„Die Frage danach, was Menschen zu ihrem Handeln treibt und was die Welt im Innersten zusammenhält, zieht sich als roter Faden durch mehr als 400 Jahre Operngeschichte und treibt Komponisten heute ebenso an wie zu Zeiten Verdis und Wagners.“ Ganz neue Erkenntnisse, die die Dramaturgie der Deutschen Oper da anlässlich ihrer Jahrespressekonferenz angestrengt stellt. Um dann immerhin mit sechs Inszenierungen (und sogar – bis auf eine – alle neu!) auf der Großen Bühne aufzuwarten. An der Bismarckstraße hat man sich bereits letzte Woche inhaltlich geoutet, immerhin ganz normal, in Form einer Pressekonferenz. An der Lindenoper, wo heute um elf Uhr der E-Mail-Versand startet, bunkert man lieber, wie es an der Komischen Oper schon länger der Fall ist, die am 9. April den Vorhang über den Novitäten hochzieht. Wir fassen, inklusive alle Premieren Unter den Linden, schon mal zusammen, was zu erwarten ist.
Die Staatsoper startet, und das ist sehr löblich, mit einer Neuinszenierung von Otto Nicolais hier vor 170 Jahren uraufgeführten „Die lustigen Weiber von Windsor“. Es ist zudem der 170 Todestag des früh verstorbenen Komponisten. Daniel Barenboim bricht nicht nur einen Dirigentenstab für dieses sympathische Meisterwerk, sondern hoffentlich für die an den großen Häusern arg vernachlässigte Gattung Deutsche Spieloper im Allgemeinen. René Pape ist Falstaff, Michael Volle Herr Fluth. Und David Bösch inszeniert in Berlin erstmals Oper. Es folgt zu den Barocktagen die Übernahme der eher faden Pariser Romeo-Castelluci-Produktion von Alessandro Scarlattis Oratorium „Il primo omicido“. Diesen ersten Menschenmord wird René Jacobs dirigieren. Als Weihnachtsgeschenk steht Daniel Barenboim bei Saint-Saëns’ Sahneschnitte „Samson et Dalila“ am Pult. Elina Garanca, in der Oper nur noch selten zu erleben, präsentiert die Partie nach Wien und New York nun also auch an der Spree, der argentinische Filmregisseur Damián Szifron inszeniert erstmals Oper.
2020 geht es weiter mit einem neuen, jetzt tantiemenfreien „Rosenkavalier“, bei dem der Wiener Kunstgewerbler André Heller Regie führt, der kränkliche Zubin Mehta soll erstmals die fast vierstündige Oper dirigieren. Im März steht Simon Rattle einmal mehr bei Mozarts „Idomeneo“ am Pult. Und natürlich singt Gattin Magdalena Kozena wieder den Idamante. Auch der Regisseur dürfte ihre Idee sein: der schottische Zeffirelli David McVivar. Zu den Festtagen dirigiert Daniel Barenboim mit der Staatskapelle – Überraschung! – einen Beethoven-Zyklus. Und im Graben führen beide mal wieder ihren zopfigen Mozart-Stil am Beispiel „Così fan tutte“ vor. Elsa Dreisig und Marianne Crebassa singen, Patrice Chéreaus ehemaliger, bisher kaum mit traditioneller Oper aufgefallener Assistent Vincent Huguet ist für die Regie verantwortlich. Den Premierenreigen beschließt eine neue „Chowantschtschina“ in der Regie von Claus Guth mit erstmals Vladimir Jurowski im Staatskapellengraben. Zudem treten im Großen Haus Angela Gheorghiu, Philippe Jaroussky und Renée Fleming mit Soloabenden auf.
Wir wechseln zur Deutschen Oper. Auf Hans Neuenfels’ wirklich mal legendäre Produktion von Verdis „Macht des Schicksals“ folgt dort die Neudeutung eines weiteren Altmeisters des Theaters, Frank Castorf, erstmals auf einer Berliner Opernbühne. Paolo Carignani dirigiert. Chaya Czernowin widmet sich in der vom verlässlichen Claus Guth regielich betreuten Uraufführung „Heart Chamber“ den Anziehungs- und Abstoßungsenergien, die die Beziehung zweier Menschen prägen – und eigentlich auch sonst jede Oper….. Donald Runnicles setzt 2020 seinen komplett von anderswo eingekauften und damit ästhetisch das Haus natürlich nicht prägenden Benjamin-Britten-Zyklus mit dem „Midsummer Night’s Dream fort. Mit Ted Huffman hat man sich immerhin einen spannenden jüngeren Regisseur geangelt, er hat damit bereits diesen Mai in Montpellier Premiere. Es folgt Peter Tschaikowskys gegenwärtig gern gegebene „Pique Dame“ mit dem hier bewährten Grahham Vick am Regiepult. Sondra Radvanovsky und Hanna Schwarz stehen auf der Besetzungsliste. Interessanterweise dirigiert der offenbar staatopernabtrünige Sebastian Weigle, dessen Frankfurter Vertrag 2023 endet. Und 2022 wird vermutlich Runnicles mit dem dann 65-jährigen Dietmar Schwarz die Deutsche Oper verlassen…
Vom dänischen Außenseiter-Komponist Rued Langgaard wird dessen einzige und sehr schräge Oper „Antikrist“ auf den Prüfstand gestellt. Vielleicht passt ja dafür der leicht verstrahlte Theater-Egomane Ersan Mondtag für dieses Mysterienspiel des Fin-de-Siècle als Regisseur. Stefan Zilias dirigiert. Und dann starten natürlich Stefan Herheim und Donald Runnicles mit dem „Rheingold“ den lange erwarteten und verdienten neuen „Ring“-Zyklus des Hauses. Drei konzertanten Oper gibt es zudem: Wohl weil die Staatsoper Anfang September mit zwei „Ring Zyklen“ beschäftigt ist, darf die sonst von Daniel Barenboim eifersüchtig als die seine reklamierte Anna Netrebko samt Gatten Yusif Eyvazov auf ihrer in Salzburg startenden konzertanten „Adriana Lecouvreur“-Tour außnahmsweise an der Bismarckstraße Station machen. Die beiden Hausentdeckungen Nicole Car und Etienne Dupuis, hier zudem zum Paar geworden, produzieren sich, wie schon in Cars Heimat Australien, in Massenets „Thais“. Und im Rahmen des rudimentär gezeigten Meyerbeer-Zykluses kommt nochmals „Dinorah“ ohne Szene zur Aufführung, diesmal mit Sabine Devieilhe.
Von der Komischen Oper ist bereits bekannt: Barrie Kosky ist gleich inflationäre drei Mal vertreten, hoffentlich macht der nicht allzu bald den Götz Friedrich und Harry Kupfer! Mit Anne Sofie von Otter holt er die One-Woman-Twenties-Show „Ich wollt’, ich wär ein Huhn“ nach. Es kommen zudem in seiner Regie „eine monumentale Oper“ unter der musikalischen Leitung von Vladimir Jurowski, der praktischerweise so gleich zweimal zu Hause arbeiten kann, sowie eine Operette, die seit 1933 das erste Mal wieder aufgeführt wird. Eine Verdi-Oper wird gegeben, die Uraufführung einer neuen Kinderoper über Jim Knopf sowie die weihnachtlich konzertante Paul-Abraham-Wiederentdeckung mit süd-ost-asiatischem Flair, „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“. Und der entbehrliche Andras Homoki wird Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ regielich betreuen. An der Opéra de Dijon hatte zudem eben die Fortsetzung von Koskys bisher eher glücklosem Rameau-Zyklus „Les Boréades“ Premiere. Diese Barock-Winde blasen dann wohl erst ab 2020/21 an der Behrenstraße.
Immerhin: eine bunte Berliner Opernsaison mit viel Rarem und Neuem – wie schon lange nicht mehr!
Der Beitrag Lustige Weiber, Menschenmord, Herzkammer, Antikrist, Huhn und ein Tanzhaus-Mädchen: Die Berliner Opernpläne 19/20 erschien zuerst auf Brugs Klassiker.