wilson-Sonne. Aber es ist erstaunlich, wie das musikalisch aufgeheizt wird, sich spannungsvoll entlädt oder zartsanft verdämmert. Ganz bewusst ist die Klangfarbendramaturgie von Teodor Currentzis, und er gibt dem oft gespielten Stück neue Spannkraft und Suspense. Die Pauke knallt mit Holzschlegeln in die Aktschlüsse, die Geigen spielen oft vibratolos hart. Mit bewussten, strengen Ritardandi gliedert er die Nummern, besonders die Chöre und Aktschlüsse. Bedeutungsvolle, dramatisch aufgeladenen Pausen gibt es am Ende des Violetta-Germont-Duettes. Im letzten Akt wird oft nur mit halber Stimme, gefährlich leise gesungen. Ganz neue Farben scheinen da auf, die Verdi-Partitur klingt aufregend frisch und blankgeputzt. Dabei schwingt sich Currentis selten zum Dompteur auf, er lenkt, aber alle folgen willig, atmen lebendig. Ein Zuchtstück, aber eine sehr bewusste, in jeder Note erfüllte und bebende Verdi-Deutung.

Vom Protagonisten-Trio sind Airam Hernández (Alfedo, er sprang kürzlich in Weimar bei der Liszt-Ausgrabung „Sardanapalo“ ein) und Dimitris Tiliakos (Germont) oberer Durchschnitt, beide ermüden rasch und verhärten im Forte. Herausragen ist freilich Nadezhda Pavlova als Violetta. Nicht nur, dass sie ein lupenrein interpoliertes hohes Es in der Arien-Cabaletta hält und in den Duetten viele Farbmischungen offenbart. Bannend fahl und mit fast brechender Stimme singt sie alle Strophen des „Addio del passato“, sie fügt sich als nur mit ihrer Stimme lebendes und bebendes Kunstgeschöpf perfekt in das artifizielle Wilson-Ambiente ein – und wird getragen vom wissenden, liebenden, fordernden Dirigat des Teodor Currentzis.

Der Beitrag Und die „Traviata“-Zeit bleibt in Luxemburg stehen – dank Teodor Currentzis und Nadezhda Pavlova erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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