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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in Taiwan I: Asiatisches Runterkommen mit Edvard Grieg

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Da sitzen also um die 100 meistenteils europäische Spitzenmusiker vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, verteilt auf mehrere Karaoke-schrille Busse, jetleg-müde da und fahren durch eine abendliche taiwanesische Stadt, von der eigentlich alle vor einigen Wochen noch nie etwas gehört hatten. Und von der sie auch jetzt meistenteils noch nicht einmal den Wikipedia-Eintrag gelesen haben. Also, ganz schnell: Kaohsiung ist mit einer Agglomeration von 2,7 Millionen Menschen die zweitgrößte Stadt der Inselrepublik China, sprich: Taiwan. Dank einer seit zehn Jahren fahrenden Schnellbahn ist sie auf 90 Minuten an die Hauptstadt Taipeh auf der anderen Küstenseite herangerückt. Hier liegt der größte Hafen des kleinen, vielfach von Holländern, Portugiesen und Japanern besetzten Landes. Es gibt den Liebesfluss und einen Lotusteich samt Konfuzius-Tempel. Deutsche Partnerstadt ist die Region Erzgebirge. Und seit Oktober steht hier das größte Kulturhaus der Welt, das von einer niederländischen Architekturfirma den lokalen Banyan Bäumen nachempfundene, 3,3 Hektar große National Kaohsiung Center for the Arts, das dritte nach ähnlichen Einrichtungen in Taipeh und Taichung. Dort treten heute Abend als erstes Westorchester die Berliner Philharmoniker unter Gustavo Dudamel auf und morgen die BR-Symphoniker unter Zubin Mehta. Willkommen beim ganz normalen Wahnsinn des asiatischen Orchestertourneebetriebs!

Er wäre einmal interessant, nachrechnen zu lassen, was das so kostet. Gerade und gegenwärtig waren und sind in China, Japan, Südkorea, Thailand und Taiwan von Europa aus unterwegs: neben den Eliteklangkörpern aus Berlin und München, das Lucerne Festival Orchestra (BR-Pauker Raymond Curfs wie immer mit dabei), die Staatskapelle Dresden (auch davon ist ein BR-Musiker eben erst vor sechs Tagen zurückgekommen), das Konzerthausorchester Berlin, das Orchester der Tonhalle Zürich, die Münchner und die Wiener Philharmoniker – unter anderem. Den asiatischen Hörern scheint solches freilch nach wie vor liebt – und teuer. Was aber bringt den BR-Musiker ein Auftritt in Kaohsiung, wo man kaum etwas von der Stadt sehen wird? Im Gegensatz zu den Berliner Philharmonikern, die nur für ein paar Stunden aus Taipeh mit dem Zug für ein Konzert kommen, sind die Münchner drei Tage da. Die aber sind mit Proben vollgestopft.

Denn für diese Tournee, die während knapp drei Wochen dann noch nach Japan und China führt, musste einiges geändert und improvisiert werden. Chefdirigent Mariss Jansons hatte sich im Salzburger Sommer einen Virus geholt, seine letzte „Pique Dame“-Vorstellung nur mit Notärztin im Graben beendet und war dann erstmal auf die Intensivstation gebracht worden. Diagnose: nicht reisefähig für Asien. Wie gut, dass der bestens bekannte, gerade in dieser, nach den großen Namen gierenden und als Übermaestro sofort gebuchte Zubin Mehta Zeit hatte: der nach wie vor ausgebuchte 82-Jährige ist eben von einer schweren Krebserkrankung genesen und hatte für den Herbst seinen Kalender ausgedünnt. So konnte er jetzt einspringen, das Programm wurde etwas vereinfacht und ihm angepasst, statt Dvorak gibt es Mozarts Jupiter-Sinfonie, statt Mahlers 7. Sinfonie die handlichere Erste. Simone Young, Cristian Macelaru und Manfred Honeck waren in München eingesprungen, weil Mehta dort noch nicht konnte, jetzt kommt er aus Los Angeles angereist und muss mit dem ihm besten bekannten Orchester die von diesem eben gespielten Programme mindestens einmal ausführlich durcharbeiten.

Bis dahin aber ergehen sich alle in der gewohnten Tourneeroutine, haben auf Pausenmodus geschaltet, nachdem es höchsten durch die üblichen S-Bahn-Kapriolen zum Flughafen München wegen einer Stellwerkstörung noch etwas Anreise-Schwierigkeiten gab. Jeder hat so seinen Rhythmus, um die Reise via Frankfurt und Honkong nach Kaohsiung abzusitzen.

Der erste Bratschenwitz wird schon nach zehn Minuten im Flieger erzählt: Was ist der Unterschied zwischen einer Bratsche und einer Waschmaschine? Bei der Waschmaschine kommt der Schleudergang erst zum Schluss…Viel haben teure Kopfhörer auf, klinken sich akustisch aus, auch werden noch erstaunlich viele Bücher gelesen. Einer schmökert sogar in Stendhals „L Rouge et le Noir“ im Original. Aber das ist auch der frankoschweizer Solocellist Lionel Cottet.

Selbst der erstaunlich kleine Zielflughafen ist bereits weihnachtlich geschmückt, beim Anflug blinkerten mehrere Riesenräder in der nächtlichen Stadt, von der von den Busfenstern aus nur die üblichen Geschäftsstraßen und Hochhäuser zu sehen sind. Im Bus unterhalten sich Soloklarinette und Flöte über Kammermusikpartituren von Zelenka und Kuhlau.

Beim Landen spielte schon eine Barocktrompete im Flugzeug-Audioprogramm, der TV-Schirm im Hotelzimmer begrüßt mit Griegs „Hochzeitstag auf Troldhaugen“. Gegenüber machen sich es sich viele Musiker vor dem Convenience Store an Tischen mit einer Schlafbierdose bequem. Hochgefahren werden die Batterien nämlich erst wieder morgen.

Der Beitrag Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in Taiwan I: Asiatisches Runterkommen mit Edvard Grieg erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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