Halleluja! Wien hat endlich seinen ersten Calixto Bieito. Und noch dazu im Theater an der Wien ein Original und nicht eine uralte, durch ganz Europa getingelte und längst auch auf DVD abrufbare Produktion wie die „Carmen“ in der Telefonzelle und mit dem Sherry-Stier, welche nach dem Willen des neuen Staatsopern-Granden Bogdan Roscic in einem Jahr die folkloristische Zeffirelli-Inszenierung ersetzen soll. Der ehemalige katalanische Jesuiten-Schüler gab sich jetzt freilich vergleichsweise harmlos, wenig bildgewaltig, aber konzentriert und intensiv Personen-, vor allem Chorregie führend in einer Visualisierung von Felix Mendelssohns romantisch volltönendem, durchaus theatralischem Oratorium „Elias“. Und auch im Graben zirpte weder ein Alte-Musik-Formation noch lasierte ein romantisches Orchester in Nazarenerfarben. Das ORF Radio-Symphonieorchester unter dem kraftvoll-energetischen Jukka-Pekka Saraste begleitete spannungssatt eine starke Bibelgeschichte. Und selbst in einer zunehmend und allumfassend profanisierten Zeit war man gerührt von dieser atavistisch anmutenden Stärke des Glaubens, des Zweifels, der Wut und der Freude. So wie sie der präsente, spielfreudige, plastisch singende Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner als vielköpfige Hauptperson in den Raum stellt – aber vor allem auch als skeptische Stimme des Herren der fantastische Bariton Christian Gerhaher.
Der stapft im Halbdunkel, im Theater ist es eben noch hell, auf der Bühne noch nicht richtig, an die Rampe und schreit in schönst gefasstem Gesang erst einmal seinen Unmut in den Raum: „So wahr der Herr, der Gott Israels lebet, vor dem ich stehe: Es solle diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.“ Hochfahrend stolze, sendungsbewusste Worte, hat doch König Ahab sich kürzlich samt Mann, Frau, Kind und Maus dem Baal-Kult zugewandt. Und der Prophet Elias hält dagegen. Diesmal ist er ein schroffer, kämpferischer Mann, eine Mischung aus Hausmeister und Glaubenskrieger, Indiana Jones und Stammtischbruder, Ingo Krügler hat ihn mit orangekariertem Hemd, Cargo Pants und Working Boots wie einen Trecking Tippelbruder ausstaffiert.
Und nüchtern ist auch die Szenerie. Über Boden, Hintergrund und Decke lässt Rebecca Ringst Mettallgitter-Paneele laufen: ein Industrie-Setting, käfigartig, neutral. Am Ende trennt auch noch eine Gitterwand das Kollektiv von seinem selten geliebten Führer. Gleich am Anfang wird ein übergroßes Kirchenmodell aus Pappe nebelumwabert hereingeschoben. Und kurze Zeit später von den vom wahren Glauben abgefallenen Israeliten geschändet und zerfetzt. Die Pappteile liegen noch lange am Boden herum, werden immer weiter klein gerissen, zu Keilen geknautscht, gesammelt und weggetragen.
Eine Atmosphäre des Pathos, aber auch der Aggression herrscht hier. Als mürrischer Guru schafft Elias an, und verzweifelt dann wieder an seiner renitenten, wendischen Masse. Ihm steht zwar ein strenger, Hosenanzug tragender, am Ende flügelloser Engel bei (Kai Rüütel sing ihn mit klarer Sopranlinie), aber selbst die weiteren himmlischen Stimmen, die Mendelssohn zum Quartett und Terzett bündelt, das sind hier eine Verrückte (Seraph nennt der Besetzungszettel Carolina Lippo) und eine Schwangere (Die Wartende, Anna Marshina). Die Königin (Ann-Beth Solvagh) wütet wenig royal, hetzt auf, den Elias zu töten.
Die Witwe, in der fein lasierten Vokalgestalt von Maria Bengtsson, darf wahrlich seraphisch ihr „Höre, Israel“ ertönen lassen, sonst ist auch sie eher eine Zweifelnde, Abwartende. Im Vordergrund agieren zudem Obadjah mit seinem Hoodie (kraftvoller Tenor: Maximilian Schmitt) und Ahab im Kamelhaarmantel (Michael J. Scott); weitere episodische Männer sind „Der Verlorene“, „Der Suchende“, „Der Bittende“ geheißen. Sie geben Elias Widerpart oder stützen ihn. Zum Finale, eigentlich sollte er jetzt in seinem Flammenwagen zu Gott auffahren, übergießt ihn Obadjah mit Benzin, alle nehmen Abstand, er spielt mit einem Feuerzeug, klappt es letztlich aber doch zu. Himmelfahrt vertagt, Selbsttötung verschoben?
Calixto Bieito mag keine letzten Weisheiten deuten, will nicht schlauer und auch nicht gegen Mendelssohn sein. Ihm geht es ganz reduziert um die Kraftverhältnisse zwischen wenig charismatischem Heilsbringer und wankelmütiger Masse, so wie sie auch die Musik thematisiert. Deshalb heizt auch Jukka-Pekka Saraste meist an, steht unter Dauerspannung, wirklich ruhige Momente gib es in diesem „Elias“ eigentlich auch in den kontemplativen Momenten nicht. Immerzu ist der Chor in Bewegung, rennt wie um die Altöttinger Gnadenkapelle im Kreis, wirft freudig Arme und Mäntel in die Luft als es endlich und auch wirklich feucht regnet. Im zweiten Teil sieht man immer wieder den starren Kopf des Propheten und sein Symboltier, den Raben, in Zeitlupe als Videos über weiße Flächen ziehen; die Pannele schwanken, senken sich, leuchten. Das hat nicht selten die Anmutung eines geistlichen Laienspiels, auch durch die düsteren Seventies-Gewandungen, die vielen Trenchcoats. Es gewinnt aber immer wieder aus seiner Reduktion Intensität. Was ist hier gespielt, was aufgeführt, was empfunden? Auch Fragen, die ein solches Thema an eine weitgehend areligiöse Zuschauerschaft sehr deutlich stellt.
Zusammengehalten wird dieser Abend aber durch die Zentralgestalt, die keine sein will und durch den grandiosen Gerhaher doch eine ist. Der hat längst eine ganz wunderbare Bühnengelassenheit, saugt aller Aufmerksamkeit auch durch sein nur Dastehen auf, singt mit Liedinbrunst, Opernäußerlichkeit und Oratorienvehemenz. Herrlich in seinen Nuancierung du seiner unmittelbar betroffen machenden Direktheit. Wo Bieito klug skizziert, andeutet, da malt Gerharher derb oder zart, renitent oder gelassen aus, oft auch nur sehr verloren. Ein Gotteskrieger ohne Gegenüber. Alttestamentarisch und verloren im Heute. Heillos.
Der Beitrag „Elias“ ist unser: Calixto Bieito und Christian Gerhaher finden im Theater an der Wien zu Mendelssohn erschien zuerst auf Brugs Klassiker.