Die Iren nennen die Wexford Festival Opera „A hidden gem“, obwohl sie mehrere Preise darunter 2017 bei den Opera Awards die Auszeichnung für das beste Festspiel gewonnen hat. Also ganz so versteckt ist das Musiktheatergeschehen dort wohl nicht. Die Regierung der klammen Nation hat eine Million Euro für den Unterhalt des vor zehn Jahren eröffneten neuen Hauses gespendet, dass sich stolz National Opera House nennen darf. Obwohl das Festival nur 15 Abende darin spielt, ab und an mal für eine „Orfeo ed Euridice“-Vorstellung die wieder mal neugegründete, auf wackeligen Füßen stehende Irish National Opera hier gastiert, ansonsten obskure russische Ballettkompanien, Elvis- und Tina-Turner-Imitatoren oder Comediens das 900-Plätze-Haus füllen. Doch die ganz Stadt, vom Fringe-Festival über die Tageskonzert bis zum Sing-along in den Pubs, zieht mit. Und Wexford, an der idyllischen Südostküste des Landes gelegen, bietet, wenn man von Dublin mit dem Auto kommt, Gelegenheit, ins nahe New Roos (Heimat der Kennedys), Waterford (Kristallfabrik, älteste Gebäude – ein Wehrturm – Irlands) oder ins syperidyllische Kilkenny (nicht nur Bier) zu fahren. Auf dem Hin- und Rückweg locken zudem zwei der schönsten Herrenhäuser, Powerscout mit seinen herrlichen Gärten, und das palladianische Russborrough House mit einer bedeutenden, schon viermal beklauten (und wiedergefundenen) Gemäldesammlung sowie einer spannenden, deutsch verlinkten Familiengeschichte, die auch mit der Wexford Opera zu tun hat. Viele Vorteile und Gründe also, mal der Oper wegen nach Irland zu fahren (Ireland Tourism unter ireland.com/de-de hilft gern). Und so verschmerzt man es auch, wenn nach zwei gelungen Premieren die dritte rare Novität mal wieder ein Stinker ist, so fällt hier nämlich meist die Bilanz aus. Diesmal ein Rohrkrepierer: „Il bravo“ von Saverio Mercadante.
Diese Schmonzette über einen gedungenen Meuchelmörder (eben einen „bravo“, Tizian hat einen solchen auch gemalt, hängt eine in Wien) wurde 1839 an der Mailänder Scala uraufgeführt. Und sie ist ebenso vergessen wie die anderen über 50 Opern dieses leider nur mittelmäßigen Komponisten (der angeblich den bösen Blick hatte), der als Bindeglied zwischen den Belcantisten und dem frühen Verdi halt operngeschichtlich wichtig ist. Und auf den man immer wieder kommt, wenn es mal eine unbekannte italienische Oper sein soll. So wie in Wexford, wo er nun schon zum sechsten Mal auf der Menükarte stand. Und auch das meist nur gefällig bunt ausstattende, selten deutende Regie/Design-Team Renaud Doucet und André Barbe ist hier bereits zum vierten Mal am Werkeln.
Das Ergebnis: ein öder Dreiakter, bei dem die von Jonathan Brandani zwar mit viel Temperament angefachte Musik immer ordentlich Wellen schlägt, aber musikalisch nur wenig dabei herauskommt. Es klingt hohl und formelhaft, ohne jede Inspiration, höchstens ein Duett für die beiden Frauen, die schartig singende Teodora (Yasko Sato) und die wunderbare Fiorituren spinnende und Bögen schwingende Violetta (Ekaterina Bakanova, eine russische Entdeckung), die sich eben als Mutter und Tochter wiedergefunden haben, bleibt in Erinnerung. In dem absurden Plot erweist sich dann der bravo (Rubens Pelizzari mit ordentlich belastbarem Tenor) ebenfalls als Mörder seiner Frau, die aber noch lebt. Sich dann freilich selbst entleibt, weil er es nicht mehr machen mag. In der unverständlichen Story, die auf James Fenimore Cooper zurückgeht, spielen auch noch der Doge, der venezianische Rat der Zehn sowie die Patrizier Pisani (Alessandro Luciano) und Foscari (Gustavo Castillo) eine so unrühmliche wie wirre Rolle.
Und weil schon der Amerikaner in Unkenntnis des Ortes hier alle nur möglichen Italo-Klischees durchdekliniert, ist auch die schaufensterhübsch arrangierte Inszenierung reine Dekoration. Da wurden meterweise Brokat und Seide in historische Kostümberge verwandelt. Weil man schon nichts Steiles zu erzählen hat, tut man das wenigsten in steilen Perspektiven, die vedutenhaft mit Campanile und Domkuppeln die Handlung rahmen. Und weil die schon so lang her ist, wir sie oberflächlich gebrochen durch einen Staubhaufen der Geschichte, über den zwischendurch ordinäre Touristentruppen von heute schlurfen. Zivilisationskritik? Möglicherweise. Die platte, lachhafte Handlung wertet das jedenfalls nicht auf. Doch nach dem Wexford Opera Festival ist vor dem Wexford Opera Festival. Auch wenn wir noch auf das nächstjährige Programm und – viel wichtiger – auf die neue Intendanz warten müssen.
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