Wir müssen reden. Tun wir aber eigentlich kaum noch. Wir – die Presse und die Intendanten der Opernhäuser. Man soll funktionieren, möglichst keinen Sand ins Getriebe der gut geölten, von immer mehr Social-Media-Menschen am Laufen gehaltenen Marketing Maschine der Musiktheater streuen. Deshalb verändert sich gerade auch die Institution der Jahrespressekonferenz massiv. Früher war das noch ein durchaus vergnügliches Give-and-Take, man tauschte sich aus, bisweilen aucht mit dem Florett. Aber dieses Agreement scheint schon länger gekündigt. In Berlin ist gerade die Staatsoper ins Gerede gekommen, weil sie angekündigt hat, am 25. März um Schlag Elfe ihre nächste Saison ins Internet zu stellen. Pressebeteiligung nicht erwünscht. Wer mag, der kann um 17 Uhr bei der Vorstellung für den Förderkreis noch dabei sein. Aber erstens ist 17 Uhr ein No-Go-Termin, deutlich nach dem Redaktionsschluss und kurz vor der nächsten Abendveranstaltung. Und bei Schnittchen und Sponsoren ist wohl nicht der rechte Ort für bisweilen auch kritischen Austausch. Zweitens wird jetzt natürlich vermutet, Daniel Barenboim & Co wollten sich so sehr effektiv kritischen Nachfragen nach den jüngsten, von diversen Musikern erhobenen Vorwürfen zu seinem Führungsstil entziehen. In der Sache hat übrigens inzwischen die Berliner Kulturbehörde eine anonyme Beschwerdestelle eingerichtet. Anders als so manche angewidert abwiegelnde, gar die Zeugen diskeditierenden Medien, nimmt man dort die Sache nämlich ernst. Falls das Fernhalten die Absicht war, dann war sie schlecht, denn die Presse ist in Teilen schon wieder verstimmt. Dabei kann sich die neue Saison Unter den Linden sehen lassen. Allein die Riege der Dirigenten der sieben Premieren (drei davon in Barenboims Namen) – mehr Stars bei den Novitäten bietet gegenwärtig kein anderes Opernhaus. Aber halt, Details erst kurz vor der Sperrfrist!
Doch ausgehöhlt war das Prinzip Jahrespressekonferenz auch vorher schon. Dank Internet und durchstechwilliger Mitarbeiter kursierten Namen und Fakten meist schon früh in diversen digitalen Foren. Um eine angemessene Uhrzeit scherte man sich in einigen Fällen für die „Presse“- , wir wiederholen: „Pressekonferenz“ schon gar nicht und ließ sie dann beginnen, wann man selbst am besten Zeit hatte; Redaktionsschlüsse interessierten zuletzt. Dann wurden immer öfters Förderkreise oder gar Abonnenten dazugebeten, um mehr Publikum zu haben. Und jetzt sah man sich dauernd mit Fragen konfrontiert, warum Donnerstag Grün teuer geworden sei, und wann denn die Netrebko endlich wiederkäme.
Die Arbeitszeit wird immer hektischer, endlose Künstler- und Intendanten-Suaden kosten zudem ihren Tribut. Erst wird man zugeschwallt, dann ist man mürbe. Fragen mag man nicht, denn die Antworten auf bisweilen kitzelige Dinge sind dann auch für den faulen Kollegen, der die wohlmöglich ausschlachtet. Also gehen viele schon gar nicht mehr hin. Zumal kritisches Nachbohren inzwischen meist als ewiges Gemecker abgetan wird. Auch die schönsten Wutausbrüche vor versammeltem Pressevolk waren schon zu erleben. Also begann die Bayerische Staatsoper damit, ihre Novitätenshow als Sonntagsmatinee vor vollem Zuschauerraum abzuziehen. E-Mail-Versand hinterher. Und das Publikum kann endlich mal dem interviewresistenten Kirill Petrenko beim Reden zuschauen.
Barrie Kosky hat ebenfalls längst einen Schutzwall um die Komische Oper gezogen, Details zur neuen Spielzeit werden nach Vorankündigung gemailt, danach kann es nach Voranmeldung noch kleine Runden für Face-to-Face-Gespräche geben. Die Berliner Staatsoper hat jetzt also nachgezogen. „Ein Experiment“, haucht es beschwichtigend aus der Pressestelle. Anders macht es seit einigen Jahren die Staatsoper Stuttgart. Die bittet immer um diese Zeit vor einer sonntäglichen Premiere zu Kaffee und Kuchen im Foyer und umreißt einige Höhepunkte der neuen Saison für die geneigten Rezensenten. Und die Opéra de Lyon, die nimmt sich jedesmal das Podium ihres jährlichen Festivals, um auch die traditionelle Pressekonferenz vor möglichst vielen Pressevertretern abhalten zu können. Intendant Serge Dorny referiert, Fragen gibt es keine. Das Büffet wartet.
Wir liefern jetzt aber brav noch eben diese wochenendlichen Novitäten aus München, Stuttgart und Lyon: Sieben Premieren hat die Bayerische Staatsoper unter dem wohlfeil austauschbaren Motto „Kill your Darlings“ im Körbchen. „Dieser Appell beschreibt das Dilemma zwischen emotionalen Entscheidungen und rationalem Handeln – ein Gedanke, der nicht nur in der Kunst selbst, sondern auch in der Entstehung unseres Jahresplans eine große Rolle spielt“, heißt es dazu umwölkt. Kirill Petrenko wird die kommende Saison mit einer Neuinszenierung von Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ eröffnen, dort Jahrzehnte nicht gespielt. Die Inszenierung ist eine Übernahme von Simon Stone aus Basel, Marlis Petersen und Jonas Kaufmann (ob der sich mit der hohen Tessitura des Paul einen Gefallen tut?) singen.
Hans Abrahamsens „The Snow Queen“, komponiert zwischen 2014 und 2018, wird im Dezember von Cornelius Meister und Andreas Kriegenburg als Uraufführung erarbeitet. Barbara Hannigan singt. Oksana Lyniv dirigiert die Premiere von Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ in einer Inszenierung von Katie Mitchell. Dem Einakter ist Bartóks Konzert für Orchester vorangestellt. Von der gleichen Agentur sind da Nina Stemme und John Lundgren zu hören. Johannes Erath kehrt mit einer Neuinterpretation von Giuseppe Verdis selten gespielter Schiller-Vertonung „I masnadieri“ als Sopranvehikel für Diana Damrau zurück. Michele Marioetti führt den Stab. Mit „7 Deaths of Maria Callas“ kommt ein ziemlich schräg klingendes Opernprojekt der serbischen Performance-Künstlerin Marina Abramović zur Uraufführung, in dem auch Willem Dafoe mitspielt, bevor Ivor Bolton und Hans Neuenfels die Münchner Opernfestspiele 2020 mit Jean-Philippe Rameaus „Castor et Pollux“ eröffnen.
Dann folgt Krill Petrenko am Pult mit Verdis „Falstaff“ für Wolfgang Koch in einer bayerischen Komödienstadl-Variante, für die die gehypte Theaterregisseurin Mateja Koležnik auch die Weißwürscht auspacken soll. Vom Haus schwärmt der GMD, es sei eine „liebgewordene Heimat geworden, mein musikalisches Vaterland, das Paradies auf Erden“. Die jungen Sängerinnen und Sänger des Opernstudios führen Anfang April „Mignon“ von Ambroise Thomas auf. Kaufmann-Gattin Christiane Lutz darf neuerlich ans Regiepult. Das Bayerische Staatsballett bringt im Oktober mit der gut abgehangenen „Coppélia“ zum ersten Mal ein Werk von Roland Petit auf die Bühne. Tut niemand weh. Und die Ballettfestwoche im Mai 2020 eröffnet mit einem dreiteiligen Abend, der eine Uraufführung von David Dawson, Alexej Radmanskys „Bilder einer Ausstellung“ und ein Werk von N.N. bündelt…
„Wer wollen wir gewesen sein?“ Viktor Schoner, der in München brav gelernt hat, präsentiert für Stuttgart ebenfalls ein diffuses Motto „zwischen Utopie und Nostalgie“, um seine Premierenpläne zu gliedern. Generalmusikdirektor Cornelius Meister dirigiert zwei Neuproduktionen: die Eröffnungspremiere mitbVerdis fünfaktig-französischem „Don Carlos“ in der Inszenierung von Lotte de Beer sowie zum Spielzeitende einen Doppelabend mit „Cavalleria rusticana“ und Salvatore Sciarrinos Gesualdo-Oper „Luci mie traditrici“ in der Regie von Barbara Frey. Mozarts „Le nozze di Figaro“ kommt Anfang Dezember in einer Neuinszenierung von Christiane Pohle heraus, Roland Kluttig dirigiert.
Zur Eröffnung des zweiten Frühjahrsfestivals im Februar 2020 hebt sich der Stuttgarter Vorhang für die Neuproduktion „Boris“: Das künstlerische Team verzahnt Mussorgskis Volksdrama mit der Uraufführung von Sergej Newskis „Secondhand-Zeit“, ein Auftragswerk der Staatsoper. Es dirigiert Titus Engel, Paul-Georg Dittrich inszeniert. Im März kommt mit Schuberts „Winterreise“ der Klassiker der „Komponierten Interpretation“ von Hans Zender für Matthias Klink heraus. Der niederländische Installationskünstler Aernout Mik zeichnet für Konzept, Video, Raum und Regie verantwortlich. Antonio Vivaldis ausschließlich mit Frauenstimmen besetztes Oratorium „Juditha triumphans“ dirigiert im März Stefano Montanari. Silvia Costa aus dem Romeo-Castellucci-Stall verantwortet Regie und Raum.
Und in Lyon gibt es unter dem designierten Münchner Intendanten Serge Dorny neben Über- und Wiederaufnahmen auch Leckeres für seine vorletzte Saison 2019/20: Tobias Kratzer stemmt mit Musikchef Daniele Rustioni Rossinis „Guillaume Tell“. John Adams’ Kammeroper über das Los Angeles-Erdbeben „I Was Looking at the Ceiling and Then I Saw the Sky von 1995 kommt wieder einmal auf die Bühne, Macha Makeïeff zeichnet dafür verantwortlich. Das Frühlingsfestival bündelt unter dem Motto „La Nuit sera Rouge et Noir“ Verdis „Rigoletto“ (Michele Spotti/Axel Ranisch) als Koproduktion mit München und als französische Erstaufführung Schrekers „Irrelohe“, wieder mit David Bösch und Bernhard Kontarsky. Das Festival rundet sich mit Carl Orffs „Der Mond“ für das Opernstudio. „Shirine“ nennt sich die zweite Uraufführung von Thierry Escaich auf einen als persisches Feenmärchen konzipierten Text von Atiq Rahimi. Martyn Brabbins dirigiert in der Regie von Richard Brunel. Und auch in Lyon feiert Figaro Hochzeit. Neuerlich dirigiert Stefano Montanari, und der Filmregisseur Olivier Assayas widmet sich erstmals einer Oper.
Und egal, wie und wo dies nun kommuniziert wurde: Am Ende zählt dann doch nur das zum Glück nach wie vor von leidenschaftlicher professioneller Kritik begleitete Ergebnis!
Der Beitrag Mit und ohne Presse: Was es 2019/20 Neues in München, Stuttgart und Lyon gibt erschien zuerst auf Brugs Klassiker.