Aus. Vorbei. Letzte Spülung. Im Opernwien (gibt es ein anderes?) wurden gerade zwei fundamental wichtige Bausteine dortiger Hochkultur ausgetauscht. Zu ebener Erde, in der Oper, da wurde ein scheinbar eiserner Bestandteil des Repertoires endgültig ersetzt. Nein, noch nicht die Wallmann-„Tosca“ von 1958, eben mit dem gefeierten Cavaradossi-Debütanten Piotr Beczala auf dem Spielplan. Aber die sei, so munkelt der Stehplatz, auch bereits auf der Bogdan-Roscic-Oper 4.0-Agenda ab 2020. Nein, schon seit 2012 nicht mehr gespielt, ist nun die historistisch kulissenvolle, kostümpralle „Lucia di Lammermoor“-Anrichtung Boleslaw Barlogs von einer Neuinszenierung abgelöst worden. Nach 40 Jahren, Ende 1978 war Premiere. Die Wiener hat sie einst ins Belcanto-Delirium versetzt, die damalige Primadonna Edita Gruberova als Königin der Koloraturstratosphäre endgültig zum Star katapultiert. Die Premiere, vor allem deren Primadonna konnte das alte, liebe Ding nur schwer ersetzen. Und die Grubi, die pfiff just am Premierenabend ihre vermutlich letzte Lucia in Budapest. O Tempora, o Opernmori. Denn nach einer Gnadenfrist „bei eingeschränkter Leistung“ hat man nunmehr im mitunter sehr unsentimentalen, ja grausamen Wien die reiseführerberühmte, unten, in der Ringstraßenpassage zum Karlsplatz hin dauerdudelnde Opera Toilet geschlossen! Weil sie mit ihrer falschen Jugendstilschrift, den verblassen Fotofolienlichtkästen alter k.u.k.-Herrlichkeit, vor allem aber mit ihrer Walzerklangumspülung nicht mehr in das „WC-Konzept“ der Stadt passte.
Zitiert sei aus einem Schreiben der zuständigen MA 48 (Abfallwirtschaft), wonach es Ziel ist, „die öffentlichen Bedürfnisanstalten an eine neue, hochwertige und serviceorientierte Produktlinie anzupassen“. Dabei schien es, als hätte es immer so sein sollen. Schließlich wurde nicht selten als Erster-Bezirk-typisch empfohlen: „Ein Schnitzerl im Figlmüller, einen Kaffee im Hawelka und danach zum Austreten auf die Operntoilette.“ Wer aus den Wiener U-Bahn-Eingeweiden zur Rolltreppe Richtung Musiktheatertempel steuerte, der hörte den Donauwalzer und roch Urinstein. Vielleicht erleichterte er sich noch schnell, tonumplätschert und klischeesatt, bevor oben stundenlange Wagnerwonnen warteten. Die Opera Toilet war als abgewohntes Walzer-Häusl, wo sogar ein Klavier stand, irgendwie gemütvoll und olfaktorisch genauso wienwichtig wie die Hinterlassenschaften der Fiakerpferde. Zumal die Frauenmünder-Urinale, in die Mann vor einigen Jahren noch völlig unkorrekt pinkelte, längst gewöhnlicher Keramik gewichen waren. Die Betreiber, die sich um ihr Lebenswerk betrogen sehen, zeigen wenig Verständnis und berufen sich auf die Sauberkeit: „Bei uns herrscht Wohlfühl-Flair statt Spitalscharakter.“ Dabei gab es zuletzt sogar politische Unterstützung für den Pieselpalast. Wiens FPÖ-Fraktionschef Toni Mahdalik gab zu Protokoll: „Das Opern-WC ist eine Institution und muss unbedingt in der bestehenden Form erhalten bleiben.“ Es hat nichts genützt, immerhin soll es sogar ein Kondolenzbuch gegeben haben. Jetzt also schneit es auf Bühne der unterkühlten neuen „Lucia di Lammermoor“-Szenerie, und im Souterrain regiert Nirosta-Schüsselcharme und aseptisches Kachelweiß. Die Opera Toilet, wo keiner mehr einen Strahl im Dreivierteltakt wird sprudeln lassen können, ist nun also eine austauschbare, stinknormal sterile Bedürfnisanstalt. Fast wie die Oper….
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