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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Mörderin Salome: Der Amerikaner Ted Huffman inszeniert in Köln „Salome“ als definitiv letzte „House of Cards“-Folge

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Die letzte aufrüttelnde „Salome“-Inszenierung, das war die manipulativ verrätselte, gleichwohl Furore machende und nächsten Sommer wiederaufgenommene Installation von Romeo Castellucci bei den Salzburger Festspielen. Mit dem die Härte und Modernität der Partitur betonenden Franz Welser-Möst am Wiener-Philharmoniker-Pult und der kühlen Kindfrau Hasmik Grigorian, die nicht tanzte, sondern sich bewegungslos unter einen herabsenkenden Felsbrocken legte. Und jetzt folgte, im manierlichen, mindestens bis 2023 andauernden Kölner Opernprovisorium Staatenhaus der junge Amerikaner Ted Huffman. Der ist in Aix-en-Provence, Frankfurt und Zürich als sorgfältiger Realist aufgefallen, einer der die alten Stoffe wirklich befragt und nicht nur selbstherrlich umdeutet. Und so inszeniert er nun auch zum zweiten Mal in Deutschland diesen stetig wieder packenden Strauss als Polit- und Feminismus-Thriller, mit einem langsam sich andeutenden, blutigen Ende. Und mit merkwürdiger Nähe zur zum Premierenzeitpunkt noch gar nicht veröffentlichten letzten Staffel von „House of Cards“. Denn ähnlich wir dort ist die Atmosphäre im Palast des Herodes unterkühlt und aseptisch, rastet die gedemütigte Salome am Ende gegen die Männerwelt aus wie die immer mehr der Lady Macbeth ähnelnden Claire Underwood als rachesüchtige US-Präsidentin.

Fotos: Paul Leclaire

Bühnenbildner Ben Baur hat die weiße Säulenreihe im Staatenhaus gespiegelt und einen langen Galeriegang auf die offene Bühne gestellt. Links sitzen angekettete, merkwürdig geklonte Frauen in rosa Kleidern, die immer wieder zu offensichtlichen Sexquälereien der Nomenklatura weggeschafft werden. In der Mitte, hinter einer Doppeltüre, greint Jochanaan (der wohlstimmige Markus Marquardt) in seiner Zisterne. Hinten rechts feiert unsichtbar die Palastkamarilla, und weiter vorne, über ein paar Stufen zu erreichen ist – quasi als bombastische Tafelmusik – ist das Gürzenich-Orchester platziert. Der eben frisch bis 2022 verlängerte François-Xavier Roth dirigiert es, man sieht es auch sehr schön, wirklich elfenfein. „Salome“ als Schwester der Impressionisten, trügerisch sanft, kostbar klingend, aber auch lauernd und leise brodelnd; nur am Ende gleißend und gellend grell. Zu Recht, wie sich zeigen wird. Ein frischer, ungewöhnlicher Zugang, der das Stück deutlich von der Expressivität der „Elektra“ absetzt, es mehr im 19. Jahrhundert mit seinen Exotismen und Orientalismen verwurzelt, als dass er die Tür zum atonalen 20. Jahrhundert aufreißt.

Ted Huffman lässt sich Zeit. Langsam und atmosphärisch dicht kreiselt er das Geschehen an diesem tyrannischen Hof ein, der ein ganz heutiger sein könnte. Der in Salome verliebte Hauptmann Narraboth (tenorklar: Dino Lüthy), der sich später sehr lebensecht erschießt und sein bärtiger Page (Judith Thielsen), sie stecken in den gleichen Elitesoldatenuniformen. Die Salome der nur langsam aufblühenden, nordisch strahlhell klingenden Ingela Brimberg erweist sich als reife, durchaus erfahrene Frau, die sich trotzdem in den zotteligen Wunderprediger mit seinen Gesundsandalen verguckt. Weil er so anders ist, weniger toxisch als die übrige Palastbelegschaft? Nur eine rotgewandet stumme Vertraute scheint der Prinzessin nah. Bestimmt aber nicht die Mutter und der Stiefvater, Teil einer Dinnerrunde in Smoking und Abendkleid (Kostüme: Annemarie Woods), die auch die säkularisierten Juden und Nazarener miteinschließt. Sie alle laben sich am Essen wie an den identitätslosen Sexsklavinnen. Hauptsache nahe dran an der Macht – mit all ihren hässlichen Begleiterscheinungen.

Das eskaliert langsam, aber intensiv. Denn Herodes (präsent, stimmlich fast ein wenig klein: John Heuzenroeder) ist nicht mehr wirklich Herr der Lage, und seine fiese Gattin Herodias (eine weitere von Michaela Schusters famosen Scheuchen mit Fuchspelz) feixt sich darüber eins. Nur Salome, die hat auch sie nicht mehr im Griff. Ihr Tanz ist eine lauernde, minimalistische Verführung des Lustgreises, der schließlich nur noch auf ihren sliplosen Schoß fixiert ist. Sie spult, unterstützt von den anderen, ablenkenden Frauen, die Nummer ab mit der kalten Professionalität einer Stripperin, hier bleibt sie nicht nur gedanklich angezogen. Doch eine Grenze scheint für sie überschritten, jetzt rastet sie aus und rast, tötet den Jochanaan selbst mit dem Messer, und erstickt, was noch lebt und zuckt – ohne einen Kuss von bitterer Liebe.

Und natürlich wird hier nicht Salome am Ende unter den Schilden der „Tötet dieses Weib“-Soldateska erschlagen (wann sah man so was eigentlich zuletzt?), hier rastet sie aus wie Uma Thurman bei Tarantino: Eine Killer-Biene die mit ihrer Freundin-Vertrauten die geschundenen Frauen von der Leine lässt, um gemeinsam die Unterdrücker zu erschießen und zu erstechen. Das wirkt in seiner kalkulierten Steigerung umso unmittelbarer, weil die Stimmen hier nicht hinter der Orchesterwoge gischten, sondern sind frei und nackt vor dem Hörer entfalten. Und am Ende: Salome lebt!

Ein Frau ballert sich frei, Straussploxation am Rhein. Ein Massaker als Knalleffekt, blutig, bestialisch, biblisch nicht korrekt. Und erst aus der Rückschau erschließt sich, wie sorgfältig hier Regisseur und Dirigent gemeinsam auf diesen einen gleichen, brutalen, grausamen, wirklich kathartischen Moment hingearbeitet haben. Ohne Strauss zu verraten, aber ihn neu auszuleuchten und klingen zu lassen. Chapeau!

Der Beitrag Mörderin Salome: Der Amerikaner Ted Huffman inszeniert in Köln „Salome“ als definitiv letzte „House of Cards“-Folge erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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