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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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„Dalibor“ in der TV-Todesshow: die Oper Frankfurt gewinnt mit seltenem Smetana

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Wer kann schon behaupten, dass ein eigener Gefängnisturm nach ihm benannt wurde? Dem tschechischen Ritter Dalibor ist das wiederfahren, auch wenn er nicht sonderlich viel davon hatte. Ende des 15. Jahrhunderts tötete der einen ungerechten, die Bauern unterdrückenden Grafen und wurde dafür verurteilt, im neuen, später Daliborka geheißenen Wehrturm des Prager Hradschins zu schmachten. Sein Geigenspiel rührte alle draußen Vorübergegenden, dennoch wurde er schließlich geköpft. Doch später bekam er sogar noch eine Oper zu seinen Ehren. Denn der vor Nationalstolz glühende Bedrich Smetana, der zu seinem Betrübnis mit dem patriotischen Bühnenwerk „Die Brandenburger in Böhmen“ nicht hatte landen können, nur seine Komödie „Die verkaufte Braut“ war zunächst mäßig erfolgreich, wollte in seinem dritten Musiktheater-Opus, eben Dalibor“, eine Lanze für den zu Unrecht Verurteilten als nationalen Mythos brechen. Jozef Wenzig schrieb ihm auf Deutsch ein etwas ungelenkes Libretto, und Smetana, umwölkt mindestens von Beethovens „Fidelio“ und Wagners „Lohengrin“, komponierte drauflos. In einem düster grundierten, bisweilen schwergängigen Musikfluss finden sich recht unvermittelt, beinahe roh aufeinanderstoßend, böhmische Holzbläserlyrik und italienisch anmutendes Melos, aufrüttelnde Tropetenstöße, Harfenarpeggien, markige Chöre und ein seltsam weichfühliger, von seinem Geigenspiel wie von der Erinnerung an den verstorbenen Freund umschmeichelter Titelheld. Heute wird der ungefügte, ein wenig an Verdis vaterländische Freiheitsopern der Galeerenjahre erinnernde Dreiakter von 1868 außerhalb Tschechiens eher selten gespielt. 2004 dirigierte immerhin Kirill Petrenko das Stück im Theater an der Wien. Und kürzlich kam es auch in Augsburg zur Premiere; dort war Dalibor ziemlich eindeutig schwul – die schwärmerischen, aber in dieser Hinsicht meist wenig eindeutigen Freundschaftsbekundungen des 19. Jahrhunderts wohl etwas überinterpretierend. Eben kam das Werk auch an der Oper Frankfurt mit ihrem in Deutschland einzigartig variantenreichen Spielplan heraus. Hier durfte sich Dalibor ganz librettogemäß blitzverliebt von einer als Mann verkleideten Frau retten lassen, die eben noch seine Feindin war. Trotzdem finden beide am Ende den Märtyrertod.

Fotos: Monika Rittershaus

Die Regisseurin Florentine Klepper zeigt freilich gleich, sind die die ersten Fanfarenattacken des gleich in einen Protestchor übergehenden Vorspiels verklungen, zwischen verblassenden Videos von heutigen Demonstrationen eine starr stehende, doch aufbegehrende Masse: die da draußen; sie halten freilich leere Schilder und Transparente hoch. Klepper geht es nicht um das konkrete Ereignis der Revolte, sondern um das Prinzip heutiger Unterdrückung und zweifelhafter Richtersprüche in den Zeiten von Fake News und Manipulation durch die angeblich sozialen Netzwerke. Dafür wechselt sie sofort nach drinnen, in ein Fernsehstudio, das ihr Boris Kudlička in nüchtern ambivalentem Kerkergrau gebaut hat. Wir sehen – mal wieder – eine Show als virtual, aber dann doch ziemlich reale reality. Aber das funktioniert ganz gut mit dem kruden Plott, der Transzendenz und Glaubensgewissheit samt aller melodramatisch möglichen Ungereimtheiten im feinen Freiheitslied der Geige vereint. Kleppers Personenregie ist nicht sonderlich subtil, aber sie macht deutlich, was sie will.

König Vladislav, Dalibors Richter, ist ein glatter Moderator im TV-Tribunal, blondiert, im blauen Glitzeranzug. Später fährt er wie ein Gottschalk der Opernbühne in silbern rollenden Sneakers herum. Er blendet, verführt und ist doch nur hübsche, aber leere Hülle: Gordon Bintner singt ihn textdeutlich und weich, mit royalem, gar nicht auftrumpfendem Bariton. Er hetzt die gesichtslos geklonte, von Adriane Westerbarkey entsprechend klischiert ausstaffierte Masse auf, die nur verdammen oder bejubeln darf, und hier gleichwohl über Menschenleben entscheidet. Tilman Michaels Chöre vollführend das nicht nur dank der jeweiligen Tataufforderungen per Schrifttafel auch vokal ganz vorbildlich.

Fernsehgemäß anheizend sehen wir die Prozessbeteiligten schon als Liveeinspielung aus der Garderobe, bevor sie auf den heißen Stuhl müssen: die zunächst fanatische Anklägerin Milada, Schwester des toten Grafen, und den noch mit seinem Kopfhörer (als Geigenersatz) auf der Couch chillenden Angeklagten Dalibor. Izabela Matuła macht mit gut fokussiertem, in den dramatischen Spitzentönen leuchtendem Sopran allerbesten Eindruck, und auch Aleš Briscein fügt sich mit seinem weißen, manchmal etwas stemmenden, trotzdem verletzlichen Tenor gut in das Persönlichkeitsbild dieses gebrochenen Helden. Nur etwas merkwürdig, dass der Tscheche hier die aus der tschechischen Rückübersetzung neuerlich ins Deutsche überführte, auch schon etwas bejahrte Reim-dich-oder-ich fress-dich-Übertragung Kurt Honolkas singen muss. Warum dann nicht gleich den original holzigen Wenzig?

Gleich zu Anfang hat als Dalibors auch vor nackten, mit Lippenstiftparolen verzierten Femen-Brüsten nicht zurückschreckende Aktivisten-Ziehtochter Jitka die sopranzarte, verletzliche Angela Vallone aufhorchen lassen. Auch sie wird am Ende samt ihrer autonomen Mitstreiter von der Obrigkeit niedergemäht, nachdem sie die Gefängnistore aufgesprengt hat.

Welche Obrigkeit regiert eigentlich hier? Offenbar die Mehrheit der TV-Masse, manipuliert als Produzent im Hintergrund vom wie seine brutalen Hilfstruppen knallgelb gekleideten, ziemlich schmierigen Kanzler Budivoj (Simon Bailey macht das angemessen brunnenvergifterisch böse). Der wiederum hat als Handlanger fürs Schmutzige den Kerkermeister Beneš (Thomas Faulkner, jovial tönend und bonhommig wie der „Vater“ Rocco mit ausgestopftem Kissenbauch). Als dieser trotzdem den Gefangenen entkommen lässt, wird er rücksichtslos entsorgt und zum Schweigen gebracht.

Florentine Klepper findet für diese ominösen Mechanismen einfache, aber einprägsame Bilder, stimmungsvoll ausgeleuchtet von Jan Hartmann. Besonders im zweiten Akt, wenn der verurteilte Dalibor gleich im Fernsehkerker festgesetzt wird, umstellt von wie anonyme Augen auf ihn gerichteten Kameras, mit seinen Gefühlen und Impulsen überwacht von Monitoren und Diagrammen. Dennoch dringt Milada hier ein, bringt ihm den Kopfhörer, offeriert sich selbst, weil sie sich in den eben noch Gehassten, jetzt Bewunderten verliebt hat. Ihm geht es ebenso. Diesen absurden, aber eben auch sehr opernhaften Moment verwandelt Klepper sehr sinnfällig in ein Duett der Transzendenz. Ähnlich wie in Beethovens Kerker sind hier zwei Menschen jeglicher Realität enthoben, zelebrieren eine Utopie ihrer Emotion in sich herrlich immer mehr nach oben schraubender Duettmelodik.

Umso härter dann der fatale, heillose Schluss. Auch vom leise, aber nachdrücklich und umsichtig musikalisch durch den Abend führenden Stefan Soltesz so knapp wie lakonisch gestaltet. Das Opern- und Museumsorchester findet erdige, auch kompakte Töne, fanfarenfatalistisch, immer wieder von vogelhaft sanfter Lyrik überstrahlt.

Kein wirklich bedeutendes, aber ein hochinteressantes Werk, dieser „Dalibor“ als Ritter von der antiheroischen, besonders traurigen Gestalt. Aber damit von Seltenheitswert im heilsgläubigen 19. Jahrhundert (weist darauf das Signet „Studio 19“ hin?). Schön, dass sich die Oper Frankfurt mit all ihren könnerischen Kräften auf diese so andere Smetana-Facette eingelassen hat.

Der Beitrag „Dalibor“ in der TV-Todesshow: die Oper Frankfurt gewinnt mit seltenem Smetana erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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