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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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„Juditha triumphans“: In Amsterdam singt jetzt ein weiblicher Hermann Göring Vivaldi

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Ewig schade, dass von den vier uns bekannten Oratorien Antonio Vivaldis nur eines den Noten nach überliefert ist – und auch das im Grunde noch nicht lange. Denn der Prete rosso wurde fast bis in die Jetztzeit nur als Instrumentalkomponist wahrgenommen. Doch allein die für das Orchester und den Chor des venezianischen Mädchenwaisenhauses Ospedale della Pietà 1716 geschriebene „Juditha triumphans devicta Holofernis barbarie“ überrascht mit einer köstlich instrumentierten Partitur, in der sich Gamben, eine Viola d’amore, Klarinetten, Trompeten, Blockflöten, Laute, ja sogar eine Schalmei finden. Und in Amsterdam, wo dieses opulent tönende Kirchenwerk jetzt einmal mehr den für gewöhnlich aus Kostengründen etwas sparsamer besetzten, inzwischen aber auch wieder gespielten Opern auf der Bühne der Dutch National Opera zur Seite gestellt wurde, gereicht es zu einem Klangfest für Andrea Marcon und das Baseler Barockorchester La Cetra. Das klingt rund, voluminös und festlich, schon in der Ouvertüre, dem einzig fehlenden Part des zweieinhalbstündigen Opus, die hier durch das kriegerisch blitzende Concerto per Amsterdam ersetzt wurde. Marcon wechselt feinsinnig die Stimmung, kann es ganz intim nur mit den vier Continuo-Lauten, Orgel und sanft sich wellenden Streichern. Er hält die Spannung aufrecht, schließlich ist die Timeline in einem vielfach reflektierenden Oratorium eine andere als in einer auf Dramatik und schnell wechselnde Affekte abzielenden opera seria. Und doch hat, wie so viele italienische Oratorien, auch dieses geistliche Spiel seine opernhaften Seiten, wie schon das Libretto mit dem Trinkchor der assyrischen Soldaten oder der zur Bibel hinzuerfundenen Verliebtheit und Trunkenheit des Holofernes suggeriert. Aber trotzdem Vorsicht: Mit Regierealismus ist hier nicht viel zu holen. Doch der 36-jährige Floris Visser, nicht nur in den Niederlanden als einer von drei heimischen Inszenatoren (neben den Damen Lotte de Beer und Jetske Mijnssen) hochgehandelt, tappt in seiner ersten großen Produktion für das Erste Haus am Platze genau in dieser Falle. Schlimmer noch, zum Thema „Krieg“ fällt ihm nur das ein, was wir eigentlich keinesfalls mehr auf einer Opernbühne sehen wollen: Nazis!

Fotos: Marco Borggreve

Irgendwie ist man es leid: Schon zu den ersten martialischen Ouvertürentakten hebt sich der Vorhang über den seitlich angehäuften Trümmerhaufen und gibt den Blick frei auf Dieuweke van Reijs Einheitsbühnenbild. Wie schon in Vissers Karlsruher „Semele“ dreht sich in der Mitte ein Rundbau, die zerschossenen Apsisreste eine kleinen Kirche. Und über die stolpern jetzt proper gekleidete, von Wehrmachtssoldaten gejagte Weltkrieg-II-Flüchtlinge. Da wird erschossen, bedroht, gebarmt, betatscht und vergewaltigt, aber eben nur hübsch arrangiert  pseudeo-real, immer zu opernschön, zu nett, zu fein, dass es dann eigentlich nur noch mehr anwidert. Zumal es einfach nicht zu den pathetisch aufgeladenen Barockrhythmen und dem doch zu langsamen Puls des Oratoriums passen will.

Aber es kommt noch besser und absurder. Vivaldi hat seine „Juditha triumphans“ nur für Frauen geschrieben. Während man den Chor mit Männern aufgefüllt hat, steht in den fünf tragenden Rolle aber ein rein weibliches Mezzosopran-Quintett auf der Bühne. Denn auch der Feldherr Holofernes, der Bethulien erobert hat, und von der Witwe Judith umgebracht wird, damit ihre Heimat wieder frei werde, ist hier, dem Barock ging es nie um Realismus, eben eine Frau. Teresa Iervolino gestaltet ihn mit satter, fülliger, doch beweglicher, gar nicht so arg maskuliner  Stimme. Und Visser inszeniert ihn doch wirklich als Reichsfeldmarschall Herman Göring!

Zwischen Raubkunst arrangiert der in der kaputten Kirche sein Schäferstündchen. Und natürlich packt Judith bei der Artefakte-Sichtung eine Leinwand aus, die Caravaggios berühmte Kopf-ab-Szene als mahnenden Vorausgriff zeigt und später ihre Tat gleichsam weltkünstlerisch verherrlichen soll. Überhaupt ist dieses sich szenisch ziehende Rendezvous am Dinnertisch inszeniert wie der zweite „Tosca“-Akt. Die zunächst matronenhaft schwarz ausstaffierte Gaëlle Arquez als Judith kommt jetzt in große Primadonnenrobe und zeigt schnell ihre Dessous. Holofernes wartet in schwarzer SS-Galauniform mit roter (zum Glück wenigsten hakenkreuzloser) Armbinde. Sinnlich und süß, gleichzeitig verzagt und zweifelnd, schließlich sich selbst Mut machend und ihre unerhörte Tat verteidigend singt die schönen, ausdruckstarke französische Mezzosopranistin in ihren sechs Arien vielgestaltig die Heroine als facettenhaft schillernde, doch insgesamt sendungsbewusste Frau. Als dann freilich der Kopf ab ist und als blutriefendes Plasteteil aus dem Doppelbett gehoben wird, gibt es im Publikum Gelächter. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass dieses filmische Konzept zur abstrakten Musik so gar nicht verfängt.

Und auch die übrigen Rollen werden in dieser semidokumentarischen Spielkonstellation nicht glaubwürdiger. Abra, Judiths Magd, von der Kunstgeschichte als alte Frau gezeigt, ist bei Vivaldi ein junges, koloraturzupackendes Mädchen, von Polly Leech mit erstaunlich mezzohellen, glockigen Tönen ausgestattet. Die fällt samt Revolver von der Trümmerhalde in den Feldherren-Salon (warum geht eigentlich keiner außenherum, da liegt kein Schutt!), als sie ihrer Herrin beistehen will; wird aber absurderweise von dessen schroffem Adjutanten Vagaus (zupackende Tonkaskaden: Vasilisa Berzhanskaya) ignoriert. Bei dem weiß man gar nicht, wo man dran ist: Hat der, in der Besetzung als Eunuch ausgegeben,  einen heimlichen Crash für seinen Vorgesetzten oder schändet er doch lieber Statistinnen? Wieder mal bleibt Visser diffus. Francesca Ascioti komplettiert mit körnig-herbem Timbre die gut ausgesuchten Stimmfarben als Widerständler Ozias (eigentlich der Hohepriester) in der Lederjacke.

Doch bei diesen Frauen in Männerkleidern, die bei aller Macho-Rotzigkeit doch irgendwie wie kesse Väter oder Kampf-Dykes wirken, wird das Spiel mit dem Singgeschlecht nicht zum Reiz, es widersteht nur dem platten Historienschinken. Da war am gleichen Ort Claus Guth jünst mit seiner symbolistischen „Jephta“-Zurichtung weit oratorien-erfolgreicher. Trotzdem ein Gewinn, diese durchaus theatralische, erstklassige Vivaldi-Musik, von der Republik Venedig in Auftrag gegeben, um allegorisch den Sieg gegen die Türken bei der Belagerung von Korfu zu feiern, in einem szenischen Kontext erleben zu können.

Der Beitrag „Juditha triumphans“: In Amsterdam singt jetzt ein weiblicher Hermann Göring Vivaldi erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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