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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Habsburger Märsche, die Mama aus Yokohama, Ligeti, Jonas Kaufmann als „Fledermaus“-Debütant und Zirkusspaß: die klassische Jahreswende 2018/19

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Komisch, dieses Bedürfnis, das alte Jahr mit fröhlicher Musik zu verabschieden und das neue mit ebensolcher zu begrüßen. Kontemplativ sein, querständig gar, das wollen nur die wenigstens. Innehalten, nachdenken, eher nichts so gefragt, lieber soll über Bemerkenswertes mit Walzer und Galopp hinweggetanzt werden. Vladimir Jurowski immerhin gab sich mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin die Ehre mit Beethovens Neunter und einer Georg-Kratzer-Uraufführung namens „discorso“. Jazzy Silvester zwischen Tschaikowsky und Gershwin gab es hingegen (wie schon letztes Jahr mit dem gleichen Programm) an der Berliner Staatsoper mit Lahav Shani am Pult und Klavier sowie Till Brönner an der Trompete. Das Konzerthausorchester Berlin unter Mario Venzago servierte bunte Beete mit Bach, Beethoven, Zemlinsky und Richard Strauss sowie Melodien aus Operette und Film. Auch „Lili Marleen“ ist dabei.

So wie traditionsgemäß beim Wiener Neujahrsmorgen der antidemokratische Radetzky-Marsch in der Orchestrierung eines Nazi-Komponisten, in einem Konzert, dass einst von Goebbels begründet wurde und das jetzt mit Christian Thielemann der erste Deutsche und Preuße dirigierte. Sehr fein ziseliert und austariert, ein wenig g’schlamperter hätte es schon philharmonisch klingen dürfen. Am Ende ein Marsch, am Anfang auch, Carl Michael Ziehrers „Schönfeld Marsch“, gewidmet dem gleichnamigen Feldzeugmeister und Generaltruppeninspektor. Dazwischen brav nur Werke der Strauß-Dynastie, umrankt von zweimal Josef Hellmesberger. Man feierte das 150-Jährige der Wiener Staatsoper im gegenwärtigen Ringstraßengebäude, kommt immer gut als penetrant werblicher Pausenfilm. Und schon der zweite Programmtitel, der Walzer Transactionen von Josef Strauß, sollte, darauf muss man auch erstmal kommen, an das 150-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich und Japan erinnern, sind die Menschen aus Fernost doch die am besten zahlenden Kunden des weltberühmten Orchester. Und die Japanische Festmusik von Richard Strauss, geschrieben, 1940 auf Nazi-Wunsch aus Anlass des 2600-jährigen Bestehens der „Achsenmacht“, die war dann wohl doch nicht passend…

Was aber schmerzlich fehlte: keine Note von Jacques Offenbach zu dessen 200. Geburtstag 2019 war zu hören! Immerhin hatte der einst gesagt, wenn er seine Werke wirklich gut aufgeführt haben wolle, dann fahre er nach Wien. Sie wurden hier eigens neu orchestriert, von Nestroy parodiert. Und Wagner stach er aus mit der Hofopernuraufführung der romantischen „Rheinnixen“. Die waren ein Flop, doch seine schönste Melodie daraus rettete er als „Barcarole“ in „Hoffmanns Erzählungen“. Mit Johann Strauß lieferte er sich Walzerduelle („Morgen-„ gegen „Abendblätter“), die Strauß-Dynastie verquirrlte viele seiner Melodien zu Potpourris – nichts dabei diesmal…

Erstmals stand auch in München Mariss Jansons bei einem Silvesterkonzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks am Pult. Und hatte, mit Lang Lang am Klavier, sehr eklektisch aufgelegt – mit den Jubilaren Bernstein und Debussy, Elgar, Sibelius, Dvořák, Mozart, Xian Xinghais Yellow River Concerto, Yuzo Toyama, Mascagni, Brahms, Chapi, und György Ligetis Concert Românesc als Finale. Freilich musste man auch Thomas Gottschalk als Moderator aushalten. Einfallslos-öde in der Programmauswahl und sehr brav exekutiert hingegen das Silvesterkonzertprogramm der gegenwärtig cheflosen Berliner Philharmoniker mit Ravel und dem sich selbst bei Mozart begleitendem Daniel Barenboim (für 290 Euro Spitzenpreis). Sehr bunt treibt es hingegen heute Abend die Komische Oper Berlin in ihrem Neujahreskonzert mit Mozart, Berlioz, Offenbach, Johann Strauß und Oscar Straus, Emīls Dārziņs, Loewe, Abraham, Strawinsky, Bernstein, Matthew Hindson und Arturo Márquez.

Und zuvor gab es, wie jedes Jahr, eine konzertante Operette im Kostüm, diesmal ­– „Mausi, süß warst du heute Nacht“ – Paul Abrahams einstigen Hit „Victoria und ihr Husar“ in atemlos unterhaltenden, von Barrie Kosky locker arrangierten 90 Minuten. Ein ungarisch-russisch-japanisches Gulasch war das, mit dem durchaus paprikawürzigen, im ungarischen Nyiregyhaza geborenen Stefan Soltész als metierkundigem Dirigenten, der es versteht Puszta-Klänge mit Jazz und der Mama aus Yokohama zu mixen. Die drei Paare plus der vortreffliche Botschaftsgatte-Bonvivant Gerd Wameling als zudem „Pardon, Madame“ brummelnder Conférencier stehen an der Rampe, selbst die Husarenherren fesch im Frack, die Damen in große Operettentoilette, die sie selbst nicht ablegen, als im vielzitierten Dorf  Doroszma das Winzerfest gluckert.

Vera-Lotte Böcker als Gräfin und Daniel Prohaska als Rittmeister schmachten und schmalzen links, in der Mitte gackern gutgelaunt, sie haben halt so viel gelacht, heute Nacht, der bestens konservierte Peter Renz (Graf Ferry Hegedüs), und Alma Sadé  als mandeläugig jauchzendes Divanpüppchen O Lia San. Reschen, körperlich beweglichen Tanzcharme auf engstem Spielraum verbreiten ganz rechts die dienstbaren Geister aus dem Opernstudio Marta Mika (Kammerzofe Riquette) und Dániel Foki (Bursche Jancsi). Schön war’s, kurz war’s. Und am Schluss darf der Rittmeister schmettern „Nur ein Mädel gibt es auf der Welt“. Joi!

Ein schräges Jahresendprogramm lag bei den Hamburger Philharmonikern unter Kent Nagano am Silvestermorgen auf den Elbphilharmonie-Pulten: Toshio Hosokawas Vorspiele aus der hier uraufgeführten Oper „Stilles Meer“, Bachs 3. Orchestersuite, zwei Brahms-Chorsätze, „Octandre“ von Edgard Varèse und Mozarts „Spatzenmesse“. Und heute Abend gibt es dort mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester die „Fledermaus“, halbszenisch eingerichtet von Michael Sturminger mit Bo Skovhus und Michael Nagy – und immerhin mit Frosch, diesmal allerdings weiblich: Caroline Peters. Manfred Honeck dirigiert.

Ohne Frosch, ebenfalls auf 90 dialoglose TV-Minuten zusammengeschnurrt, so präsentierte sich das Straußsche Flattertier hingegen in der Dresdner Semperoper, wo – neben den Bayern und den Berlinern – das dritte Fernsehkonzert samt Scheinwerferrosarot (beim „Du-i-Du“ wurde auf Blau umgeschaltet) zum Jahresende kredenzt wurde. Und weil der Kapellenchef Thielemann (siehe oben) am Donaustrand weilte, waltete an der Elbe ein operettenerfahrener Linzer am Pult: Franz Welser-Möst, dem pikanterweise ja auch Ambitionen auf Thielemanns dort nicht ganz wackelfreien Stuhl nachgesagt werden. Der machte das gut, ließ die Ballsirenen zackig moussieren und das zusammengewürfelte Vokalensemble immerhin auswendig singen statt, wie sonst an dieser Stelle, an den Noten festgewachsen kleben. Zum Abgewöhnen war das zum Glück nur die Aktanfänge einführende Moderatorenduo Sky du Mont und Christine Schütze. Zwei an ihren Kärtchen klebende Hamburger Kühlschränke, die Überflüssiges (er) und Anzügliches (sie) verbreiteten. Igittigitt!

Rachel Willis-Sørensen war einen äußerst Csardas-spitzentonsichere Rosalinde, die die Rolle gerade eben an der Deutschen Oper Berlin (selbst bei stillstehender Drehbühne) gelernt hatte. Soubrettensüß harmlos war die eingesprungene Adele von Nikola Hillebrand. Die leider der Bühne entsagende Elisabeth Kulman war ein erotischer, warm jodelnder Prinz Orlofsky. Sebastian Wartings Dr. Falke klang allerdings baritonheller als der tenortiefe Eisenstein des darstellerisch agilen, aber interpretatorisch zwischen Albernheit und Ernst schwimmenden Debütanten Jonas Kaufmann (der sich laut Instagam wieder verheiratet hat). Besonders pikant dann das Schlussterzett: Da sang als Alfred der längst zum Heldentenor gereifte einstige Operettenroutinier Andreas Schager den tief grummelnden, dunkel getönten Weltstarkollegen mehr oder weniger in Grund und Boden.

Am Silvester-Nettesten war es, bereits zum 15. Mal, in Berlin bei der bewährten Tempodrom-Mischung aus Deutschem Symphonie-Orchester und Circus Roncalli. Während die Artisten mit Roboterstange, neonglühenden Diabalo-Rollern und auf dem Rad balancierenden Astronauten ästhetisch und technisch Neues ausprobierten, streute die Edelzirkuskapelle unter dem straffen Kevin John Edusei erstmals Wagner („Der fliegende Holländer“) und viel Sowjetfilm- und Bühnenmusiklassik von Chatschaturjan über Kabalewski bis Schostakowitsch klanglich dazu. Jeanine de Bique sang sopran- wie kleidglitzernd Koloraturzuckerl von Gounod und ließ bei Korngolds „Glück, dass mir verbliebt“ die Trapezkünstler träumerisch hängen, während der Chinese Kong Kaito zu Elgard Nimrod-Variation die höchste Höhe seiner Stuhlbalance erreichte. Das hatte Atmosphäre, Thrill, und Triller, es gab Pailetten, buntes Licht, Glitzer und Luftballons. Heute abend nochmals – und Ende des Jahres garantiert wieder! Am 1. Januar 2020 steht dann übrigens in Wien erstmals Andris Nelsons am Neujahrskonzertpult.

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