81 Jahre nach der Zürcher Uraufführung von 1937 feierte „Die polnische Hochzeit“ (nicht zu verwechseln mit Dostals „Ungarischer Hochzeit“) des österreichisch-jüdischen Komponisten Joseph Beer (1908-1987) im Dezember ihre Premiere an der Grazer Oper. Und angesichts des so komischen wie glamourösen Inszenierungsergebnisses und der mitreißenden Partitur fragt man sich eigentlich schon, wie so ein Stück so lange unter dem Radar der Theaterintendanten bleiben konnte. Freilich hatte der Komponist das Werk bis zu seinem Tod 1987 zurückgezogen. Die Grazer Operndirektorin Nora Schmid höre den Mitschnitt der konzertanten Aufführung von 2015 unter Ulf Schirmer mit dem Münchner Rundfunkorchester beim Gemüseschnippeln und war sofort gefangen von dieser ungekannten Gute-Laune-Musik zwischen Stedl, Stall und Broadway. Und selbst das Publikum war begeistert, strömte zu den unbekannten Titel, den inzwischen auch der ORF aufgezeichnet hat und am 24. März in seinem dritten Fernsehprogramm sendet.
Worum geht es in dem Stück, zu dem die immerhin die angesehenen Librettisten Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald die leider nicht mehr ganz so zündenden, teilweise klischeetriefenden Worte fanden? Um die Hochzeit des intriganten, eigentlich frauenverachtenden, bereits diverse Male verheirateten Grafen Zagorsky mit der viel jüngeren Jadja, Tochter der Verwalters, der Güter seines toten Bruders. Dessen aus dem Exil zurückkehrenden Sohn Boleslav ist aber Jadja eigentliche Jugendliebe. Und die bekommen sich auch, dank der tatkräftigen Unterstützung der „Wildkatze“ Suza.
Sebastian Ritschel, der Liebe und Profession für das Genre hat, inszenierte diese scheinbar oft gesehene, aber klanglich hinreißende „Polnische Hochzeit“ als feinsinnig grelle Parodie, als kunterbunt glitzernden Operettenmusikantenstadl und Mischung aus „Blauem Bock“ und „Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre“; wobei die ehrbare Trällerdiva für diese überdreht komische Zurichtung schon einiges eingeschmissen haben muss.
Einziger Schauplatz ist ein riesiger, sehr wandelbarer Präsentekorb mit zweiseitig geschwungenen Revuetreppen. Dort räumt erstmal wuselndes Personal aus monströs gedrechselten Folklorepüppchen mit eckigen Bewegungen zum Erntedank das Stoffgemüse weg, das wohlmöglich Offenbachs ebenfalls kürzlich wiederentdeckter „König Karotte“ hier hat liegen lassen. Später tanzt das grotesk maskierte Fernsehballett vor orangenen Wolkenstores in Einheitsnegligee und –blondperücke in den siebten Walzerhimmel, um gleich danach zum Jazzduett „Katzenaugen“ die Krallen ausfahren und die Pailletten schimmern zu lassen.
Hier ist alles in Schwung, die seltsamen Handlungshaken zwischen sentimentalem Polenblut mit Mazurka, Krakowiak und diversen heimischen Schnäpsen bis hin zur hüpfenden Offenbachiade sowie zu stylishen Modetänzen und Schlagernummern der Dreißiger klappen perfekt. Alles bleibt Ausstattung (Martin Miotk, Andy Besuch) und Augenblick. Da wird kräftig klamottiert, sehr verliebt deklamiert und umso schöner gesungen. Nichts nimmt sich ernst, selbst der Sex, wie ihn etwa die pfeffrige Domina Suza im quietschrosa Uniformrock serviert, ist nur ein flüchtiges Augenzwinkern. Dafür verpuffen die diversen Ohrwürmer längst nicht so schnell und saugen sich vergnüglich fest.
Nach der umjubelten Uraufführung der „Polnischen Hochzeit“, von der die Zeitungen in alle Welt berichteten, wurde das Werk sofort 40 mal nachgespielt. Der Aufstieg des Wunderkindes Beer fand jedoch schon ein Jahr später ein abruptes Endemit dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland, Beer floh nach Frankreich. Die geplante Wiener Erstaufführung mit Richard Tauber wurde verhindert. Ebenso die französische Premiere mit Jan Kiepura und Marta Eggerth am Pariser Théâtre du Châtelet. Erst 2012 fand die österreichische Erstaufführung beim Wiener Operettensommer statt. Immerhin, schon im März gibt es in Linz die nächste „Hochzeit“-Premierenfeier. Und dann werden wieder alle in dieser mal zuckrigen, mal pikanten Partitur nicht nur „In der Heimat blüh’n die Rosen – nicht für mich den Heimatlosen” schluchzen, sondern vor allem singen und swingen: „Katzenaugen! Süße Katzenaugen, sie funkeln durch die Nacht, Katzenaugen, süße Katzenaugen, ihr habt mich toll gemacht …“
„Die polnische Hochzeit“ am 24. März, 2015 Uhr im ORF 3
Der Beitrag Anneliese Rothenberger auf Speed: Die glamouröse Grazer Wiederentdeckung von Joseph Beers „Die polnische Hochzeit“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.