Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

Abgehangen: Yuval Sharon gescheiterter „Zauberflöte“-Versuch, an der Berliner Staatsoper Monster-Marionettentheater zu machen

$
0
0

„Zauberflöte“, „Freischütz“, „Fidelio“. In dieser Reihenfolge. Das sind die Stücke des deutschen Repertoires, die man eigentlich keinem Regisseur wünscht. Scheitern ist hier meist inkludiert. Auf eine gute Inszenierung kommen für gewöhnlich 25 grottige. Jetzt ist an der Berliner Staatsoper Yuval Sharon in dieses sehr tiefe Mozartloch gefallen. Mit Vollkaracho.  Sein hübscher Traum: Dieses unmögliche deutsches Singspiel goes freimaurerisches Initiationsritual, Wurstelprater trifft Ägypten als Marionettentheater, getragen von kindischer Fantasie und Fragekraft. Funktioniert aber nicht. Echte Holzköpfe am Faden, die sich zu Opernklängen bewegen, haben Charme, Kleistsche Unschuld und Grazie. Entpersonalisierte Sänger, die mit Klumpfüßen als Mangacomic-Figuren auf der Bühne blöd herumhängen und mit fremden Stimmen sprechen, aber nicht. Kinder würden niemals weit über drei Stunden auf einer dann doch lähmend unbeweglichen Bühne eine Oper komplett durchspielen. Der Zuschauer ist aber zum Durchhalten verdammt. Und kann sich auch orchestral an wenig klammern. Denn aus dem Graben tönt diese Premiere höchstes wie die gefühlte 193. Repertoireaufführung der 25 alten, leidlich familienfreundlichen Everding-Inszenierung im Retro-Schinkel-Look; die man schon aus lokalpatriotischen Gründen parallel weiterspielt. Zum Glück! Wer hätte das gedacht, dass man Solches mal vom ollen, aber eben doch dollen Opernzirkusdirektor-August sagen würde!

Fotos: Monika Rittershaus / dpa

Erst ist da ein riesiges Papiertheaterportal, hat die die hochgehypte, allenthalben durchschnittlich begabte, freilich hübsche Mexikanerin Alondra de la Parra den Taktstock zu den bereits laschen Ouvertüren-Akkorden erhoben. Könnte auch Everding dahinter sein. Es  offenbart sich freilich ein liegengelassenes Malbuch mit Paradiesbild. Apfeldieb Tamino ist bereits nach wenigen Sekunden in seinen Seilen zappelnd abgehängt, interessiert nicht weiter, obwohl Julien Prégardien bis auf einige störrische Stellen traumschön lieddeutlich singt. Später wird seine Pamina, die als Minimarionette („dies Bildnis“) eingeführt wird, im Partnerlook hereinschweben, mit rosa Schleife statt Geheimratsecken und Minirock statt Minislip. In Japan mag das ankommen, in Berlin Mitte so gar nicht.

Ebenso wenig wie der neonfarben im Catcherlook ausstaffierte Papageno des Wiener Schauspielers Florian Teichtmeister. Der wird am Ende besonders ausgebuht. Was er nicht verdient hat. Den Sharons Idee, den Vogelmenschen-Außenseiter, der bei der Wiener Uraufführung ebenfalls von dem Schauspieler Emanuel Schikander gesungen wurde, eben als Outcast auch musikalischer Art gerade mit seinen zu Tode gesungenen Schlagern zu präsentierten, ist klug, aber nicht mit seinem Restkonzept kompatibel. Denn zwischen all diesen Freaks fällt der plappernde, durchaus auf Tonhöhe und rhythmisch korrekt singende Geselle nicht auf, nur ab.

Konventionell passiv in silbrige, ein wenig schattenverspielte Flugwerke gesteckt wird die ganz leidlich Koloraturen aufspießende Königin der Nacht von Tuuli Takala. Leider sind auch die drei Damen in eine vielbusig schwebende Fruchtbarkeitsgöttinnenwolke verpackt und haben rosabezopft so gar keinen spielerischen Auslauf. Die bisweilen elektroakustisch verstärkten drei Tölzer Knaben sehen erst aus wie pelzkappenbesetzte Bömbchen, dann wie Eskimos. Was beinahe zu einer Flöte als rosa Minirakete und einem Glockenspiel als chinesische Liebeskugeln passt.

Irgendwann wird die erst weißbunte, mal sehr bewegliche, dann viel zu lange statische Bühne von Mimi Lien schwarz und spiegelig, wir sind in Monostatos’ Zwischenreich. Der hat sternbewehrte Mäuse als steppende Armee um sich. Der wie stets stimmlose Florian Hoffmann ähnelt in seinem nostalgischen Roboteroutfit eher einer Espressomaschine mit Aufziehschlüssel. Immerhin lässt Yuval Sharon als politisch korrekter Amerikaner im modernisierten Sprechtext den „schwarzen Menschen“ und Mohren“ thematisieren.

Sprecher und Pforten gibt es nicht, Lauri Vasar darf zu Schattenspielereien nur seine angenehme Stimme erheben. Die tanzenden Tiere entfliehen als Pappbilder mit schwarzgewandeten Nô-Hilfsspielern einem blinkenden Karussell. Der Sarastro des mit seinem Wabervibrato die Gläser an den Foyertheken zum Klirren bringenden Kwangchul Youn kommt optisch zwischen Papplöwen und Schachtelteufeln als schräge Mischung aus goldenem Räucherengel und Turandot mit Scherengitterhänden rüber. Walter van Breiendonck zeichnet für die durchgeknallten, überhaupt nicht zweckdienlichen Kostüme verantwortlich. Im zweiten Teil wird es nur noch öd und langweilig, die Inszenierungsidee hat sich völlig totgelaufen. Die durch den Ausfall von Anna Prohaska von der Papagena zur Pamina aufgestiegene Serena Sáenz Molinero singt auch so – soubrettentschilpig, aber süß – ihre schwere Arie und muss dabei in der Luft hängen. Die Feuer- und Wasserprobe verfrachtet Sharon unerwartet ironisch in eine realistische Küche zwischen Gasherd und Spüle. Hier soll das hohe Paar offenbar sein bürgerliches, oft gesehenes Spießerglück finden. Kindern würde so was übrigens nie einfallen.

Ohne Auflösung geht es jetzt wieder auf die bisweilen durch ein paar nackte Scheinwerfer angedeutete Theater-auf-dem-Theater-Ebene mit den Minimarionetten und echten, enthemmt in Vertretung des müden, endlich am Ende angekommenen Publikums freudig hüpfenden Kindern. So what? Yuval Sharon hätte die einmalige Chance gehabt, neben der ausstattungsschwelgenden, märchenbraven Everding-„Zauberflöte“ und gerade mit einem Teichtmeister eine psychologisch fundierte heutige Geschichte zu erzählen. Er hat sich mit aus dem Ruder laufendem Bildertheater voll aufgepeppt alter Versatzstücke begnügt.

So wie auch die vorsichtig mitschwimmende Alondra de la Parra erst auf der Schlussgerade der allzu routinierten Staatskapelle endlich ein paar spannend knusprige, individuell zupackende Mozarttöne entlockt. Verschenkt! Aber eigentlich hätte ja hier der wegen Krankheit ausgefallene Franz Welser-Möst sein Premierendirigat für die wohlmögliche Barenboim-Nachfolge absolvieren sollen. Das wäre spannend geworden. Jetzt wird er sich wohl eher um die Wiener Musikvereinsdirektion bemühen…

Der Beitrag Abgehangen: Yuval Sharon gescheiterter „Zauberflöte“-Versuch, an der Berliner Staatsoper Monster-Marionettentheater zu machen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826