Seltsames Komponistenschicksal: Erst war Ernst Krenek hipp, dann konservativ, aber den Rechten immer noch zu querständig. Schließlich passte er in gar eine Schublade mehr. Und wurde darob, so alt wie das 20 Jahrhundert, 91 Jahre; aus dem k.u.k Böhmen gerissen, in Los Angeles nie so richtig heimisch. Sein erster Riesenerfolg war 1927 die Zeitoper „Jonny spielt auf“, mit ihrem „Jazz-Neger“ als Titelfigur und zeitgeistigem Sound in den Zwanziger der Hit. Und eben in Prag übrigens neu im Spielplan. Gleich in der ersten Spielzeit 421 Mal gegeben, aber auch schnell wieder passé. Krenek, der insgesamt über 20, oft kurze Opern verfertigen sollte, verunsichert in einer schwierigen Epoche, suchte neuerlich den Anschluss nach Österreich, wo die Regierung Dollfuß einen auf christlichen Werten bauenden National- und Ständestaat zu etablieren versuchte. Clemens Krauss, später eine Karrieremacher unter den Nazis, bestellte bei dem Talent ein großes Geschichtswerk für die die Wiener Staatsoper. Und so wie später der ebenfalls konservativ werdende Paul Hindemith in seiner Keppler-Oper „Die Harmonie der Welt“ das große Historienpanorama suchte, um sich im drohenden Kalten Atomkrieg seiner eigenen Zeit zu versichern, so griff Krenek nach Karl V., dem als spanischer Habsburger letztlich gescheiterten Bewahrer des Katholizismus, der als Staatskitt fungieren sollte in einem Weltreich, in dem die die Sonne niemals unterging. Solches aber freilich komponierte er, den Stil flüssig wechselnd, als erstes abendfüllend vollendetes Zwölftonmusiktheater. Auf ein ziemlich gutes, geistvolles eigenens Libretto. Den Rechten war das neuerlich viel zu suspekt. Die geplante Uraufführung 1934 wurde abgesagt. Krenek erlebt die verunglückte Premiere 1938 in Prag nicht selbst, nach dem Krieg konnte das Werk nirgends Fuß fassen. In Wien gar terminierte es erst Lorin Maazel für das Jahr 1984 (!) an der Staatsoper; in Salzburg konnte sich nicht einmal Gerard Mortier 2000 weder zum 100. Krenek- noch zum 500. Karl-Geburtstag dafür erwärmen. Dafür wurde es damals beim Bonner Beethovenfest konzertant gegeben und erstmals komplett eingespielt. Zuletzt trauten sich 2008 die Bregenzer Festspiele an eine Visualisierung. Am nachhaltigsten freilich hatte 1965 die Münchner Inszenierung von Hans Hartleb beeindruckt. Und 55 Jahre später kam „Karl V.“ dort jetzt wieder in einer eindrücklich überzeugenden Produktion heraus. Und klar, das Werk ist spröde, komplex und aufwändig, es riecht bisweilen nach katholischem Schulfunk, aber es ist ein ungemein dichtes, spannendes Bekenntnisstück. Und passt perfekt in eine ebenfalls verunsicherte Ära.
Ohne sich dabei freilich nun an der Bayerischen Staatsoper mit aktuellen Anspielungen anzubiedern. Und trotzdem ist immer, ohne dass hier Atompilze, Neonazifressen oder aktuelle Politpopanze auftauchen, klar, worum es auch geht, wenn die kaiserlichen Landsknechte skandieren: „Wir wollen Deutsche sein, nicht Weltbürger!“ Carlus Padrissa hat mit seiner routinierten La-Fura-dels-Baus-Theaterspektakeltruppe, in die sich diesmal visuell stark auch die Malerin Lita Cabellut eingliedert, ein genau richtiges Cinemascope-Weltbühnenmysterienspiel entfacht. Seine üblichen Ingredienzien: Feuer, Wasser, Spiegel, Filme, von der Decke herabwuselnde Menschlein, es ergibt diesmal ein genau richtiges, virtuos sich abspulendes und verwandelndes Effekte-Kaleidoskop.
Und dieser Karl V., denn wir auch in Verdis „Don Carlos“ auf der Opernbühne erst in Rente erleben, er durchmisst neuerlich im Kloster San Yuste in der heißen Extremadura kurz vor seinem Tod sein Leben und Streben als gar nicht befriedigende Reminiszenz. Er kämpft mit dem Glauben und dem Schicksal, Krenek wollte das, Brecht und Milhauds multimedialer „Christophe Colomb“ waren methodisches Vorbild, als epische Chronik rückwärtslaufen lassen. Als Gesprächspartner hat der abgedankte Herrscher einen jungen Beichtvater (Janus Torp macht das zurückgenommen lauernd gut) und später den Jesuiten Francisco Borgia (gellend: Scott McAllister). Und als Gott, Überich, Papst, Inquisition und Moritz von Sachsen donnert aus dem Off die schepprig brummelnde Stimme von Münsters „Tatort“-Staatsanwältin Mechthild Großmann. Die akustische Abmischung in den vielen, oft von Musik unterlegten Sprechpassagen könnte freilich besser ausbalanciert sein.
Karl, die ganze Zeit auf der Bühne, nur im etwas statischen, repetitiven, auch optisch nichts Neues liefernden zweiten Teil, nach einem Zusammenbruch zur Pause für eine halbe Stunde auf seinem Bett geparkt, das ist Bo Skovhus. In jedem Ton, in jeder Faser. Einmal mehr macht sich der dänische Barton qua seiner Persönlichkeit eine der monströsen Rollen der Moderne zu eigen. Freilich ohne altmeisterlich grandseigneurale Jovialität, mit sich und seiner Bestimmung ringend.
Ihm hilft dabei ein schillerndes Kostümbild, der weißgeschminkte Mann mit der von astronomischen Kreisen bedeckten Gummijoppe und den gelben Haarstacheln, er ist gleichzeitig König und Gottesnarr, Opfer der Kirche und Irrer, Punk, Clown und Heiliger. Wie überhaupt die Heerscharen von Klerikern, Militärs, Bürgern, die immer wieder auch durch die Seitentüren die erste Zuschauerreihe entern, während als flüsterndes Gold aus Südamerika, von Pizarro losgeschickt, Statisten über die Armlehnen durchs Publikum wuseln, etwas Surreales haben. Das gipfelt in den beiden großformatigen Finali dieses „Bühnenwerk mit Musik“, wenn die Geister und tickend die Uhren singen und am Ende des Kaisers Sterben begeleiten. Die Katalanen entfachen ein große, opulente, aber immer fokussierte Geschichtsrevue. Mit Luther (Michael Kraus) als schwarzem Schachtelteufel, einem bombastischen Sultan Soliman (Peter Lobert), dem versatil-kindlichen König Franz I. von Frankreich als Karls ewigem Gegner (eine neue Charakterglanzpartie für Wolfgang Ablinger-Sperrhacke). Wie eine irre Pieta wird Karls Mutter Juana (die Wahnsinnige) mit ihrem toten Mann hereingefahren, Okka von der Damerau singt sie bewährt pastos. Kurz ist auch der Auftritt von Anne Schwanewilms als Gattin Isabella, die theatralisch im Bett stirbt. Mehr Raum hat die blütenbekränzte, sopranklare Gun-Brit Barkmin als Karls Schwester Eleonore. Doch alle bleiben sie bleiche Gespenster als Schatten der Vergangenheit.
Dauernd ist die Bühne in Bewegung. Über kräuselnd reflektierender Wasserfläche klettern Filmfiguren aus Tizians „La Gloria“, schieben sich transparente Spiegelsegmente hin und her, hängen 26 Monaden von einer Spindel, fügen sich zur Doppelhelix, zum wimmelnden Höllensturz. Menschlein in Zeitlupe wandeln vor zart lasiert gespachtelten Farbflächen, immer neue Planetenmodelle versuchen die Größe der damaligen Welt zu umfassen. Karls Mutter übergibt ihm einen wumstichigen (Reichs-)Apfel, der dann den Rest des Abends auf dem Souffleurkasten blau angestrahlt als Globus steht. Als Reichstag zu Worms leuchtet der Zuschauerraum des Nationaltheaters. Das ist so virtuos, wie sinnfällig, und bisweilen auch voraussehbar.
Doch das Publikum folgt dieser durchaus langen, komplexen Oper gespannt und begeistert. Weil die feinsinnig bis hin zu Saxophon und Mandoline orchestrierte Zwölftonmusik, anders als in den zu gleicher Zeit liegen gebliebenen Fragmenten, Schönbergs „Moses und Aron“ und Bergs „Lulu“, weit zugänglicher klingt, transparenter gebaut ist. Meist schlängelt sich das als weiter, ruhiger Tonfluß dahin, ist von einer melancholischen Größe, auch resignativer Ruhe, selbst wenn es auf der Bühne turbulent oder kriegerisch zugeht. Es ist das große Verdienst von Erik Nielsens ruhig souveräner, umsichtiger Leitung am Pult des Staatsorchesters, dass diese gewaltige Partitur so schön, so eingängig klingt. Keine Angst vor Krenek also. Hingehen zu diesem Opernnachdenken über Europa gestern und heute! Und wir wollen nicht so lange auf eine Wiederbegegnung warten müssen.
Am 23. Februar um 19 Uhr als kostenloser Live-Stream auf staatsoper.tv
Der Beitrag Großes Fura-dels-Baus-Welttheater mit Zwölftonreihe: In München begeistert Bo Skovhus in einer eindrücklichen Visualisierung von Ernst Kreneks „Karl V.“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.