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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Keep Cooool, Kirill – und lasst bitte die Petrenko-Kirche im Philharmoniker-Dorf

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„Man sehnt es geradezu herbei.“ „Hingabe und Herzblut“. „Überwältigende Freude“. „Eiserne Konsequenz“. „Hexenkessel“. „Innerer Überdruck“. „Atemberaubend“. „Naturereignis“. „Dieser Abend ist ein einziges kollektives ,Ja, ich will’.“ „Lärmendes Glückwollen.“ „Teufelsaustreibung.“ „Man kugelt sich vor Aussichtsfreude“. „Eine Stadt hat ihr Orchester wieder.“

Geht’s noch? Das hier hysterisch bejapste Weltereignis: Ein Berliner Chefdirigent in Spe hat sein philharmonisches Orchester letztmalig vor Amtsantritt dirigiert. Bei einem seiner extrem rar gesäten, künstlich verknappten Auftritte. Er hatte Schönbergs Violinkonzert und Tschaikowskys 5. Sinfonie auf dem Programm. Nicht mehr nicht weniger, clever gemixt, gut, ja sehr gut gespielt. Das gelingt anderen mit diesem Repertoire auch. Freilich beim Zwölftöner der exzentrischen Solistin Patricia Kopatchinskaja volle Freiheit lassend, apart in dieser Mischung aus eigener Kontrolle und Laissez-faire der intelligenten, gern auch über Ziel vibratosatt hinausschießenden Solistin. Lebendige Musik eben, erfrischend und neugierig interpretiert.

Der Tschaikowsky kam aber doch arg am Gängelband daher, strickt geführt bis in die feinsten, lustvoll ausgekosteten Temporückungen. Man wähnte sich ein wenig wie bei einer besonders raffinierten S/M-Bondage-Tortur. Wieviel Zuziehen geht bei vollstem Überdruck? Ein dunkler, dräuender, schicksalsschwerer, eben doch pathetischer, nicht nur dramatischer  Russe war das. Zwar auch mit hellen Momenten, aber mir zu fett, zu überdehnt kontrastiv, und damit doch wieder in die längst verlorengeglaubte Kitschnähe des schwulen Weichlings gerückt. Brillant gespielt, aber auch arg selbstgefällig gerade im knallig dahinjagenden Finale als brutale, aber glanzvolle Virtuosendemonstration zelebriert.  Und damit – altmodisch.

Fotos: Berliner Philharmoniker

Wie gesagt, ein Konzertprogramm, nichts weiter. Keine Herausforderung, einfach nur normale Arbeit am Komponisten. Eine Etappe. Kein Hochamt. Doch eine ihrer verlorenen Bedeutung hinterherjagende Musikkritik kriegt sich darüber nicht mehr ein, macht aus Kirill Petrenko am Pult der Berliner Philharmoniker, ja um den geht es, den Heiland schlechthin! Und verteufelt allen Ernstes bereits jetzt Simon Rattle, dem sie vorher noch ähnlich albern zugejubelt hat, macht ihn klein, und den aktuellen Nachschöpfer zum angehimmelten Gott. Offenbar wird das immer noch so gebraucht. Ein Ersatz-Christus muss sein.

„Vorbei die kleinteiligen Programme, die es unter Sir Simon Rattle so oft gab, vorbei die ausgeklügelten Konzertkonstruktionen mit Neuer Musik, die man zum Munde des Berliner Publikums führte wie den Breilöffel zum Kleinkind…jetzt geht es zurück auf den Kontinent, zurück zum sogenannten Kernrepertoire.“ Das richtet sich selbst.

Und was ist die Alternative? Adorantentum bis zur Selbstaufgabe? Harfengeklimper auf der Scala der Superlative? Ein wenig mehr Nüchternheit, bitte. Wenigstens dafür ist doch Berlin bekannt. Wie soll das enden, wenn es nach einer Zeit der kontinuierlichen Arbeit zwischen Petrenko und dem Berliner Philharmonikern wirklich gut wird? Schmeißen wir uns dann vor lauter irr gewordener Verzücktheit vom Dachfrist am Karajanplatz? Der Dirigentengott behüte.

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