- Seit fast fünf Jahren ist Gerard Mortier nun tot und natürlich fehlt er. Doch man erinnert sich immer noch gern und oft an ihn. Sein Lebensgefährte Sylvain Cambreling, den er, auch nicht ganz unumstritten, immer dahin mitnahm, wo er gerade arbeitete, spricht inzwischen so permanent über diese zu Lebzeiten nie öffentlich gemachte Beziehung als wolle er sich nachträglich und unwidersprochen seinen Teil vom Lebenswerk-Kuchen abschneiden. Und eben wurde auch der seit einigen Jahren vom Grazer Ring Award und der damit eng verflochtenen „Opernwelt“ verliehene Mortier Award neu aufgestellt, besser und bedeutender ausgestattet. Serge Dorny, Intendant der Opéra de Lyon und ab 2021 in gleicher Funktion am Münchner Nationaltheater, hat dafür an den entscheidenden (Finanz-)Schrauben gedreht. Den Mortier Award für Musiktheater, der alle zwei Jahre an Persönlichkeiten vergeben wird, die durch ihre Arbeit beispielhaft das Erbe Mortiers fortführen, wird es weiterhin geben. Dazu kommt jetzt aber der mit 30.000 Euro dotiertierte, ebenfalls bienal verliehene „MORTIER Next Generation“ Förderpreis für „junge professionelle Künstlerinnen und Künstler, die außergewöhnliches Talent erkennen lassen, am Anfang ihrer Karriere stehen und ein eigenes Projekt entwickeln wollen“. Die Preisträger erhalten die Möglichkeit, ihr Vorhaben im Dialog mit prominenten Tutoren in Theorie und Theaterpraxis zu erarbeiten. Die Auszeichnung wurde nun erstmals gestern an Mortiers Geburtsort Gent vergeben. Der erste Preisträger ist angenehmerweise nicht einer der üblichen, klüngelbekannten Verdächtigen, sondern der polnische Dramaturg, Librettist, Regisseur und Kurator Krystian Lada. Lada hat unter anderem für die Dutch National Opera, La Monnaie in Brüssel, das Teatr Wielki in Warschau und die Opera Days in Rotterdam gearbeitet. Er ist Mitgründer der interdisziplinären Künstlergruppe The Airport Society. Sein Interesse gilt vor allem der Erforschung und Erprobung neuer Formen von Musiktheater – an der Schnittstelle der Darstellenden Künste (Musik, Theater, Tanz, Film), im Spannungsfeld von Betrieb, Politik und Gesellschaft.
Der Förderpreis wird bislang von vier europäischen Partnern unterstützt: dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, der Fondation Pierre Bergé / Yves Saint-Laurent, der Regionalregierung Flandern und den Salzburger Festspielen. Damit ist der Award an Orten verankert, an denen Gerard Mortier jeweils mehrere Jahre wirkte: am Théâtre de La Monnaie, den Salzburger Festspiele, der Ruhrtriennale und der Pariser Opéra. Vielleicht kommt ja das finanziell klamme Teatro Real, seine letzte Wirkungsstätte, auch noch dazu?
Aus dem Spanischen übersetzt (und gleichfalls bezahlt von den Salzburger Festspielen) wurde hingegen eine Sammlung von Essays, Reden und Programmheftbeiträgen in denen sich Gerard Mortier, dieser von Jesuiten erzogene geschliffene Kopf, Gedanken um die Kunstform Oper und ihre Verwurzelung in der Gegenwart macht. Und in jedem Text begegnet einem wieder dieser wagemutige, europäisch denkende Erneuerer des Musiktheaters, der stets nach Mitteln und Wegen suchte, die komplexeste aller Künste auf der Höhe unserer Zeit zu befragen. Mortier glaubte fest an die Modernität und Vitalität der Gattung, und das hieß für ihn vor allem: an die Entdecker- und Forschungsarbeit der Künstler, die sie ermöglichen. Und er blickte immer auch konsequent über die Grenzen der Bühne hinaus. In Brüssel wollte er noch über das Problem der auseinanderbrechenden kulturellen Identität Europas sprechen. Sein Krebstod ließ es nicht mehr zu, aber die Rede konnte er noch vollenden. In schrägen Bildern und Analogien kommt er bisweilen zu seiner Conclusio, nicht alle Einsichten muss man in ihrer Radikalität teilen (zum Beispiel seinen lebenslangen Puccini-Haß), aber sind sie zumindest lesenswert.
Gerard Mortier: Das Theater, das uns verändert. Essays über Oper, Kunst und Politik. Bärenreiter-Verlag/Metzler, Kassel/Stuttgart 2018. 192 S., 29.90 Euro
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