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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Die schneidende Schönheit des mittleren Verdi: Riccardo Chailly lässt sie im Scala-„Attila“ meisterlich leuchten

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Wir lieben Italien, in der Sonne wie im Nebel, besonders wenn es in Berlin winterregnet. Und wir lieben die Mailänder Scala, besonders wenn dort kein Inuagurazione-Irrsinn herrscht, man nicht weiter Umwege machen muss und man drinnen nicht dauernd von TV-Kameras gestoßen wird, die grotesk verschnittene Menschen aufnehmen, die sonst nie in die Oper gehen und auch hier nur ihre Kleider, Juwelen und Chirurgenfertigkeiten ausstellen. Denn nirgendwo klingt italienische Oper so schön und richtig wie in diesem Haus. Ist einfach so. Sie haben es in der DNA, und auch wenn man nur lachen kann über all diese Absurditäten wie eine geschändete Madonna auf der Bühne, die wegen des Protests eines Dorfbürgermeisters durch ein goldenes Kalb ersetzt wird oder Frauen, die wegen dem Nippelverbot im japanischen Fernsehen keine blanken Brüste zeigen dürfen. Das war im Dezember. Jetzt aber ist Januar, und man kann sich entspannt während der letzten Vorstellung der Premierenserie in den Samtsesseln zurücklehnen und die herrlich grobianische Schönheit von Giuseppe Verdis neunter, immer noch erstklassig zweitklassiger Oper „Attila“ genießen. Denn Musikchef Riccardo Chailly hat das sowieso schon gute Scala-Orchester noch einmal auf höheres Niveau gebracht.

Fotos: Brescia/Amisano

Man hört das in diesem noch nicht mal zweistündigen, auf eine Schauertragödie des Deutschen Zacharias Werner zurückgehenden Musikdrama in einem Prolog und zwei kurzen Akten ganz wunderbar. Chailly hat bereits am Haus mit seiner italienischen Dramaturgie in Stücken von Donizetti, Rossini und dem frühen Verdi noch einmal am Klang und den Farben gefeilt, die Rhythmik ist forscher, aber federnder geworden. Das scheinbar Simple wird hier zum absolut auf den Punkt gebrachten, schneidend klaren, nie grellen  Klangereignis. In einem typischen Werk des Übergangs von 1846, uraufgeführt im venezianischen Fenice, das freilich die Innovationen des folgenden „Macbeth“ durchaus schon vorausahnen lässt. So weitet sich noch einmal das tönende Möglichkeitspanorama, das an gleicher Stelle 1990 schon Riccardo Muti so glänzend stimmig zum Thema „Attila“ ausbreitete.

Man genießt den Abwechslungsreichtum auf engstem Raum in dieser ökonomischen Partitur, die wippend sich in die Gehörgänge bohrenden Märsche, die stimmig knappe akustische Naturschilderung eines Sonnenaufgangs über den Lagunen, die eigentlich nur ein Arienvorspiel ist. Da sind knackig tanzenden Melodien, angriffslustig glitzernde Chöre, und auch wenn die beiden letzten Akte hinter den beiden ersten Teilen zurückfallen, die Routine des in seinen „Galerenjahren“ Vielbeschäftigten durchscheint, das mörderische Finale mit seinem zarten Terzett (hier um einige spätere Takte von Rossini ergänzt) und seinem lodernden Quartett hat transzendente Wucht – obwohl hier Übles verhandelt wird, Odabella, Tochter eines vom Gotenkönig Attila getöteten Führers von Aquileia, diese Geisel Gottes, in die sie vorgeblich verliebt ist, brutal absticht.

Jetzt, die vor Nervosität berstende Premieren-Event-Spannung ist längst verflogen, gibt man sich auch nachsichtig gegen den ostentativen Patriotismus, mit dem Verdi hier mit seiner Mystifizierung des römisch-christlichen Italien gegenüber den brutalen Barbaren dem Risorgimento künstlerisch zuarbeitete. So wie auch Davide Livermore das moritatenhaft anmutenden Geschehen, das in der Konfrontation des Papstes Leo I. mit Attila vor den Toren Rom kulminiert, vor welchen dieser zurückweicht, genau als solches inszeniert. Freilich als Mischung aus modernster Technik und kaum ironisierten Zitaten von „Rom, offene Stadt“ über „Der Nachtportier“ bis zum als lebendes Bild nachgestellten Stanzen-Fresko Raphaels von dieser denkwürdigen Begegnung, welches einst Verdi höchst inspirierte.

Über ihren Kulissen-, ja Filmsetcharakter kaum je verbergende, gleißend helle LED-Wände laufen Videoveduten von Schlachtfeldern, zerstörten Städten, dauerrauchenden Trümmern, die freilich sich aufbauen und wieder zerfallen, einzig artifiziell sind, wie eine Zeitzentrifuge wirken. Alles ist hier Pose, auch die Gefühle der Protagonisten, die einfrieren und starr  ausgestellt werden. Lauter Standfotos aus nie gedrehten Filmen, mit vorne naturalistisch anmutenden Styroporbarrikaden, -Säulen, -Bögen, ja einer komplett aus der Unterbühne auffahrenden, teilbaren Brücke. Die mal marmorn römisch, dann wieder betonmodern wirkt: ein janusköpfiges Opernartefakt hat das Studio Giò Forma hier entworfen, während Gianluca Falaschi in Faschistenuniformen und Soldatenfetischsex, Forties-Damenmoden und Proletatriergelumpe schwelgt.

Da gibt es Orgien und Gebete, Verzweiflung und Zuversicht, alles natürlich im Namen der katholischen Kirche und Vaterlands, das – jeder reckt hier mal den Trikolorenschal, der sogar als Verband dient – natürlich immer nur Italien meint. Gerade richtig für ein Land, das sich gerade  trotzig gegen die EU wendet, die hier gegründet wurde. Das man aber jetzt eben als (faulen) Bühnenzauber entlarvt. Denn Livermore kümmert sich mehr um die Ursachen, als um die Wirkung, entfacht viel Budenfeuerwerk und Theatertricks, hat aber keine echte Meinung zu dem grobianischen Geschehen, wo der Tyrannentod den Vatermord rächt, die Heroine Odabella nicht nur den Kampf-, sondern auch den Stimmstahl zu führen weiß, während der in sie verliebte Tenor nichts kapiert und wenig zu melden hat. Könnte da wohlmöglich gar die politische Wirklichkeit gemeint sein? Soviel doppelbödige Satire traut man einer italienischen Operninszenierung dann doch nicht zu. Egal, in jedem Fall zeigt die Scala-Technik auftrumpfend souverän an den opulent sich bewegenden, schnell wechselnden Schauplätzen ihre Muskeln.

Das versucht auch das Protagonistenquartett, mit zwei für Verdi ungewöhnlichen Stimmtypen an der Spitze. Doch wie die backen, wenn einfach nichts wirklich Erstklassisches in der Sängerszene da ist, so wie es früher war? Der Russe Ildar Abdrazakov, hoch zu Pferd wie später auch der Papst einhertrappelnd, ist ein netter Bass-Bär mit beweglicher Stimme, schönen hohen Noten, aber eben nicht genug profunder Tiefe und ohne jenes Urgewalt-Stamina, das man aus dem grausamen, kalten Attila tönen hören möchte. Die bisher wenig bekannte Spanierin Saioa Hernandéz hat für den so nur in der „Nabucco“-Abigaile schon einmal vom Komponisten exekutierten (und seiner Frau Giuseppina Strepponi die Stimmbänder ruinierenden) Vokaltypus der Sopranistin als Kampfkoloraturschleuder zwar schöne Linien und einige gelöste Spitzen übrig, aber die Attacke, die gleißende Stärke dieser Frau, die hört man eigentlich gar nicht.

Fabio Sartori, Singklops mit Tenorstimme, hat diesmal für den eher nebensächlichen Foresto (hier mit einer zweiten, nachkomponierten Alternativarie aufgewertet) erstaunliche Piani anzubieten, Chailly hat deutlich hörbar mit ihm gearbeitet. Der Rumäne George Petean darf als verräterischer Römergeneral Ezio einmal mehr sein baritonal süffiges Brunnenvergiftertimbre auf Autopilot in die Runde träufeln. Gianlucca Buratto orgelt fein  den Papst. Sie alle aber spielen nicht im mindesten. Sie laufen über Leichenberge exekutierter Frauen und Kinder, hinten wird Odabellas Vatermord-Trauma herzzerreißend als Video visualisiert, die Statisten gerieren sich lasziv, aber die Sängerstars an der Rampe mögen nicht spielen, machen armerudernd und –streckend mal wieder als Musikautomaten alle Ehre.

Wir nehmen es hin. Hört man doch selten so schön Können und Genie des ehrgeizig jungen Giuseppe Verdi, noch dazu ohne triviales „Fratelli d’Italia“-Hymnen-Vorspiel wie am Premierentag. Auch wenn dies ebenfalls unfreiwillig komisch in diesem Grande Spettacolo Sinn machte.

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