Und schon wieder trifft es einen weitgehend Unbekannten: im Jahr 2009 hatte sich das New York Philharmonic für seinen gegenwärtigen, damals wenig profilierten Musikdirektor Alan Gilbert entschieden. Der scheidet im Sommer 2017 aus dem Amt. Ihm folgt ab Sommer 2018 der Niederländer Jaap van Zweden (55). Der steht gegenwärtig dem Dallas Symphony Orchestra und dem Hongkong Philharmonic vor. Seine in der Öffentlichkeit als Konkurrenten gehandelten Kollegen Esa-Pekka Salonen und Manfred Honeck, der das Pittsburgh Symphony Orchestra leitet, hatten bereits vorher abgesagt.
Ist das jetzt schlecht oder gut? Während manche ewigen Besserwisser und Klickhuren schon wieder die nächste Orchesterdämmerung am Hudson River herangewittern (und – twittern) sehen (denn auch der sich als Langeweiler erweisende Gilbert wurde dort höchstens für seinen fantasievollen Einsatz für die Moderne geschätzt), sollte man doch etwas genauer hinschauen.
Der Dirigentenmarkt ist gegenwärtig ziemlich gesättigt, alle wichtigen Keyplayer sind einigermaßen versorgt. Nur nicht der ewig leer ausgehende Semyon Bychkov, der durchaus auch eine Möglichkeit gewesen wäre. Immerhin ist er durchsetzungsfähig, was bei diesem notorisch komplizierten, längst etwas vom vergangenen Ruhm zehrenden Orchester (zu den ehemals Big Five gehört es längst nicht mehr, eher müssten da die Klangkörper von Los Angeles und San Francisco dabei sein) dringend geboten ist. Ähnliches erzählt man sich auch von Jaap van Zweden.
Sicher, Honeck wäre eine Alternative gewesen (aber der hat mit seiner eher ausgleichenden Natur wohl keine Lust auf Ärger). Salonen will ganz bestimmt nicht noch einmal einen USA-Job, der niemals den Nimbus seiner Arbeit in L.A, erreichen könnte; außerdem braucht er Komponier-Zeit. Und wer sonst? Frauen und Latinos als Quotenkandidaten, wie manche ätzen? Ganz bestimmt nicht. Oder mediokre Taktschläger à la Fabio Luisi, dessen Hochzeit an der Metropolitan Opera auch schon wieder vorbei scheint?
Jaap van Zweden hat keinen besonders glänzenden Namen, er ist als Orchesterchef ein late bloomer, dafür war der ehemalige Geiger der jüngste Konzertmeister in der Geschichte des Concertgebouw Orchest. Aber nicht jeder, der vom Betrieb und bestimmten englischen Agenturen nicht gleich gepuscht wird, muss per se schlecht oder uninteressant sein. Das New York Phil ist ein Traditionsbetrieb, der es viel zu lange versäumt hat, sich neue Realitäten zu stellen, sich ausgerechnet in einer dynamischen Metropole wie New York neu zu erfinden. Um dies jetzt endlich zu leisten, dazu braucht es eine Persönlichkeit mit Durchsetzungskraft. Und die haben die meisten der hochgehypten Enddreißiger und Mitvierziger, die mit schillernden Programmen punkten und energetischen Konzerten punkten, hinter den Kulissen nicht unbedingt.
Van Zweden kam erst ab 2008 zu internationalem Ruhm als er das Dallas Symphony übernahm. Das hat er seither in einen reputierlichen, disziplinierten und kultiviert klingenden Klangkörper verwandelt. Umso bedauerlicher, dass kürzlich die für das Frühjahr vorgesehene Europatournee aus Kostengründen und Sicherheitsbedenken kurzfristig abgesagt wurde. Auch in Hongkong scheint er einen guten Job zu machen. Gerade hat er dort die Halbzeit seines ehrgeizigen Wagner-Projekts mit dem „Ring des Nibelungen“ erreicht. Die „Rheingold“-CD bei Naxos legt davon erfreulich Kunde ab. Auch Künstler wie Matthias Goerne, der mit van Zweden seinen ersten Wotan singt, schätzen ihn hoch.
Es bleibt nur zu hoffen, dass das New York Phil sich mit Jaap van Zweden jemanden geholt hat, mit dem man sich gemeinsam wieder einen Namen und ein Profil machen muss und möchte. Mit dem man eine von beiden gewollte Strategie verfolgt. Mit dem man sich Gedanken über einen künftigen und langfristigen Kurs gemacht hat. Dann könnte es klappen, denn gerade einem Anfang mit einem Unbekannten in der Gleichung wohnt durchaus ein Zauber inne. Doch wenn der nur ein Notlösung sein sollte, weil die glamouröseren Kandidaten alle schon vergeben waren, damit täte sich keiner einen Gefallen.
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