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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Todeskreis des Verismo-Doppels: Die irische Wexford Festival Opera eröffnet sinnig mit Leoni und Giordano

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„Sinne Fianna Fáil / Atá faoi gheall ag Éirinn“ – „Wir sind Soldaten / Deren Leben Irland geweiht ist“. Mögen beim Wexford Festival im lieblichen Südosten Irlands auch stetig neue, unbekannte Opern gespielt werden, es sind immer die gleichen Noten und Worte, die hier jeden Abend von neuem als Erstes im schmucken National Opera House ertönen. Denn vor die Raritäten haben Veranstalter und Nationalstolz die irische Hymne gesetzt. Doch die Uniform des versammelten Kulturbataillon ist der Smoking und das bisweilen etwas exzentrische, nicht immer passgenaue Abendkleid; am liebsten mit irgendeinem grünen Twist, von der Stola bis zum Ohrgehänge oder gefährlich hohen Stilettos. Es sind nur noch drei Jahre bis zum 70. Geburtstag, aber das Wexford Festival, oder besser die Wexford Festival Opera grünt (noch mehr als sonst in Irland) und gedeiht. Der noch bis zur 2019-Ausgabe als Intendant amtierende amerikanische Dirigent David Agler hat für die üblichen drei Premieren neuerlich seine Geschmacksfavoriten, Italienisches und anglophon Zeitgenössisches eingebracht. Doch selten gab es bei einem eine notorisch besetzungsänderungfreudigen Festspiel so viele Spielplan-Wechsel. Allein die Hälfte der diesmal – mit zwei Einaktern – vier Titel wurde ausgetauscht. Die „Urfassung“ von Gounods „Faust“, die die Stiftung Palazetto Bru Zane im Frühsommer in Paris herausgebracht hatte, schien Alder dann doch zu wenig originell, zumal er kaum so superbe Franzosen für die Besetzung hätte aufbringen können. Und auch aus dem Verismo-Doppel verschwand diesmal Camille Saint-Saëns’ operettige „La Princesse jaune“. So blieb aber die europäische Erstaufführung der 2017 bei der koproduzierten Michigan Opera uraufgeführten neunten Oper des 80-jährigen William Bolcom, „Dinner at Eight“, nach dem gleichnamigen Konversationsstück und Hollywood-Klassiker von George S. Kaufman und Edna Ferber im Programm. Saverio Mercadantes „Il bravo“ gibt es statt Gounod, und im gemischten Versimo-Doppel fanden sich jetzt zur Eröffnung Francesco Leonis „L’Oracolo“ und Umberto Giordanos „Mala Vita“ zusammen.

Fotos: Clive Barda

Man stellte dann auch nach der Pause fest, warum diese beide Einakter, 1905 in London und 1892 in Rom uraufgeführt, gepaart worden waren. Die griechische Regisseurin Rodula Gaitanou (hier schon 2016 mit Barbers „Vanessa“ sehr geschmackvoll erfolgreich) hat sie nämlich im selben Brickstone-Hauswürfel mit vier Fassaden  angesiedelt, das Ausstatterin Cordelia Chisholm atmosphäresatt entworfen und hinter einer Bogenlampe und einem Hydranten platziert hat. Zunächst muss der mit Opiumhöhle, Gemischtwarenladen und Apotheke für Chinatown in San Francisco erhalten, wo sich das sinistre Geschehen samt zwei Morden der Leoni-Oper ereignet.

Die wurde immerhin 2009 auch mal in Frankfurt gespielt. Man kennt sie aber, obwohl an der Covent Garden Opera, von dem in England seine größten Erfolge feiernden, schnell wieder vergessenen Komponisten herausgekommen, nur als sehr ausgefallene guilty pleasure aus dem üppigen Plattenkatalog des Ehepaars Joan Sutherland und Richard Bonynge. Vor allem wollte sich damals wohl der alternde Tito Gobbi in der Rolle des wirklich fiesen Schurken Cim-Fen verwirklichen, der einen kleinen Jungen entführt, um an die geliebte Frau heranzukommen und gleichzeitig seinen Nebenbuhler auszuschalten.

Der 70-Minüter beginnt mit einen Hahnenschrei und endet diesmal mit einem unter Publikumsstöhnen mit dem Hackebeilchen aus einem noch warmen Köper herausgeholten, blutig triefenden Herzen. Aber schon die alten Griechen scheuten dein Grand Guignol, nicht, auch wenn sie nicht wussten dass solche Kruditäten mal so heißen würden; also langt auch ihre moderne Nachfahrin so effektvoll wie beherzt zu. Beinahe atemlos lässt sie die personenreiche, rasche Handlung sich abspulen. Da wird geprügelt, geliebt und gebarmt und dabei vollsaftig gesungen und musiziert.

Der in diesem Repertoire vor Ort ebenfalls bewährte Francesco Cilluffo holt aus dem gut aufgestellten Festival Orchester viele Farben und Emotionen heraus, setzt auf schroffe Dynamik, grelle Kontraste und kurze, melodiöse Inseln. Der Anfang könnte mit seiner Salon-Pentatonik und seinem Naturalismus fast Puccinis 3. „Bohème“-Akt sein, zumindest diesem Komponisten hat der metiersichere, aber wenig individuelle Leoni genau studiert.  Und Rodula Gaitanou lässt nichts aus, bis hin zum chinesischen Neujahrsdrachen. Realistisch direkt ist ihr Zugriff auf das sich wie die Häuserfronten schnell drehende Karussell der Personen. Ebenso in Umberto Giordanos juveniler Kurzoper „Mala Vita“ (zu Saisonanfang auch in Gießen herausgekommen), die aus Neapel nach Little Italy verlegt wurde: Wir sehen wieder die gleiche rotierende Wohnkiste mit Feuertreppen, diesmal aber mit Schusterladen, Café Napoli und Stundenhotel-Eingang im Erdgeschoss.

So versammelt sich neuerlich auf engstem, intensivierendem Spielraum das (in den Männerstimmen weitgehend identische) Singpersonal. Diesmal geht es um einen todkranken Schuster, der in einem plötzlichen Anfall von Religiosität unter einem Kreuz gelobt, sich einer gefallenen Frau zu widmen. Die findet er in der einen Stock höher praktizierenden Prostituierten Christina. Gleichzeitig hat er er Tuberkulöse aber noch  Energie für ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau. Das erinnert durchaus an das Modell all dieser Opern, Mascagnis „Cavalleria Rusticana“, und so gibt es ebenso melodisch kurzatmige, aber nicht sich festsetzende Kirchenchöre, ein Intermezzo, Ariosi und Duettfetzen. Am Ende bleibt Christina allein, und andern als im Libretto, bringt sie sich um. In Wexford schließt sich der Todeskreis des Versimo-Doppel.

Das ist realistisch und rustikal inszeniert, der Chor trumpft groß auf, das Orchester lässt es krachen, Gleichzeit ist es hinreißend vulgär und man fühl sich fast ein wenig schuldig, sich daran so genussvoll zu delektieren. Die rollendeckenden Sänger sind allesamt auf der robusten Seite, lassen es flackern und lodern, lieber mit Überdruck als zu sensibel. Der Leoni-Bösewicht Leon Kim kehrt hier als basssatter Nebenbuhler Annetiello zurück, das Leoni-Opfer, der etwas pressende Tenor Sergio Escobar, ist als hustender Vito nicht nur unschuldig an den Liebesverstrickungen.

Die hilflose Nichte, für die im „L’Oracolo“ gemordet wird, singt Elisabetta Farris mit Leidenschaft, aber schon Joan Sutherland hatte da kaum zu tun, es ein Männerstück. Während in „Mala Vita“ die Frauen zumindest gleichwertig vorkommen: Francesca Tiburzi steigert sich in einer von vielen Erstlingsrollen der Verismo-Diva Gemma Bellincioni sehr schön zur ehrbaren Dirne mit dem golden Herzen, und Dorothea Spilger gibt mezzogeschmeidig die angeblich anständ’ge Ehefrau Amalia. Hier kochen die Emotionen, aber nie fliegt der Topfdeckel davon: Die Wexford Festival Opera 2018 wurde animierend eröffnet. Draußen mit dem üblichen, von der ganzen Stadt bestaunten Feuerwerk, drinnen mit einem brodelnden Operndoppel.

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