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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Tokio Springfestival I: Kirschblüte, Riccardo Muti, „Rigoletto“

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Tokio! Mal wieder! Ich habe längst aufgehört, zu zählen, wie oft. Das touristische Programm ist längst abgehakt, hier gilt’s nur noch dem Job und der Kunst. Und erstmals: den Kirschblüten. Sonst war ich meist später im Jahr da, aber diesmal muss und soll es sein. Das immer im März bis Anfang April abgehaltene Tokyo Spring Festival hat sich schließlich nicht nur zum 15. Geburtstag einen rosaroten Anstrich gegeben. Doch noch knurrt das Wetter ein wenig. Es ist kühl am Narita Airport, und auch die Bäume da draußen, 90 Minuten von der Millionenmetropole weg, sind noch festgeschlossen und ohne Grün. Das erste Pink ist, wie stets und verlässlich – Tokyo Disney Land. Doch schon in den Gärten der riesigen, ebenfalls wohlbekannten, von vielen Tourorchestern und Opernkompanien gern gebuchten Takanawa Hotels an der praktischen Shinagawa Station steht alles in vollster Blüte. So zart wie herrlich. Noch fülliger ist es im Ueno Park mit einer der Klassikhaupthallen der Stadt, der Bunka Kaikan sowie zahlreichen Tempeln und Museen. Hierhin bin ich nach kurzem Kofferabwurf sofort weitergefahren. Und auch die üppig ausschlagenden Bäume müssen noch etwas der näheren Betrachtung harren. Ich bin wegen einer der populärsten italienischen Opern den weiten Weg gekommen, noch dazu konzertant und nur in Auszügen, dafür besonders sorgfältig erklärt und geprobt. Denn der Weg ist das Ziel: Riccardo Muti ist samt Söhnen Domenico und Francesco sowie der obligatorischen Groupies einmal wieder nach Asien aufgebrochen, um seine sonst des Sommers in Ravenna abgehaltene Italian Opera Academy nach einer Korea-Visite erstmals in Japan stattfinden zu lassen. Beim Spring Festival ist er ein regelmäßiger Gast, auch hat er sein Orchestra Giovanile Luigi Cherubini bereits mit dem dortigen Festival Orchestra vereint im Namen seiner Roads of Friendship-Initiative in Tokio und Ravenna dirigiert. Jetzt wird sieben Tage lang mehrstündig am „Rigoletto“ gearbeitet, natürlich ist dem der obligatorische Erklärvortrag des Maestro (bei ihm darf man das noch mit vollem Recht sagen), vorausgegangen, bei dem der 77-jährige Schüler des Toscanini-Protegés Antonino Votto seine inzwischen leider fast einzigartigen Praxiserfahrungen weitergibt. Mit Kenntnis, klugen Tipps, Witz, Anekdoten und Generosität. Auf drei Jahre ist das Projekt eingetütet, „Macbeth“ und „Ballo in maschera“ werden folgen. Dieser Muti und sein Wissen, das ist ein ganz anderer, bei allem Arbeitsethos entspannter als der strenge Zuchtmeister als den man ihn vom Konzertpodium oder aus dem Operngraben heraus zu kennen glaubt.


Und in dem schönen, modernen, in Brauntönen gehaltenen Probensaal der Tokio University of Arts am Ueno Park ist die Atmosphäre herzlich entspannt. Ale sind in der Pause. Riccardo Muti, der aus Chicago gekommen ist, wo ihn ein bereits vierwöchiger Orchesterstreik beschäftigte, den er, ungewöhnlich für einen sonst sich dort neutral geben müssenden Chefdirigenten, auch öffentlich befürwortet, sitzt bei Espresso und Schokolade in seiner Garderobe. Er ist bester Laune, plaudert mit seiner einstigen Scala-Gilda, der ungarischen Sopranistin Andrea Rost. Toscanini-Biograf Harvey Sachs ist auch da, zudem eine wohlhabende Chinesin, einst Rote Armeetänzerin unter Mao, heute in San Diego lebend.

Die aus 130 Bewerbern und schließlich 12 Finalisten ausgewählten vier Dirigenten, mit denen er bereits seit drei Tagen gearbeitet hat, scheinen ihnen zufrieden zu stellen. Sie kommen aus Singapur, Korea, Japan und einer ist Deutsch-Amerikaner; zwei davon wurden an der Hanns-Eisler-Hochschule in Berlin ausgebildet. Wir starten mit dem zweiten Bild, dichtes, intensiv-atmosphärisches Vorspiel, Szene mit Sparafucile, Monolog des Rigoletto „Pari siamo“ und Duett Gilda-Herzog. Der Dirgierschüler aus Singapur steht am Pult. Der Saal ist dicht gefüllt, viele sitzen mit Partituren auf den Zuschauerstühlen, machen sich intensiv Anmerkungen, in einer Kabine murmeln zwei Übersetzer.

Muti sitzt hinter dem Dirigenten lässt es zunächst laufen, scheint aber nicht sehr zufrieden. Es spielen Musiker aus Tokios Profiorchestern, Höchstalter 40, bei den Streichern sitzen auch ein paar Studenten, die von den Erfahrungen des Italieners profitieren sollen. Der lamentiert mit komischer Emphase  über die zu starre Taktgebung, die zu wenig verbundenen Legati. Er will mehr Diminuendo, mehr Freiheit: „In den Schulen lernen sie zu viel. Das ist der Feind des Musizierens. Ich will keinen Zirkus, nur die Essenz.“

Schluss, für den Rigoletto-Monolog ist der Mann aus Seoul dran. Er hat einen ruhigen Stil, lässt dem gut klingen italienischen Bariton Francesco Landolfi aber zu viele Freiheiten. „Nicht so laut am Ende“, fährt Riccardo Muti dazwischen. „Das ist so vulgär. Dumme Sänger wollen so Aufmerksamkeit erregen, und das bisweilen noch dümmere Publikum glaubt, nur so bekommt es einen Orgasmus.“ Hier wird Tacheles geredet. Geht es um Verdi-Stilistik, dann ist ist er unerbittlich. „Und ich sage immer wieder, es geht hier auch um Freiheit, aber mit Niveau und Wissen. Verdi ist so einfach. Es kommt immer auf die die Beziehung zwischen Wort und Ton an. Er beherrscht dies meisterhaft, aber jeden Fehler hört man, jede Nachlässigkeit zerstört die Eleganz. Basta!“

Das Duett mit dem Herzog und Gilda kommt dran – und die japanische Taktstockkandidatin. Venera Protasova steht zum Singen auf, Giordano Lucà markiert zunächst, steigt dann aber voll ein. Muti lässt es erst einmal laufen. „Zu laut“, ist dann sein Kommentar. „Das sage ich seit 50 Jahren, aber keiner hört zu. Und weniger taktieren, atmen. Taktstriche sollten eigentlich gar nicht existieren. Mehr sforzato im Blech, aber mit Geschmack, 1851 hatte man ganz andere, leisere Instrumente. Sotto voce und ein feines Piano in den Bläsern bitte.“ Die setzten das flexibel um, jetzt lächelt er wieder. Dann gibt es noch einen Masturbationswitz, ein Textmissverständnis, worüber sie seit Jahrhunderten lachen.

Das war es für heute. Harvey Sachs übernimmt, erzählt ein wenig von Toscanini, liefert aber den Dirigierschülern vor allem diverse Filmausschnitte aus dessen späten Jahren, wo man immer sieht, wie sparsam dessen Gestik war. Wenig ist mehr – sagt auch Muti. Und gut ist. Für heute, der Langstreckenflug fordert seinen Tribut. Und die angestrahlten Kirschbäume leuchten jetzt wie ein Zauberwald.

Der Beitrag Tokio Springfestival I: Kirschblüte, Riccardo Muti, „Rigoletto“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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