Spielt man Geige anders, wenn man in der DDR unterrichtet wurde? Natürlich nicht. Aber vermutlich schon, wenn dieser Staat einiges mit einem gemacht hat, im Guten wie im Schlechten. Erst war die 1969 in Halle geborene Franziska Pietsch ein Wunderkind, schnell bekam sie das blöde Etikett „Anne-Sophie Mutter des Ostens“ verpasst. Schon die Elfjährige stand auf den allerersten Konzertpodien. Zum Wohle des Systems, eine Kati-Witt-Karriere, nur ohne Kufen. Dann flüchtete ihr Vater, ebenfalls Geiger, in den Westen. Zwei Jahre der Repressalien folgten, bevor die 16-Jährige mit Mutter und Schwester ausreisen durfte. Ulf Hoelscher wird ihr prägender Lehrer in Karlsruhe, auch die legendäre Dorothy DeLay an der Juilliard School in New York hinterlässt Spuren. Sie holt sich Anregungen bei Koryphäen wie Wanda Wiłkomirska, Ruggiero Ricci oder Zakhar Bron. Und fühlt doch noch nicht reif für eine bisweilen fremdbestimmte Solistenkarriere. Sie wird Konzertmeisterin in Wuppertal und Luxemburg, an der Düsseldorfer und Frankfurter Oper, beim WDR Sinfonieorchester. Sie gastiert solistisch, spielt aber auch intensiv Kammermusik, mit ihrem Klavierpartner Detlev Eisinger, im Trio Testore, im Streichtrio Lirico. Inzwischen hat Franziska Pietsch eine Reihe eindrucksvoller CDs bei dem ihr treuen Label Audite vorgelegt. Jetzt präsentierte sich dort eine reife, ausdruckssichere Künstlerin ganz allein – in den Solosonanten von Bartók, Prokofiew und Ysaÿe. Man muss das alles nicht wissen, um diese packende Werkauswahl zu genießen. Aber man versteht dann vielleicht noch besser, warum hier jemand sehr heftig zupackt, wild, rau, ja ungefügt, mit vibratosattem Strich, einem nicht ungebändigtem, aber vehementen Ausdruckwillen. Es aber stets schafft, diesen in den Dienst der Musik zu stellen. Der Monolog ist ein persönlicher, mit dem Instrument, mit dem Können, der eigenen Stimme, aber eben auch mit den Vorgaben der Komponisten. Mögen das mal Allusionen an deren großes, gern zitiertes Solovorbild Bach sein, die sogar mit einem ironischen Lächeln, leicht und elegant serviert werden, oder eine schicksalhafte, manchmal fast verbissen, sich aufbäumende Klanggeste gegen das Schicksal. Das Salonhafte, Schillernde und das trotzig sich Aufbäumende, Franziska Pietsch beherrscht beides, letzteres scheint ihr näher. Sie traut sich das und hält es mit emotionaler Kraft durch. Musik als Gefäß der Wahrheit, in das sie ihr Sein gießt, ehrlich, ohne Manier, direkt, aufmerksam. Die Unmittelbarkeit ihre Gesten springt einen förmlich an. Entspannung ist (zu) selten. Da ist das Harte, auch Folkloristische von Bartók, die kosmopolitische Weltläufigkeit Prokofiews, die singende Delikatesse Ysaÿes. Da hat jemand ein Ventil gefunden, jetzt muss es der Gefühlestau raus. Sehr passend das Cover, mit dem strengen Haarknoten, sich selbst samt Geige skeptisch in einer Scheibe spiegelnd. Bei Pietsch ist keine Note beiläufig, aber zum Glück auch nicht überladen. Nur richtig. Osten? Westen? Egal. Franziska Pietsch hören. Lohnt sich.
Franziska Pietsch: Werke für Violine solo von Bartók, Prokofiew, Ysaÿe (Audite)
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