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Moritzburg Festival: Monströsen und Musik

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IMG_5937Wer gleich zwei de Maizières, die Cousins Lothar und Thomas, nach dem Galaabend in der minimalistischen Schlossküche im Untergeschoss Gert Kastenmeiers leckeres Viergang-Menü genießend am Tisch sitzen hat, dem ist bei der Zusammensetzung von Beirat und Freundeskreis etwas geglückt. Und Nobert Lammert gab sich ein paar Tage vorher die Ehre. Nun sind aber deutsche Innenminister, Bundestagspräsidenten und der letzte Ministerpräsident der DDR noch keine Garanten dafür, dass ein Musikfestival auch gut und stimmungsvoll ist. Für letzteres steht immerhin der Hauptspielort des Moritzburg Festivals, eben jenes gelbstrahlende Jagdschloss August des Starken bei Dresden, wo im Mönströsenaal einzig nur noch die verwachsen Geweihe für Irritationen sorgen. Mag in dem selbst bei Hochsommerhitze angenehm temperierten Raum auf den kostbar goldverzierten Ledertapete Diana Niobes Kinder abschlachten und von ihren Hunden Actaeon zu Tode hetzen lassen, in der Mitte geht es weit harmonischer zu. Denn hier regiert seit 1993, man ist ein Nachwendekulturkind, Musik, kostbarer Kammerklang hochmögender Solisten. Seit 2001 ist der Dresdner Cellist Jan Vogler alleiniger Programmgestalter. Und der bürgt für Qualität. So gelingt es ihm nicht nur, in den letzten beiden Augustwochen abwechslungsreiche und nahrhafte Konzerte zu komponieren, er versammelt auch immer wieder überraschende Namen aus der großen Klassikwelt im kleinen, aber royalen Moritzburg.

Nicht weit weg, natürlich in der Sichtachse zum mit Riesengeweihen und edlem Tafelgeschirr ausgestatteten Speisesaal der barocken Jagdresidenz, wackelt auf dem Dach des Fasanenschlösschens ein Chinese mit dem Kopf. In der dortigen Kinderkammer der Prinzessin Maria Augusta, Fliegenzimmer genannt, belästigen als Wandmalereien ebensolche Mouches die einfachen Bauerngören mit ihren elendsalten Gesichtern. Vor dem Fenster erhebt sich Sachsens einziger Leuchtturm (natürlich sind auch bei dem die Ziegelsteine nur gemalt) nebst Mole. Und von dort segelte man einst zu den Dardanellen um die Ecke, um die Seeschlacht von Cseme vor deren Sieger Alexej Orlow nachzustellen. Im Schloss Moritzburg gib es eine aus Millionen verwebter Einzelteile in jahrzehntelanger Kleinarbeit aufgeputzte Federkammer die eigentlich ein Bett war, Porzellane mit asiatischen Drachenmotiven, die in Meissen gemalt wurden, und viele andere Kuriositäten mehr. Im Sommer aber spielt zwischen dieser exotischen Mischung aus vergangenen Zeiten regelmäßig die tolle Pianistin Lise de la Salle (nicht nur, weil sie hier ihren Freund kennengelernt hat), Komponist Matthias Pintscher schaut öfters vorbei, und Jan Vogler lädt großzügig auch andere, sehr gute Cellisten wie Johannes Moser und Christian Poltéra ein.

IMG_5952Seine Frau, die Geigerin Mira Wang, betreut die dir dieses Jahr von Milan Turcovic dirigierte Orchesternachwuchsakademie, auf das man auch in größerer Formation ausschwärmen und die Kunde vom Moritzburg Festival bis nach Berlin tragen kann. Ansonsten geht es aber familiär und intim zu, man probt und arbeitet in der nahe gelegenen Waldschenke, kann es sich, gibt es (selten genug) keine Termine, in der harmonisch ländlichen Umgebung zwischen Teichen, Wäldern und beschnittenen Barockalleen schön machen. Bevor freilich Roastbeef mit Trüffelremoulade, Jacobsmuschel-Zitronengrasspieß, Kalbsbäckchen und Vanille-Espuma zu vertilgen waren – und auch noch die Feuerwehr Moritzburg wegen Fehlalarm einen großen Tatütata-Auftritt in voller Montur hatte – , standen durchaus gehaltvoll Werke von Koechlin, Rossini und Beethoven auf der musikalischen Gala-Menükarte.

Jan Vogler, janne Saksala

Jan Vogler, Janne Saksala

Der Hornist Felix Klieser bewies, dass sich auch unter Zuhilfenahme des linken Fußes für die späte, aber stimmungsvolle Salonmusik der Quatre Petites Pièces von Charles Koechlin weichgerundete, schön perlend fließende Töne greifen lassen. Alessio Bax am Klavier und Mira Wang boten edle Klangbeigaben. Und obwohl Berlins Philharmonischer Solokontrabassist Janne Skasala wie üblich unter seinem wuscheligen Haarvorhang nur zu ahnen war, so griff er doch kraftvoll in die Seiten, um sich mit Jan Vogler Gioachino Rossinis so witzigem wie intrikatem Duo für Cello und Bass D-Dur zu widmen. Das war ein Säuseln und Brummen, Singen und Wummen, aus dem Bauch, aber mit Herz und Verstand.

Robert Chen, Guy Johnston, Lawrence Power, Yura lee. Annabelle Meare

Robert Chen, Guy Johnston, Lawrence Power, Yura Lee, Annabelle Meare

Krönender Abschluss, so mancher Magen machte sich schon bemerkbar, und auch der Prosecco als Prickelabschluss eines heißen Tages wurde ersehnt, war dann allerdings Beethovens selten zu hörendes Streichquintett C-Dur op. 29. Robert Cehn, der extra für eine kranke Kollegin angereiste Konzertmeister des Chicago Symphony Orchestra, Annabelle Meare, Lawrence Power, Yura Lee und Guy Johnston gaben dem mit doppeltem Viola-Klang romantisch zärtliche Attitüde. Kammermusik ego-los, als ein aufeinander Hören, gemeinsam Atmen, sich davontragen Lassen. Als klangfeiner Sommernachtstraum in Moritzburg.

www.moritzburgfestival.de

Der Beitrag Moritzburg Festival: Monströsen und Musik erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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