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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Hier wird surreal, aber spannend gemordet: Die überraschend gute Ginastera-Oper „Beatrix Cenci“ begeistert in Straßburg

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Man wundert sich: Warum muss man – auch gegenwärtig – so uninspirierte, gleichwohl aufwändige Opernuraufführungen die Menge ertragen, während doch so viele Gutes, auch aus jüngerer Zeit in den Regalen schlummert? Zum Beispiel die zweiaktige aber wie ein guter Kinothriller in 90 Minuten vorbeirauschende „Beatrix Cenci“ von Alberto Ginastera. Ein nicht unbekannter Komponist, ein süffiges, plastisches Sujet, das seinen Platz längst auch in er Kunstgeschichte gefunden hat. Uraufgeführt wurde die dritte Oper des Südamerikaners – ja so liberal war einmal Amerika – 1971 im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten des Kennedy Centers in Washington. Dabei geht es hier ziemlich ungeschminkt um Sex & Crime, Inzest und Mord und Hinrichtung; wenn auch im römischen Hochadel Anno 1599. Und das alles ist durchaus auch vor dem Hintergrund der autoritären, viele Untaten vertuschenden Militär-Junta in Ginasteras Heimat zu sehen, die der argentinische Tonsetzer hier überdeutlich kritisierte. Der aber freilich auch süffisant bemerkte:  „Sex, Gewalt und Halluzination sind die drei wichtigsten Säulen, auf denen sich eine große Oper errichten lässt.“

Fotos: Klara Beck

Die agile, unter der deutschen Intendantin Eva Kleinitz noch mehr an Profil gewinnende Opéra National du Rhin in Straßburg hat jetzt diesen unbekannten, dunklen Diamanten wieder mal zum Funkeln gebracht (der übrigens weit besser ist als das gleichnamige, zuletzt im Sommer 2018 in Bregenz vorgestellte Berthold-Goldschmidt-Werk; es ist erst die zweite Premiere auf dem Kontinent seit der Genfer Erstaufführung im Jahr 2001. Das ist traurig, und spricht nicht für die Wiederentdeckungsneugierde der offenbar nur auf meist folgenlose Urauffführungen fokussierten Dramaturgien landauf, landab.

Im Elsass ist das spannende Stück in das jeweils zu dieser Opernsaison zusätzlich vom Musiktheater ausgerichtete Festival Arsmondo integriert, das dieses Jahr Argentinien zum Thema hat. Und sogar der Louvre trennte sich auf Zeit von seinem wunderfeinen, leider anonym gemalten Bildnis einer mädchenhaft zarten Turbanträgerin, in dem die schuldig-unschuldig Beatrice Cenci vermutet wird, die, vom machtgeilen Vater vergewaltigt, diesen mordete und durch ein Kirchengericht hingerichtet wurde. Auch weil der Papst allzu lange die miesen Machenschaften seines Finanziers gedeckt hatte. Im Rahmen einer kleinen Studioausstellung im Musée des Beaux Arts wird auch im rokokolyrischen Palais Rohan daran erinnert.

Natürlich lebt diese dabei gänzlich folklorefreie Oper, der Antonin Artauds Dramatisierung einer italienischen Gerichts-Chronik des 16. Jahrhunderts, sowie die diversen Ausformungen von Stendal und Shelley zu Grunde liegt, maßgeblich vom Reiz des Exotischen. Wie in Bergs „Lulu“ kreist das musikalische Geschehen um einen Schrei. Um ihn herum hat Ginastera zwölftönig und mit starker Perkussionsbetonung komponiert, hat Renaissance-Tänze ebenso gewoben wie Gregorianisches, hat horizontal ebenso wie vertikal Unterschiedliches collagiert und dabei derart mit dem Orchester gespielt, als sei dieses eine Orgel, deren unterschiedliche Register und Mixturen es auszutesten und auszureizen gelte.

Ginastera kennt die Moderne rauf und runter. „Oper der Grausamkeit“ hat man die „Beatrix Cenci“ in Anspielung auf seine Vorlage einmal genannt. Doch die Musik ist nicht grausam, sie liefert nicht nur expressionistische Essenzen, sondern kultiviert gerne auch das Dekor: setzt rhythmische Schnörkel hier, klangfarbliche Ornamente dort. Licht und Farbe hört man auch beim Straßburger Musikchef Marco Letonja, der das Orchestre philharmonique kraftvoll führt; aber auch musikalisch für Zwischentöne sorgt, während es auf der Bühne symbolisch, ja auch symbolistisch und surreal zugeht. Trotzdem ist, wenn auch abstrakter, einer politische Stoßrichtung zu erkennen, so wie sie auch vor zwei Jahren die jüngste, das Regime von damals sehr anklagende Produktion des Teatro Colon in Buenos Aires zeigt, die auf Youtube abzuspielen ist.

Mariano Pensotti, ein stark angesagter Theatermacher ebenfalls aus Argentinien, der auch einiges an deutschem Szenevolk und Festspielmachern nach Straßburg lockte, inszeniert die 14 Szenen kühl, klar, intensiv bohrend und abstrakt. Gemäß dem ersten Satz des Chors: „Wir sind der Chor. Sei aufmerksam, denn das, was du sehen wirst…“ geht es bei aller Parteinahme für die unentrinnbar ihrem Schicksal in Gestalt des fiesen Vaters ausgelieferte Familie immer distanziert episch zu. Trotzdem hat der Regisseur die Parole ausgegeben, es gehe hier um den Körper der Frau als Schlachtfeld. Pensotti und seine sehr stylische Ausstatterin Mariana Tirantte verlegen die Handlung in die Zeit der Entstehung der Oper. Ein wenig erinnert das optisch auch an Luis Buñuels Film „Der Würgeengel“, der kürzlich unter Thomas Adès für Salzburg zur Konversationsoper mutierte.

Da gibt es eine an den Schauplatz Rom erinnernde Steinquadermauer. Das Schicksal der Beatrice bringt aber sogar die leblosen Brocken zum Weinen. Und dann ist da ein auf der Bühne stetig kreiselnder Zimmerirrgarten, der dauernd um neue, elegante Interieurs ergänzt wird, ein goldener, hier meist grün gehaltener) Käfig, aus dem keiner entkommt. Ein Luxusgefängnis. Doppelt verletzlich ist Beatrice (aufopferungsvoll sopranintensiv: Leticia de Altamirano) zudem, weil sie in hautfarbenem Anzug, mit fast fetischhaft anmutenden Lederkorsetten und Stahlstützschienen humpelnd wie eine Balthus—oder Man Ray-Figur den lüsternen Männerblicken ausgesetzt ist. Nach dem Mord scheint sie selbst zerstückelt; eine weibliche Kolossalstatue (ähnlich wie die des Kaisers Konstantin) schwebt, in ihre Einzelteile zerlegt, wie eine Dalì-Installation im Raum. Am Ende wird das brutale Tribunal des anonymen Chors in blaugrüner Arbeitskleidung am Fließband Miniaturen davon verpacken: Der Nachruhm der Mörderin als Märtyrerin wird ebenfalls kommerzialisiert.

Die Nähe von männlicher Macht, Gewalt – auch sexueller – ist allgegenwärtig, die Kunst, die an den Wänden hängt, herumsteht und selbst als Modedesign getragen wird, spiegelt sie wieder, erhört sie, Bildhauerei und Malerei, auch ein Film, der beim Maskenball des verkommenen Grafen abläuft der so den gewaltsamen Tod seiner Sohne „feiert“. Gezim Myshketa singt diesen Francesco Cenci mit vital changierenden Bariton. Zur Geschlossenheit dieser packend-bestürzenden Opernpremiere trägt auch die übrige Besetzung bei: Ezgi Kutlu ist mit gefasstem, tiefensattem Mezzo Beatrices Stiefmutter Lucrecia, Josy Santos ist heillos verloren in der Hosenrolle des nicht helfen könnenden Bruders Bernardo sehr präsent. Beatrice aber, gequält, vom Mann und Vater modelliert und misshandelt, sie bleibt Projektionsfläche, Objekt und Opfer. Wie lange noch?

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