Freitag ist Countertenor-Tag in dieser kleinen Liste. Wir eröffnen den exklusiven Reigen mit einem, der ziemlich neu ist auf dem Falsettparkett: der Italiener Raffaele Pè. Er hat schon einige CDs veröffentlicht und präsentiert seine neueste Scheibe einmal mehr als Konzeptalbum. Dabei hat er sich für „Giulio Cesare: Ein barocker Held“ ein Bündel von Opernkomponisten des 18. Jahrhunderts zusammengestellt, die, so wie es in dieser Zeit heiß laufender Produktivität üblich war, oftmals nach demselben Libretto ihre Stoffe verfasst haben. Und natürlich war der römische Imperator da ein gern genommener, weil bekannter Charakter, der freilich bei jedem Tonsetzer seine Farbe wechselt. Mal ist er heldisch, mal eher neurotisch, mal machohaft, mal sehr sensibel drauf. Mal prunkt er mit seiner Vokalkraft, dann wieder hüpft er flink und flexibel durch einen Irrgarten von Koloraturen. Eine Rolle, gebrochen in einem Kaleidoskop von Stimmfarben und unterschiedlichen Instrumentalansätzen, auch geprägt durch den jeweiligen Sänger oder gar Kastratenstar, für den die individuell zugeschnittene Partie gedacht war. Versatil klingt dabei auch das begleitenden Ensemble La Lira di Orfeo unter Luca Giardini. Die barocke Ästhetik wollte ihre affetti möglichst variiert immer neu erkunden können, Pé liefert hier ein schönes Musterbuch. Dieser Cesare darf nämlich auch mal weinen – das erst macht ihn menschlich. Senesino, Pacchiarotti, Cusanimo, Sciroletto und Salimbeni – das sind die Urinterpreten dieser Cesaren-Galerie. Und sie waren alle Kastraten. Der impotente, verschnittene Mann als Heros – das Barock liebte diese Dualität: Engel und Bengel, Hysteriker und Anführer, alles ist möglich, eindeutig, zweideutig – oder dazwischen. Raffael Pè als moderner Countertenorerbe dieser historischen Größen, kann diesen Aspekt des schillernd Mehrdeutigen nur anreißen. Er konzentriert sich eher darauf, Schönheit und dramatische Tiefe in seiner Arienkollektion aufzudecken und auszufüllen. Das gelingt ihm durch eine Vielzahl von Schattierungen. Manchmal scheint die Stimme in der Sopran-Tessitura zu jubilieren, dann steigt sie wiederum in Alt-Tiefen hinab. Eine gewaltige Tour de Force, die souverän und jederzeit stimmkontrolliert bewältig wird. Fantasie und Intelligenz beleben freilich zusätzlich diese Figuren und ihre voneinander klar abgesetzten figürlichen Hintergründe. Und er stellt sich dem Schwersten gleich zu Beginn – mit der berühmten, Hörnerverzierten Jagd-Arie „Va tacito e nascosto“ aus Händels „Giulio Cesare in Egitto“, die er als wunderbaren Wechsel aus Entschlossenheit und Reflektion gestaltet. Ähnlich souverän pendelt Pè zwischen Aggression und Sanftmut in seiner Interpretation von „Tergi le belle lagrime“ aus Piccinnis „Cesare in Egitto“, in der Cesare Cornelia tröstet und Achilla beschimpft. In der Mitte der CD ist clever das tröstlich-transzendente Händel-Duett „Son nata a lagrimar“ platziert. Neben Pè singt die Mezzosopranistin Raffaella Lupinacci mit warmherzigem Timbre. Außer den drei Händel-Ausschnitten finden sich je zwei Arien aus Piccinnis „Cesare in Egitto“ und „La morte di Cesare“, sowie je zwei Arien aus Cäsar-Opern von Giaccomini, Pollarolo und Bianchi sowie als Bonustrack „Scherza infida“ aus Händels „Ariodante“. Ein wirklich bereicherndes Album von Cäsaren-Facetten.
Händel, Giaccomini, Piccini, Polarollo, Bianchi: Giulio Cesare – A Baroque Hero. Raffaele Pe, Raffaella Lupinacci, La Lira di Orfeo, Luca Giardini (Glossa)
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