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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Nicht besser: Jörg Widmanns und Peter Sloterdijks wenig bearbeitete „Babylon“-Neufassung an der Berliner Staatsoper

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Das Libretto, der Operntext, ist ja auch wortwörtlich nur ein despektierliches „Büchlein“. Zwar wurde in mehr als 400 Jahren Operngeschichte viel gestritten, ob nun das Wort oder die Musik auf der Szene den Vorrang habe, aber meist hat man sich für „prima la musica, dopo le parole“ entschieden. So auch Mozart: „Die Poesie muß schlechterdings der Musick gehorsame Tochter“ sein. Ein Philosoph aber als Librettist? Da fällt einem nur Massimo Caccari ein, immerhin auch 15 Jahre lang Bürgermeister Venedigs, der für Luigi Nonos „Prometeo“ den kryptischen Text kompilierte. Das nannte sich im Untertitel „Tragödie des Hörens“. Ähnlich ambitioniert trat 2012 der Salonphilosoph Peter Sloterdijk als Musiktheatertextdichter an: „Oper in sieben Bildern“ nannte sich schlicht, was dann doch das ganz große Weltdenkgebäude verheißt: „Babylon“. Ort der Welturaufführung war die Bayerische Staatsoper, wo man noch nie für das Kleine, gar Schlichte zu haben war.Darum kam zum hochberühmten Erstlingsdichter ein zumindest in Neue-Musik-Kreisen ebenso bekannten Tonsetzer dazu: der Münchner Jörg Widmann (45), wunderbarer Klarinettist und Professor, eloquenter wie versatiler Composer in Residence zum Anfassen bei jedem nur denkbar bedeutenden Festival, nach Henze und Rihm und neben Matthias Pintscher inzwischen der für den Betrieb wichtigste Deutsche. In München war „Babylon“ ein famoser Flopp. Doch die beiden brachten jetzt eine revidierte Neufassung ihres schwergängigen Dreistünders an der Berliner Lindenoper als neuerliche „Uraufführung“ hinaus. Besser ist es freilich nicht geworden.

Fotos: Arno Declair

Immerhin, der versatile Widmann hat in den letzten sieben Jahren aus dem Notengebirge eine sehr eingängige, oft nach Filmmusik klingende Suite destilliert. Daniel Barenboim, der die Premiere infolge einer Staroperation zurückgeben musste und nur aus der rechten Seitenloge beobachtete, hat die kürzlich mit der Staatskapelle dirigiert. Und im Konzert erwies sich die mit Gewalt eklektizistische Musik des sonst so hochmögenden Widmann als noch dünnblütiger denn in der Oper. Zweifelhafter Höhepunkt hier wie dort ist der ranschmeißerisch ein wenig dissonant verfremdete Bayerische Defiliermarsch, den er für ein weiteres Bayerisches Staatsorchester noch einmal als Zugabenstückerl zum Babylonisch-Bamberger Marsch umlabelte. Der kam auch jetzt wieder beim erstaunlich langmütigen Publikum gut an, obwohl allen angesichts der nach wie vor beschränkt akustischen Staatsopernverhältnisse eigentlich längst das Trommelfell in Fetzen hängen müssen, einen solchen Höllenlärm veranstaltete Christopher Ward als Münchner Uraufführungsassistent und versierter Ersatzdirigent.

Wieder stößt schnell bei dem insgesamt ungenießbaren Opernding Sloterdijks Prätention auf. Der schmeißt sich voll aufs Wort, das ihm nie fehlt; sind doch die katholische Kirche und die Oper die letzten Schutzräume für Pathos pur, weil die Musik alles aufbläht. Kein Naturalismus und kein Realismus, so lautet die weltdenkerische Wegrichtung, kein vertonter „Tatort“ und kein Religionsessay. Die Turmstadt Babylon, die schon in der Musikgeschichte von Rossinis „Semiramide“ bis Verdis „Nabucco“ und Boney M nicht eben gut wegkommt, von der Bibel als „Große Hure“ gebrandmarkt wird, soll nun als die erste verwirrend globale Megacity, Erfinderin der Schrift, der Woche, des Rades, liberaler Gesetze und der freien Liebe gefeiert werden.

Auch der sonst so begeisterungsfähige, sympathisch geerdete Widmann weiß sich nur noch in großen Bildern zu helfen, spricht von weggeschaufelter Grabungsarbeit des Komponisten, der mythischen Metropole als Urbild der multikulturellen Gesellschaft, von gleichmacherischem Pluralismus, polystilistischem Wirrwarr des Hohen und des Trivialen in drastischen, unversöhnlich harten Schnitten, schwärmt von Überlagerung und Gleichzeitigkeit zwischen Karneval und Bibelexegese. Für die immer noch fast 700-seitige Partitur mit bis zu 94 Stimmen muss eigens das Dirigentenpult nach oben vergrößert werden. Das ist durch ein paar unbedeutende Kürzungen und Textanpassungen nicht anders, geschweige denn optimiert geworden.

„Babylon“ setzt auch in Berlin, statt den routinierten Spektakelmachern der katalanischen Theatertruppe La Fura dels Baus sitzt jetzt Andreas Kriegenburg am Regiepult, von Anbeginn auf reichlich seltsame, ironiefreie Überwältigung. Es beginnt mit der Apokalypse, um sich dann stetig zu steigern. Erst singt nur ein schmutziger, dem Gilgameschepos entlehnter Skorpion-Countertenor (Andrew Watts) mit Stachelschwanz seine melancholischen Melismen. Dann blasen wohl aus Jericho importierte Mannen auf frühgeschichtlichen Vuvuzelas, bevor der pittoresk lumpenhaft gekleidete Chor mit Strawinsky-Wucht auf Altbabylonisch seine Stadthymne anstimmt und sich ein Videoprojektor mit katastrofischen Bildfantasien warmlaufen. Das aller ereignet sich in einem engen, flachen, bühnenfüllenden Raumlabyrinth als Mischung aus Setzkasten und Führerbunker, mit Kunstschätzen von Michelangelos David bis Césars goldenem Daumen vollgestellt. Im Keller finden sich auch die in Berlin leidlich bekannten Kachel-Fragmente des babylonischen Ischtar-Tors, so wie sie Bühnenbildner Harald Thor auf die Szene getürmt hat.

Der Libretto-, ja überhaupt Dramennovize Sloterdijk verortet seine Handlung während der Zeit der babylonischen Gefangenschaft der Juden, lässt einen Exilanten namens Tammu (tenorblass: Charles Workman) sich zum Liebesdreieck zusammenschließen mit nichts Geringerem als der weißleuchtenden Seele (ebenso klarer Sopran: Mojca Erdmann) und der paillettenrot schillernden Liebespriesterin Inanna (trittsichere Koloratur-Lolita: Suanne Elmark). Drum herum tauchen in schönster Siebener-Symbolik in den sieben Bildern auf: sieben Planeten, die auch als Regenbogen fungieren, sieben Affen, sieben Vulven und sieben Phalloi (alle enttäuschend in grauen Einheitsoveralls), der über die Ufer wallende Fluss Euphrat (mit nur einer, aber schönen Mezzostimme im Zweistromland ihrer Kleiderstoffmannen: Marina Prudenskaya), ein vor sich hin brummelnder Priesterkönig (Barenboims einstiger Wotan John Tomlinson mit immer noch ordentlichen Stimmresten, der  Tod selbst (dornengekröntes Fantasy-Monster: Otto Katzameier) und der als jüdischer Spielverderber fungierende Ezechiel (der Schauspieler Felix von Manteuffel).

Der Tamino-ähnliche Tammu erlebt als neuer Noah die Sintflut, muss durch eine Feuer- und Wasserprobe, wird zum Menschenopfer, als Toter im umgekehrten Orpheus-Mythos von Inanna errettet und mit ihr gemeinsam zum Mond geschossen. Während nach Einsturz von Turm und Stadt im ewigen Event-Kreislauf nur noch der Skorpion sich klont. Scheinheiliger Bimmelbammel, hier passt wirklich nichts zusammen! Da eifert Sloterdijk vergeblich lallend dem begnadeten Lautmaler Wagner (Wigalaweia, Hojotoho) nach, baut trockene Schulfunksätze, schwurbelt schamfrei, ergeht sich in Fantasy-Fatalität wie Esoterik-Klimbim und lässt altherrenkeck die klassische Sau raus („von Wollust dunkel das Menschenfrauenauge“, so singt’s im Genitalseptett). Das gipfelt während eines Polonaisen-Umzugs in dem existenzphilosophischen Rätselsatz: „Wer hat die Kokosnuss geklaut?“

Merke: Mit Musik darf man alles. Doch die fühlt sich hörbar unwohl. Denn der Librettist kennt keine Seelenräume, kaum nach Tönen rufende Leerstellen, nur wenige Momente, wo die Figuren einzig singen müssten. Jörg Widmann bietet Dodekafonie, Pop, Jazz und ein öliges Musicalliebesmotiv auf, die Orgel donnert, die Tonfluten schwallen, der Defiliermarsch trifft auf die „Lustigen Holzhackerbuam“. Das ist hochkomplex, bleibt aber disparat. Buchstabensuppe an Klangsalat, orgiastisch bombastisch. Selten wirklich aufhorchen lassend. Montiert aus Versatzstücken und aneinandergereihten Fertigteilen, die nicht berühren und kaum etwas zu erzählen haben.

Dazu kommt die banale, fast schamhaft nichts erzählende , zeigende und erklärende Inszenierung des nur noch routinierten Andreas Kriegenburg in seinem statischen Bühnenaufbau. Der spult und arbeitet hier einfach nur ab. Und wieder fragt man sich nach drei Stunden im Dur-seligen Sterntaler-Finale dieses singenden, klingenden Märchenwald-Menschenparks entgeistert: Hat das vielleicht alles Scientology finanziert?

So bliebt es dabei: Viel mehr als zwei Handvoll gehaltvoller Literaten als Librettisten lässt die Operngeschichte nicht übrig. Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig, Paul Claudel, Bert Brecht, W. H. Auden, Ingeborg Bachmann, Lillian Hellman, Edward Bond, Hans Magnus Enzensberger (die letzten vier alle für den eben verstorbenen Hans Werner Henze), Marcel Bayer, Elfriede Jelinek, Martin Crimp, Roland Schimmelpfennig. Peter Sloterdijt gehört aber sicher nicht dazu. Und „Babylon“ bleibt eine monumentalöde, einfach nicht aufhören wollende Totgeburt. An deren wässrigen Ufern man nur weiter weinen kann.

Der Beitrag Nicht besser: Jörg Widmanns und Peter Sloterdijks wenig bearbeitete „Babylon“-Neufassung an der Berliner Staatsoper erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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