Kleine Sprünge. So kann man einkreiseln, was Johannes Öhman und Sasha Waltz, die ab Sommer zum Leitungsduo stößt, mit dem Staatsballett Berlin in der nächsten Spielzeit vorhaben. Es ist ein ordentliches, aber nicht wirklich aufregendes Programm, das unter dem nunmehr vierten Logo in fünf Jahren steht. Was zeigt, wie groß die Verwerfungen hinter den Kulissen hier waren. Vier Premieren und die Wiederaufnahme der jungen Choreografen-Abende – unter dem Motto „kreativ“ dreimal in der Tischlerei der Deutschen Oper – gibt es also in der nächsten Saison. Immerhin wird wieder uraufgeführt und nicht nur übernommen. Bedenklich stimmt aber, dass zwei von vier der großen Premieren mit Tonband auskommen. Wofür haben die drei Opernhäuser, in denen das Staatsballett auftritt, eigene, nicht wirklich überbeschäftigte Orchester? Interessanterweise ist es, trotz Waltz, die nur eine Uraufführung beisteuert, eine ganz konventionelle, an jeder anderen klassisch-modernen Kompanie so auch denkbare Spielzeit. Die auch Öhman alleine hätte stemmen können. Man frag sich schon, warum Berlin mit 93 Tänzern und 95 Vorstellungen, vier großen Premieren und gerade einmal fünf Repertoire-Programmen diese Doppelspitze braucht? Zumal die langjährige, beim Kommen und Gehen der Ballettdirektoren eine unrühmliche Rolle gespielt habende Stellvertreterin Christiane Theobald weiterhin an ihrem Amt klebt. Immerhin ist endlich Verwaltungschef Georg Vierthaler weg; der hat ja schon mit der Leitung der als gestaltete Institution inzwischen komplett unbedeutenden Opernstiftung zu tun.
Es scheint zur Visitenkarte eines Berliner Ballettdirektors zu gehören, stets ein neues „Dornröschen“ zu präsentieren, normalerweise einer der langlebigsten Heuler im Repertoire. Die waren hier in der Vergangenheit aber alle so grottig oder ästhetisch entgleist, das auch Sasha Waltz jetzt ein Neues präsentiert – das mindestens fünfte in zwanzig Jahren. Aber was heißt schon neu: Es wird an der Deutschen Oper das auch schon über 30 Jahre alte „Donrröschen“ von Marcia Haydée aus Stuttgart sein, aber nicht mit der prächtigen Jürgen-Rose-Ausstattung. Der vor Ort schon vielbeschäftige Jordi Roig darf an die Blumen Designerhand anlegen. Am Pult wird Alondra della Para stehen, die eben die an der Lindenoper Mozarts „Zauberflöte“ verröchelt hat. Ursprünglich hatten Waltz und Öhman Haydées „Giselle“ angekündigt, wohl aber gemerkt, dass dann ohne Not die klassische Ray-Bara-Fassung entsorgt werden müsste.
Wie auch schon letztes Jahr klar gemacht, zeigt der in Berlin lebende, bestens am HAU präsente Holländer Jefta van Dinther in der Komischen Oper sein aus Schweden importiertes „Plateu Effect“ – für freilich nur neun Tänzer. In der Staatsoper gibt es einen dreiteiligen zeitgenössische Ballettabend mit Uraufführungen des hoffentlich humorvollen Alexander Ekman und der diese Spielzeit mit „Half Life“ erfolgreichen Sharon Eyal sowie dem Stück „Sunny“ von Emanuel Gat. Wie ebenfalls schon bekannt, wird Sasha Waltz an der Lindenoper mit „SYM-PHONIE MMXX für Tanz, Licht und Orchester“ als Auftragspartitur für Georg Friedrich Haas ihr (nach eine kleinen Solo für Vladimir Malakhov von 2006) zweite Kreation für das Staatsballett präsentieren. Mit 20-25 Tänzern, die nicht nur klassisch können sollen. Und natürlich will sie darin wieder am „Bild unserer Gesellschaft“ arbeiten. Drunter macht die Waltz es nicht. So stehen dann drei moderat zeitgenössische Abende fünf Klassikern gegenüber. Und die premierenfrische „Sylphide“ ist dann – zumindest für eine Spielzeit – schon wieder entfleucht. In der immer noch dünnen, wenig ausdrucksstarken Solistenriege ist lediglich ein Neuzugang zu vermelden: die Japanerin Aya Okumura wechselt aus Amsterdam vom Dutch National Ballet nach Berlin.
Es kann vorerst Entspannung geblasen werden. Sasha Waltz macht nicht die befürchtete Buhfrau. Aber was macht sie dann eigentlich? Zumal sie nur jedes zweite Jahr etwas kreiren möchte. Das jeden Tag obligatorische Klassiktraining wird sie kaum geben, fürs Coaching fehlt ihr ebenfalls die Kompetenz.
Ballettrevolutionen sehen für gewöhnlich anders aus. Berlins Tütü-Liebhaber können sich also weiterhin entspannt zurücklehnen. „Wir wollen die Ballettgeschichte neu ausleuchten und die Zukunft des Tanzes aktiv mitgestalten – und so der Weltstadt Berlin gerecht werden, die sich nie scheut, sich kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und zugleich lebendig und dynamisch in die Zukunft zu blicken“, lassen beide als gut geöltes Marketingsprech verlauten. Lieb gesagt. Das Morgen des Tanzes scheint aber dann doch weiterhin anderswo gedacht zu werden.
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