Er pflegt sein Image mit Hingabe: Sergei Polunin, der 29-jährige ukrainische Startänzer, der längst auch jenseits des engeren Ballettsaalkreises seine Millionen Fans und Follower hat, ist und bleibt der Bad Boy of Ballet. Dummerweise bewegt er sich aber in den sozialen Medien unzensiert, und so führten seine verschroben, mal homophoben, mal sexistischen Äußerungen auf Instagram dazu, dass er nun auch Engagements verliert. Tat man es zunächst noch als Verwirrungen der Gefühle ab, als der schnell am Royal Ballet in London zu Ruhm und Schlagzeilen gekommene junge Künstler, offenbar überfordert vom Druck und Drogen, von einem Tag auf den anderen seinen englischen Traumjob schmiss und in der Halbwelt der Tattoostudios abtauchte, so wurde es nicht besser. Zwar kehrte er, unter Anleitung seines Mentors Igor Zelensky (dessen Konterfei er auf der Schulter trägt), zeitweise mit On- inzwischen Off-Freundin Natalia Osipova auf die Bühne zurück, auch auf die des Bayerischen Staatsballetts, wo beide als bejubelte Gäste erscheinen. Doch interessierte ihn, seit sein Tanzvideo von David LaChapelle zum Click-Hit wurde, mehr eine Filmkarriere, die sich bisher freilich auf Nebenrollen beschränkt.
Vor Weihnachten machte Sergei Polunin nun von sich reden, als er seinen sowieso schon zutätowierten, auf der Bühne überschminkten Körper (auf dem Bauch prangt das Kolowrat-Symbol – ein angebliches Wikinger-Sonnenrad, das in der russischen Neonazi-Szene als Hakenkreuz-Ersatz Dienst tut) mit einem weiteren Bildchen zeigte: Ganz oben im Ausschnitt prangt ein Wladimir-Putin-Porträt. Dazu postete er: „Danke an Wladimir und jeden anderen, der für das Gute steht.“ Es sei „nicht leicht, gut zu sein und das Licht zu wählen“. Inzwischen ist Polunin auch russischer Staatsbürger.
Ale er aber nun vor ein paar Tagen mit Instagram-Einträgen aufwartete, wo zu lesen war, viele Balletttänzer seien zu wenig männlich, „schwach“ und „peinlich“. Männer sollten Wölfe, Kämpfer und Anführer der Familie sein. Weil die Tänzer keine Frauen „ficken“ würden, müssten diese nun Männerrollen übernehmen. Und außerdem müssen man übergewichtige Menschen „ohrfeigen“, weil deren „Faulheit“ nicht zu akzeptieren sei.
Grund genug für das Ballett der Pariser Opéra, ein eben vereinbartes Engagement wieder abzusagen, weil die „öffentlichen Äußerungen“ Polunins nicht mit den Werten des Hauses vereinbar seien. Polunin hätte an der Seine ausgerechnet den männerliebend gezeichneten Prinz Siegfried in der „Schwanensee“-Version der einstigen Schwulenikone Rudolf Nurejew tanzen sollen.
Dieser Eiertanz im wahrsten Sinne des Wortes verschärfte sich an der Bayerischen Staatsoper. Dort ließ man den erschreckend abgemagerten, bisweilen nur noch mit schlampiger Technik als Schatten seiner selbst sich produzierenden Sergei Polunin dieses Wochenende in „Ryamonda“ tanzen, weitere Vorstellungen sind angekündigt. Immerhin sah sich die Leitung bemüßigt, wegen der steigenden Empörung auch in Tänzerreihen eine Erklärung zu veröffentlichen: Windelweich heißt es darin, man könne nicht „alle Kommentare“ von Künstlern „gut und richtig“ heißen. Man müsse aber erst mit Polunin über seine umstrittenen Äußerungen sprechen. Aber nicht öffentlich, und „ohne jede Skandalisierung, die Menschen lediglich in eine Ecke“ drängen würde. „Die Angelegenheit ist komplex – und es bringt uns langfristig nicht weiter, sie zu vereinfachen“, heißt es weiter. „Es sind große und relevante Fragen, die nun aufkommen, und die uns durch das Tempo und die starke Präsenz der Sozialen Medien auch ganz neu betreffen: Wo ist die Grenze zwischen öffentlich und privat? Wie und warum beurteilt eine Institution die Meinung eines Künstlers? Ab wann ist eine Meinung gefährlich, was ist gar strafbar?“. Man wolle Polunin nun tanzen lassen. Aber: „Was folgt, ist ungewiss. Und das ist in Ordnung.“
München mal wieder. Es scheint fast Hauptstadt einer Rollback-Bewegung, ummäntelt als Liberalitas bavariae der anderen Art. Hier beschäftigt man mit Valery Gergiev als Philharmonikerchef einen weiteren erklärt strammen Putin-Freund. Hier durfte der wegen angeblicher Übergriffigkeiten gegen Frauen beim Amsterdamer Concertgebouw Orchest fristlos gefeuerte Daniele Gatti seine seither einzigen Deutschland-Konzerte dirigieren. Hier wurde Siegfried Mauser, der Rektor der Münchner Musikhochschule im bisher spektakulärsten deutschen #MeToo-Fall rechtskräftig verurteilt. Am Nationaltheater singt der wegen seiner Runen-Tattoos in Bayreuth gefeuerte Evgeny Nikitin. Und hier lässt man den Popstar Polunin tanzen. Zudem ist er als Gastredner bei der Konferenz „Digital-Life-Design“ angekündigt. Noch. Es könnte aber auch sein, dass der – Autoflagellation eines Genies – bald vor den Trümmern seiner sowieso kurzen Tänzerkarriere steht.
Der Beitrag Posts, Polunin, Pop, Putin: Ist München wieder Hauptstadt der Bewegung? erschien zuerst auf Brugs Klassiker.