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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Blutig, brav und banal: Anno Schreiers Meta-Belcantooper „Schade, dass sie eine Hure war“ in Düsseldorf

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„Verdi&Wagner&Mozart&Schreier“. Das tönt selbstbewusst, und das ist es auch, obwohl es sich nur um T-Shirts und Taschen handelt, auf die die Deutsche Oper am Rhein die Premierenkomponisten dieser Saison als Werbeslogan gedruckt hat. Und der 40-jährige Anno Schreier, Trojahn- (anwesend) und von-Bose-Schüler, der schon auf einige Musiktheaterwerke zurückblicken kann, hat es ja schließlich zugelassen. Selbstbewusst – und weil Verdi, Wagner und Mozart in ihren Stücken genau das Gleiche wollen wie der Aachener: Geschichten in Klängen erzählen. Das unterscheidet ihn, der noch nie in Donaueschingen eingeladen war, aber von den Opernhäusern der Republik hofiert wird, von vielen seiner Zeitgenossen, deren Werke für das Musiktheater nicht selten nur solipsistisch tönende Befindlichkeitsskizzen aus dem Elfenbeinturm sind – ohne Relevanz für die Gattung wie für die Öffentlichkeit. Schreier erfindet das Genre auch nicht neu, aber er mixt es dank seiner offensiv eklektizistischen Komponierweise  durchaus originell neu. So geschehen in Opern nach Vorlagen von den Gebrüdern Grimm, Christa Wolf oder José Saramago. Zuletzt wagte und gewann er mit einer „Hamlet“-Neufassung 2016 am Theater an der Wien. Und jetzt sollte es für Düsseldorf neuerlich ein elisabethanischer Dichter sein. John Fords blutiges Schauerdrama „Schade, dass sie eine Hure ist“ hatte es Schreier angetan. Leider mutierte es trotz knapper fünf Akte in zwei Stunden zum öden Oper-über-Oper-Flop.

Diese Monstertragödie von 1633, die quasi Shakespeares „Romeo und Julia“-Plot prä-tarantinesk mit Inzest gewürzt und um Splatterelemente angereichert neuerlich durch den damals sehr hungrig nach Nachschub dürstenden Dramenwolf dreht, hat in den letzten Jahren steil an Beliebtheit verloren. Die berühmteste Inszenierung ist immer noch die, in der Anfang der Sechziger in Paris Luchino Visconti seinen jungen Liebhaber Alain Delon auf die ihr „Sisi“-Image abstreifen wollende Romy Schneider losließ, und es zwischen beiden auf der Bühne wie im privaten Bett loderte. An der Deutschen Oper am Rhein lodert zwar ein Scheiterhaufen für die intrigante Hippolita (Sarah Ferede), doch der ist nur virtuell und verbreitet Kälte. So wir diese ganze, nicht mal lauwarme Angelegenheit über zwei Zwillinge zu Parma, die lieber mit sich Spaß haben wollen, obwohl der liberale Vater Florio (Günes Gürle) seiner Tochter Annabella sogar eine Liebesheirat gestattet. Die wird lieber von Brüderchen Giovanni schwanger, während sich die anstehenden Liebhaber der Reihe nach niedermetzeln. Ihrem Bräutigam Soranzo (laut: Richard Sveda) gönnt Giovanni Annabella nicht. Lieber bläst er ihr selbst das Lebenslicht aus und vergiftet den Gatten mit ihrem Herzen, bevor er selbst seinem Ende entgegenröchelt.

Fotos: Hans-Jörg Michel

In Düsseldorf macht David Hermann, der sich hier an so viel historischem Gesudel auf keinen Fall die feinen Regisseurhände beschmutzen will, sofort klar: Alles nur Kulissenzauber im Arbeitslicht. Auf der offenen Bühne lässt Jo Schramm seine Sperrholzversatzstücke rückwärtig herumstehen. Arbeiter sind dazwischen zu sehen. Ein offenbar aus einem Märchenstück übriggebliebener Riesenfliegenpilz senkt sich herab. Und wie in einem Gartenpavillon zelebrieren hier unter der giftigen Lamelle Annabella (die lyrisch zupackende Lavinia Dames) und Giovanni (etwas angestrengt: Jussi Mylles) ihre aufkeimende amour fou wie Hänsel und Gretel im rotweißgepunkteten Nachtzeug und mit orangenem Haar.

Das kann nicht gut gehen, bleibt aber so keimfrei, wie die munter drauflos giggelnden, zunächst nur von Holzbläserlinks kommenden, ouvertürenlosen Auftaktklänge. Die sind so was von total Meta: ein wenig Buffa, eine Prise Minimalismus, Mittelalterfanfaren schmettern, barocke Tanzweisen hüpfen, manchmal dräut es auch dramatisch, um dann Richtung Jazz abzubiegen. Alles ist im Angebot. Der später sparsam eingesetzte Chor tönt nach Orff, der schusselige, ebenfalls bald totwunde Rokokokavalier Bergetto (Florian Simon) bekommt preziöse Rhythmen, die von einer Blasbanda zugebratzt werden. Es dräut schicksalshafte Italianità, und ein anderer Liebhaber (Sergej Khomov) schwingt das Florett zu Filmmusikalischem. Anno Schreier dreht hier mit Verve und könnerisch am Komponistenkaleidoskop, das lauter Musterschülerscherben vorzeigt und trotzdem keine Sekunde begeistert. Denn hier legt sich keiner fest, berührt nichts. Man schaut zunehmend desinteressiert zu wie einer eine Spielklötzchenkiste ausleert und neu zusammensetzt. Auch weil Kerstin Maria Pöhlers hölzerner Librettosprech entweder ungewollt komisch ist oder klobig zu Maulsperre führt.

Die ersten drei Akte wird das alles – wie um noch mehr Distanz zu schaffen – nur fragmentarisch und in den seltsamsten Kostümen von alt bis zeitgenössisch (Michaela Barth durfte sich austoben) als Väter der mal heiteren, mal surreal-schrägen Opernklamotte vorgeführt. Da gibt es zudem eine pferdelose Quacksalberkutsche aus dem Western für einen doch nicht um die Ecke gebrachten Ehemann (David Jerusalem), der sich mit seiner Koloraturen spuckenden Nichte (sehr stimmbandbeweglich: Paula Iancic) getröstet hat; auch ein paar Cowboys tauchen auf. Natürlich gehören ein paar renitent-komische Domestiken dazu: der sinistre Mafioso Vasquez (düster: Sami Luttinen) und die schon im Namen überdeutliche Ammenschlampe Putana (Mezzogroteske: Susan McLean). Schließlich segnet ein basssingender Mönch (Bogdan Talos) den unheiligen Bund. Sie alle sind nicht übermäßig gefordert, singen meist allein deklamatorisch gepflegt vor sich hin; hier theaterpraktisch und pragmatisch in beinahe allen zwölf Rollen aus dem Ensemble besetzt.

Erst der das vierte Bild nach der Pause zeigt die für ein paar Momente fast vollkommene Illusion eines Renaissance-Innenhofs, in dem Annabellas Hochzeitsfeier zelebriert werden soll. Nur der Horizont fehlt, und an der Seite bricht das brechtisch ein Maler, der die Szene festhält. Dafür gibt es jetzt sogar eine schwülstige Mini-Balletteinage mit drei rosa Damen als Bauchtänzerinnen. Hier wird an nichts gespart, bevor es in dem aus dem Boden fahrenden Designerloft mit Wallavorhängen und Kreuzweh-Couch zum mörderischen Showdown geht. Doch so wie selbst das herausgerissene Herz der Hauptdarstellerin nur ein kaum schockiges Requisit ist, so bleibt diese dauernd ihr theoretische Können vorführende, aber kein Ziel habende Oper ähnlich tot wie die am Ende zu zählenden sieben Leichen.

Lukas Beikirchner am Pult der Düsseldorfer Symphoniker rackert sich nach dem „Erkennen Sie die Melodie?-Motto durch die polystilistische sich plusternde Partitur, ebenfalls ohne viel Eindruck zu hinterlassen. Schon der Titel „Schade, dass sie eine Hure war“ verwandelt das englische Präsens-Original unnötig (da hier nicht gereimt wird) in Historie. Und so kommt diese vergangenheitssüchtige Anno-Schreier-Oper-diesmal so gar nicht in der Gegenwart an.

Schreier will packen und berühren, Avantgarde und Abstraktion interessiert ihn nicht. Beim Publikum kommt das für gewöhnlich hervorragend an. Diesmal blieb auch der Beifall matt. Schade, wirklich schade. Und wir haben irgendwie Appetit auf einem, gut abgehangenen,  medium-rare-blutigen, im Primadonnen-Gekröse wühlenden Donizetti-Belcanto-Hammer bekommen.

 

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