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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in Taiwan IV: Explodieren mit Strauß

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Sieben Nächte, vier Konzerte aber nur zwei Hotels, der diesjährige Asien-Tournee-Auftakt des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks hätte so bequem sein können. Kein nomadisches Dauerkofferpacken, Zeit auch für die drei taiwanesischen Städte Kaohsiung, Taichung und Taipeh. Aber der Ausfall von Mariss Jansons und die großherzige Zusage von Zubin Mehta, der erst in Asien dazustoßen konnte, brachte doch ein gehöriges Maß an zusätzlichen Proben. Die klaglos absolviert werden, sogar als am Tag nach der nächtlichen Zugankunft in Taipeh die hinter einer falschen Tempelfassade gegenüber dem Chiang Kai-shek-Memorial platzierte National Concert Hall nicht frei ist. Das BRSO muss sich ausgerechnet für erste gemeinsam Klangarbeit von Mahlers 1. Sinfonie mit einem viel zu kleinen Probensaal begnügen. Die Besetzung wird reduziert, keiner meckert, es muss eben improvisiert werden. Zubin Mehta sagt später sarkastisch, jedes amerikanische Orchester wäre da längst aus Saal marschiert und hätte nach dem Management gerufen. Und obwohl in dem Komplex auch noch diverse BR-Solisten Meisterklassen geben, fast jeder zu tun hat,  ist die Stimmung im proviantmäßig stets gut gefüllten Aufenthaltsraum des katakombenartigen Eighties-Gebäudes entspannt. Den zumindest ausgeschlafen sind jetzt alle. Immer wieder begegnet man sich selbst in der 2,7 Millionenstadt, auf dem Elefantenhügel oder auf der Aussichtsplattform des 101 Tapei Towers, zu dem das klare Sonnenwetter lockt, in der pannenlos schnurrenden U-Bahn, im Nationalen Palastmuseum mit den einmaligen Schätzen aus Pekings Verbotener Stadt als Kriegsbeute oder nur im hotelnahen Feuertopf-Restaurant. Mittags ist man bei Kiki, abends bei Fifi und auf den Werbe-Flatscreen säuselt Miss Kitty.

Gut 50 Nachwuchs-Perkussionisten haben sich allein zum Workshop von BR-Starklöppler Raymond Curfs an den Pauken und auf den Stühlen versammelt. So gewissenhaft wie smart arbeitet der Niederländer mit den naturgemäß asiatisch zurückhaltenden Eleven, bis die endlich auch mal die Lärmsau rauslassen. Es übersetzt die Paukerin des Nationalen Sinfonieorchesters. Sie hat in Detmold studiert, spricht übersprudelnd Deutsch, und sagt dem begeisterten BR-Kollegen ins Mikro, dass Mariss Jansons ihr Gott ist und das Orchester das Beste überhaupt sei. Kein Japaner würde sich so schnell so definitiv festlegen. Ja, die Taiwanesen sind oft so freundlich wie überschwänglich, ziemlich westliche Asiaten eben.

Auch die taiwanesischen Wettergötter sind dem Bayerischen Rundfunk gewogen. Obwohl es in Taipeh bei immer noch angenehmen, nicht zu feuchten 24 Grad wechselhaft geworden ist, bleibt der Tag des ersten Konzertes regenfrei. Das nämlich wird vor die Halle auf den Freiheitsplatz übertragen. Schon lange vorher sitzen die ersten Gratiszuhörer auf der riesigen, weißgepflastert sauberen Fläche, zwischen roten Teppichen. Viele haben sich ihr Essen mitgebracht, Musikfilmchen und zwei Moderatoren vor der mächtigen LED-Wand vertreiben die Zeit. Die zahlenden Besucher fotografieren sich innen auf den riesigen Marmortreppen, unter den ampelartigen Lüstern, vor den hängenden Gärten, vor allem aber vor den selfietauglichen Mehta-Plakaten.

Im Saal mit der das Podium beherrschenden Orgel müssen sie erst mit dessen eingeschränkter Mobilität klarkommen. Was mitunter für ersterbende Applaus-Irritationen sorgt. Weil man in Asien aber das Alter ehrt, fällt der Beifall noch enthusiastischer aus, nach dem letzten, ersterbenden Heldenlebenhornton hebt es die meisten aus den Sitzen, es wird gejohlt und geschrieben. Man sieht förmlich, wie solches Zubin Mehta gut tut, er scheint sogar ein wenig schneller mit sein Stock zu gehen. Zur Applausentgegennahme auf dem Platz aber muss er sich im Rollstuhl zeigen, das mag er gar nicht. Dafür steht das komplette Orchester glücklich vor der Projektionswand. Solche ausgelassene Stimmung, Fotoblitze, Klatschchöre, das haben sie sonst höchstens beim Münchner Odeonsplatz-Open-Air.

Und weiter wird am Mahler gefeilt, später auf der Tournee muss für den Japan –Teil auch noch das 1. Liszt-Klavierkonzert (mit Evgeny Kissin) und Sacre du Printemps geprobt werden. Mehta spielt die Erste inklusive dem ursprünglichen zweiten „Blumine“-Satz. „Ich finde es ausgewogener so“, sagt er. Auch im zweiten Taipeh-Konzert muss man dann sagen: Mahler kann er immer noch – in jedem Zustand. Da stimmen die Proportionen, die Tempi und Balancen. Das hat Spannkraft, Wärme, Schneid. Auch die hohl tönenden Melancholie des vom Solokontrabass in der Probe mal mit Dämpfer, mal ohne intonierten „Bruder Jakob“-Kanons als Trauermarsch fängt Zubin Mehta perfekt ein. Zugegeben wird diesmal die Explosions-Polka von Johann Strauß. Mehta zelebriert das bis zum großen Knall in Neujahrskonzert-Manier.

Damit ist die der Taiwan-Teil der aktuellen BRSO-Tournee auch schon wieder reif für die Orchesterannalen. Aber die Fans in Tokio, Hyogo, Kawasaki und Soul warten schon, noch sind sieben Konzerte zu absolvieren. Am 1. Dezember geht es ins hoffentlich winterlich-weihnachtliche München zurück!

Der Beitrag Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in Taiwan IV: Explodieren mit Strauß erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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