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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Ein erschütternder Liedklavierabend: Matthias Goerne und Daniil Trifonov meditieren im Berliner Kammermusiksaal über Berg und Schumann, Wolf, Schostakowitsch, Brahms – und Bach

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Eine großer Abend. Berührend und intensiv. Zwingend in seiner Konsequenz. Bei dem es nicht um Virtuosität oder das Ausstellen von Können geht, der auch nicht im herkömmlichen Sinne gefallen und unterhalten will. Und der doch so unendlich viel mitzuteilen hat, auf intellektuell höchstem Niveau sogar in seiner Düsternis erfreut. Zwei Herren im Anzug und Smoking, der eine jünger, der andere in den besten Jahren, beide berühmt, für das, was sie tun. Die sich hier sehr nachdrücklich zusammengefunden haben. Mit einem warm klingenden Bösendorfer-Flügel, einem nur wenig beachteten Notenpult, einer Umblätterin und 10 Kameras im heruntergedimmten Dämmerschein des Kammermusiksaals der Berliner Philharmonie. Der Bariton Matthias Goerne und der Pianist Daniil Trifonov. Es geht um Schlaf und Tod, Resignation und trügerische Hoffnung ­– letzte Dinge eben, das volle Programm. Das ist melancholisch und zieht runter, aber traurig ist es nicht. Denn am Schluss, es folgt eine einzige, sinnige Zugabe, da heißt es ganz innig, beseelt, einfach und klar, so schmucklos vorgetragen wie möglich: „Bist du bei mir, geh ich mit Freuden / Zum Sterben und zu meiner Ruh. / Ach, wie vergnügt wär so mein Ende, / Es drückten deine schönen Hände / Mir die getreuen Augen zu.“ Johann Sebastian Bachs Bearbeitung von Gottfried Heinrich Stölzels kleiner Arie aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach. Damit möge nun jeder nach seiner Façon selig werden. Zuvor aber hatte man härtere Nüssen zu knacken. Der Deutsche und der Russe interpretieren in ihrem ersten gemeinsamen Programm, dass sie schon seit 2017 in Salzburg, Bremen, New York und Wien aufgeführt haben, Lieder von Alban Berg und Robert Schumann, von Hugo Wolf, Dmitri Schostakowitsch und Johannes Brahms. Neunzig Minuten lang, ohne Pause, ohne Abgehen dafür teilweise mit Attaca-Übergängen und so gut wie ohne Publikumshuster. Der Beifall ist dankbar, intensiv, fast zurückhalten ehrfurchtsvoll. Selten, so was. Das Konzertjahr hat grandios begonnen.

Matthias Goerne muss sich nichts mehr beweisen. Es kann sein Handwerk, nicht jeder mag sein leichtes Knödeln, natürlich klingt die Stimme nicht mehr so frisch, wie vor bald 30 Jahren. Aber da schwingen eben in jeder Note, die sein immer noch weicher, schön die Töne bindender Bariton produziert, drei Jahrzehnte Denk- und Interpretationserfahrung mit. Die fesselt, weil sie so natürlich kommt, so wenig gemacht scheint. Und einen sofort in den Bann zieht.

Mit dem bärtigen, langhaarigen, dünnen Trifonov kommt der große, schwere Mann auf die Bühne als wäre sie schon ein ewiges Duo. Dabei ist er ein promisker Sinnsucher im Liedgarten, wechselt mit Vorliebe die Pianisten, sucht am Liebsten unter den prominentesten Tastensolisten, nicht bei den professionellen Begleitern (die auch alle mehr sind). Aber er will unendliches technisches Können, Nervenstärke, Sendungsbewusstsein, Mut und Spaß neben sich von seinem Partner, so wie er selbst es auch einbringt. Und Trifonov bringt genau dies. Mit einer klaren, aufmerksamen Anschlagkultur, souverän, nie mit den Stücken kämpfend, neugierig, auch subversiv. Man merkt schon in den raren Vier Berg-Gesängen op.2, wo sich Goerne noch warmläuft, wo er spröde, auch angestrengt klingt, wie sich da zwei ziehen und laufen lassen, wie mal der eine, mal der andere das Tempo bestimmt, wie traumhaft schön Trifonov in die „Dichterliebe“ überschwenkt, wie Goerne erst schneller wird, dann verweilt: Da haben sich zwei gefunden, und es macht Spaß und Staunen, wie sie sich dieses Material anverwandeln, variieren, zu dem ihren machen.

Beide wollen zwischen Romantik, Wiener Schule und Moderne ein Maximum an Valeurs und Nuancen und finden es in so richtigen wie flexiblen Geschwindigkeiten, im Innehalten, Vertrauen; besonders Goerne auch im Setzen von Zäsuren. Da wird auf gleicher Höhe musiziert. Goernes schillernd vielgestaltige Blicke auf die „Dichterliebe“, die die unbeschwerten Momente des Abends bilden, die Wohlfühl-Passage, sie sind doch auch anders, mehrdeutig, abgründiger als sonst. Man hört schon längst nicht mehr, ob ein Ton schön oder wohlgeraten ist, nur noch Sinn und Wahrhaftigkeit zählen. Das Publikum bleibt gebannt.

Nach den „alten, bösen Liedern“, Trifonov gestaltet deren Nachspiel sinnlich hell, heiter fast, folgen die drei Gedichte nach Michelangelo von Hugo Wolf: sachlich, resignativ, getragen. Und dann wird der Kampf mit der Suite auf Michelangelo-Verse Schostakowitschs aufgenommen, die Goerne kantig und sanft zugleich mit Brille im russischen Original singt. Ist jetzt hier Trifonov, längst auch ein versierter Kammermusikspieler, mehr auf seinem ureigenen Terrain? Er scheint zu führen. Matthias Goerne geht gerne mit, versenkt sich knarzend und ächzend in diese drei resignativen Betrachtungen, unbequem, querständig. So wie er sich überhaupt die Flügelbeuge zur Bühne macht, hin und her schwankt, auf einem Bein tänzelt, ebenfalls die Arme dramatisch bewegt. Was er zum Ende, wie haben die kontemplativen Bibelsatz-Aphorismen der Vier ernsten Brahms-Gesänge erreicht, nicht nur dynamisch sehr zurückfährt, ganz ruhig bei Glaube, Hoffnung, Liebe landet. Trifonov ist hingegen nicht so solipsistisch wie wenn er allein auf dem Podium ist, interagiert, kommuniziert. Meist fast ein wenig amüsiert, in was für eine Richtung es heute Abend wohl wieder führt. Er arbeitet und genießt gleichzeitig, Goerne auch, obwohl der den schwereren Part hat. Beider Ringen um Seelendarstellung, Stimmung, Ehrlichkeit hat etwas Gewaltiges, Expressives. Man möchte manchmal weinen, so sehr zehrt es an den Gefühlen in der Brust. Doch es ist auch unbedingt tröstlich. Und nicht nur wegen der traumverlorenen, fast jenseitigen Zugabe.

Der Beitrag Ein erschütternder Liedklavierabend: Matthias Goerne und Daniil Trifonov meditieren im Berliner Kammermusiksaal über Berg und Schumann, Wolf, Schostakowitsch, Brahms – und Bach erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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