Da wäre man, hätte man nicht eh schon so schön mitten im Klang gethront, gerne der der Mann am Becken gewesen. Jenen ominöses, aber eigentlich nicht mehr strittigen Schlag am Ende des Adagios musste der verrichten, ansonsten konnte er sitzen und genießen, umschwallt von allerschönsten Tönen. Selbst sein Kollege am Triangel hatte mehr zu tun, musste der doch in den Ecksatz-Finali den Pauker am anderen Kesselrand mit Stereoeffekt klöppelnd verdoppeln. Die Wiener Philharmoniker waren mal wieder in Berlin, diesmal aber im kleineren Konzerthaus, wo sie sich wohlfühlen und ihnen gleich eine ganze, wochenlange Hommage samt Festschrift serviert wurde. Denn die Herren (und 13 Damen!) lieben Schnörkel, und die DDR-Retro-Inszenierung am Gendarmenmarkt sieht halt fast so schön aus wie der etwas tiefere Goldene Saal im Wiener Musikverein. Mag auch zu Hause die Oper Weihnachtsbedarf haben, der herrliche Haufen war auf Minitournee mit Mozart und Bruckner, ganz traditions-comme il faut. Und auch der Herr am Pult stand da grandseigneurhaft, nie starr, ein alter Bekannter und Vertrauter: Riccardo Muti.
Soloflötist Karl-Heinz Schütz durfte sich vorher in Mozarts G-Dur-Konzert warmblasen und das Ensemble aktivieren. Das tat er mit rundem Ton, flüssig, fein und graziös, als sei das Werk nicht aus Luft, sondern aus Augarten-Porzellan verfertigt. Keine Ecken und Kanten, nirgends Rauheiten, alles Glanz, Makellosigkeit und Oberfläche. Was bei dieser Virtuosengalanterie überhaupt nicht stört.
Und ähnlich feingetunt, herrlich in seinem Dimensionen ausgemessen und bewältigt, bestiegen die Neunzig dann 80 Minuten lang den Riesengipfel von Anton Bruckners 7. Sinfonie, die freilich das Leipziger Gewandhausorchester uraufgeführt hat, und die trotzdem längst auch die ihre ist. Und keinen Moment wie einem monströse Schlange wirkte – eher wie ein filigranes, wenn auch längliches Gürteltier. Immer neue Panzerungen schälten sich da ab, um weitere Tonköstlichkeiten leuchtend zum Vorschein kommen zu lassen. Man spürte in jedem Moment die entspannte Übereinkunft zwischen Dirigent und Orchester. Hier musste man nicht dämmrige Klüfte durchstapfen, hier wurde nicht um Originalität und Interpretation titanisch brachial gerungen. Hier wurden einfach (wenn es denn so wäre!) die Noten gespielt; auf die bestmöglichste Art. Doch schon im chromatischen Auftakt ließ Muti seinen sanften, souveränen, leicht verzögerten Stab so klar hoch steigen, dass man es förmlich sah: Hier weiß jeder, was er tut und kann, hier muss man (sich) nichts beweisen, hier legte man gemeinsam eine grandiose Strecke Bruckner zurück. Satt, aber nie fett tönend, laut, nicht dröhnend, wunderfein in den ohne jede Überpointierung genommenen Übergängen, die unaufdringlich architektonisch gegliedert waren und gleichwohl einen breiten, weiten, durchlässigen Klangstrom zuließen.
Das war ein so altmeisterlich souveränes Musizieren, das aber keinen Moment Routine kannte, wo es nicht um Selbstdarstellung, sondern um Kompositionsauslotung ging. Und als Hörer tauchte man ein in diesem wonnigen Schwall, und schwebte doch immer oben, nie erschlagen, nur getragen. Auch wenn – natürlich – das Wagner gedenkende Adagio das Herzstück des Viersätzers war, es zeichnet Dirigent und Musiker aus, dass die Sinfonie eigentlich in jedem Takt als Ganzes erstand: ein Werden und Wollen, Erscheinen und Vergehen. Das baute sich freilich ohne jede Eitelkeit und Dünkel auf, scheinbar organisch, atemraubend majestätisch schön, aber nie kalt erhaben. Das floss, das pulsierte, das atmete warm und stand doch da, unsichtbar, als abstraktes und dabei plastisches, scheinbar zu greifendes Ganzes. Allein wie Muti Schlusstöne abtreppt, verhauchen und verschwinden ließ – meisterhaft. Die von Rainer Honeck angeführten Streicher als golden fülliges Fundament, die niemals zackigen Bläser, überkuppelten von den Wagnertuben. Und das alles auf diesen unnachahmlich Wienerische Art eben nicht überperfekt, als makelloses Kollektiv, sondern immer die Individuen spüren lassend. Und von Riccardo Muti mit Lässigkeit und ohne jedes Hetzen ausgelotet. Nur in den letzten beiden Sätzen zeigte er auch mal mit packendem Grimm seine weißen Zähne. Toll!
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