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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Tokyo Spring Festival III: Posier-Kimonos und Riccardo Mutis fanatische Fan-Omis

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Heute geht es in die Bunka Kaikan, gleich zweimal. Denn es wird Ernst. Generalprobe und Aufführung stehen bei der ersten Academy of Italian Opera des Tokyo Spring Festival an, die Riccardo Muti diesmal dem von ihm länger nicht mehr dirigierten „Rigoletto“ gewidmet hat. „Ich wähle bewusst diese populären Werke, die kennt jeder, und da kann ich schnell deutlich machen, um was es mir geht“, sagt er während in seiner Garderobe der obligatorische Espresso köchelt. Und wenn er das Podium betritt, wird er allen spannungsvoll dort harrenden Mitwirkenden wie auch den Anwesenden in den hinteren Reihen sagen: „Ich komme immer wieder gern in diesen Saal. Er ist sehr gut, hat die Jahre bestens überstanden. Hier habe ich nämlich 1975 mit den Wiener Philharmonikern mein Japan-Debüt gegeben.“

Und seither ist er hier ein wirklicher Star. Der aber auch regelmäßig kommt. Erst im Januar war er mit dem Chicago Symphony Orchestra in der Bunka auf Station. Natürlich hängt Backstage das signierte Plakat. Das hat hier schöne Tradition. Jedes der prestigeträchtigen Opernhäuser, Ballettensembles und Orchester hat hier schon gastiert und sich mit einem Bild oder Plakat bei den Bühnenarbeitern verewigt. „La Forza del destino“, Teatro alla Scala 2005, prangt da in einem verschnörkelten Goldrahmen an einer Betonsäule. Und mittendrin die schwungvolle Muti-Signatur. Tempi passati.

Es sind nicht mehr so viele von den großen, alten Dirigenten übrig. Blomstedt drängt auch mit 92 unverdrossen voran. Der 90-jährige Haitink schwächelt ziemlich, beim 89-jährigen  Dohnanyi zeichnet sich das Karriereende ab; auch der bald 83-jährige Zubin Mehta ist gesundheitlich eingeschränkt. Marek Janowski (80) und Juri Temirkanov (81) sind keine globalen Stars. Dann ist man schon beim Siebziger-Dreigestirn Muti (77), Jansons (76) und Barenboim (76). Stolz erzählt Muti, dass sein diesjähriger Salzburg-Auftritt, wieder das Verdi-Requiem, wie vor sechs Jahren, als einziger dreimal gegeben wird und gleich ausverkauft war. Auch im Bunka-Backstage-Bereich liegen die „Rigoletto“-Flayer aus. Umgerechnet 200 Euro Spitzenticketpreis ist den Japanern Mutis „Rigoletto“ wert. Und es ist wirklich seiner, denn für das Festspielorchester und die ordentlichen Sänger, die sich dafür eine Woche bereitstellen, würde hier natürlich sonst niemand diese Summe ausgeben.

Die Generalprobe läuft gut durch. Der Tenor Giordano Lucà schon sich immer noch, der finstertönende Sparafucile Antonio di Matteo läuft sich basssatt warm, und auch die russische Gilda Venera Protasova lässt ihren dunkelgefärbten, breiten Sopran mit sehr guter Höhenagilität hören und ausschwingen. Muti lächelt, korrigiert wenig. Auch mit den sechs schnell noch einstudieren Summ-Stimmen für den Wind im dritten Akt ist er happy. Nach zwei Stunden ist alles vorbei. Nur das Erinnerungsfoto mit und für das Orchester muss noch geschossen werden.

Endlich Zeit für ein wenig Hanami. Ich lasse mich durch die berühmte Kirschblütengasse im Ueno-Park treiben. Hier herrscht Rushhour, aber wie stets in Japan, bestens organisiert. Picknickbereiche, übervoll frequentiert, sind ausgewiesen, alle paar Meter stehen temporäre Müllstationen. Die Menschenströme laufen geordnet in zwei Richtungen. Manche junge Frauen haben extra schrille, buntverzierte Posier-Kimonos an, die sie zu begehrten Fotoobjekten machen. Zwischen den Zweigen ragen die Selfiesticks, ältere Damen, die ebenfalls in dezenteren Kimonos vorbeitrippeln schütteln nur den Kopf. Und am Lotosteich mit den braunen Pflanzenresten vom letzten Jahr ist in der Imbissbudenreihe am Tempelchen inzwischen auch Bratwurst der Renner. Nur Tintenfisch ist ähnlich gefragt.

Abends sind die Bäume dann auch noch rosa oder blau angestrahlt, eine unwirkliche Pracht. Doch jetzt strömt es in den Bunka Kaikan. Am Eingang die obligatorischen Plastiksäcke mit den Klassikankündigungen der nächsten Monate. Dünn sieht es bei den früher so zahlreichen Operngastspielen aus, nur für zwei gibt es Prospekte: das Teatro Communale di Bologna und das Royal Opera House Covent Garden mit Antonio Pappano als Aushängeschild. Auch in Japan gibt es Satellitenübertragung, und so mancher fährt inzwischen lieber gleich selbst nach Italien oder London, so viel teurer ist das auch nicht.

Dieser „Rigoletto“ hat einen guten Lauf. Das Orchester, präzise, weich und doch knusprig im Klang, sehr differenziert in der Agogik und der Farbgebung, es ist zu bewundern. Oder das, was der effektive Riccardo Muti mit wenigen Proben und vielen Ratschlägen aus ihm gemacht hat. Auch die Sänger sind nicht schlecht. Nur der Tenor, jetzt versucht er endlich auszusingen, hat einen Frosch im Hals. Muti schickt ihn mittendrin zum Trinken hinter die Bühne, mit befeuchteter Kehle geht es besser. Aber wirklich gut ist es nicht. Hinterher beklagt sich Muti über den Betrieb, der die Sänger allein lässt, der sie verschleißt und dann wegschmeißt. Wo sind heute noch die Teams an wirklich guten Assistenten und Korrepetitoren, die Fehler erkennen und dagegen angehen können?

Dafür drehen auch die beiden Mezzos richtig auf, die jetzt rollengrecht als Maddalena eher freizügig gekleidete Daniela Pini, und selbst die Giovanna von Yumiko Kono mit ihren wenigen Einwürfen. Der Rigoletto von Francesco Landolfi hat kein erzenes Organ, aber er weiß zu gestalten und hat sich von Mut zu ein paar Subtilitäten verführen lassen. Venera Protasova singt jetzt eine so unschuldige wie verführerische, verzweifelte wie girrende Gilda, die könnte an jeder großen Bühne bestehen – wenn sie sich aus ihrem Opernhaus in Kasan wegbewegen würde. Und auch der Monterone Ippei Mochizuki, kleiner Körper für eine gewaltige Stimme, steht jetzt richtig, dass der Fluch auch an die Personen und nicht nur zum Publikum gerichtet ist.

Praxisschule italienische Oper, in Tokio hat sie fein funktioniert. Auch die vier jungen Dirigenten haben noch ihre schön verzierten Diplome vor dem vollen Saal bekommen.  Werden sie Mutis Anmerkungen irgendwo anwenden können? Sie sind alle Anfang dreißig, da müsste die Karriere eigentlich schon laufen. Riccardo Muti ist trotzdem zufrieden, sein Bemühen hat gefruchtet. „Ich hoffe, dass besonders die Musiker, die ja kaum Verdi-Erfahrung haben, die Saat weitertragen. Schließlich gibt es ja genug lokale Opernkompanien, in denen sie auch spielen werden“, fantasiert er hinterher beim obligatorischen Dinner in einem intimen, ganz der „Rigoletto“-Kerntruppe vorbehaltenen Grilllokal an der Ginza. Bei Fisch und Shrimps, Beef und Shitake-Pilzen, Spargel, Ginko-Frucht und Sake wird schon an den nächsten Akademie-Plänen gebastelt.

Vorher aber war noch Autogrammstunde in der Bunka aikan. Eine Dreiviertelstunde lang, die Schlange ringelte sich wie beim Flughafen-Sicherheitscheck durchs Foyer. Einer wimmert überglücklich, die meisten lächeln nur, wenn die Unterschrift auf CD-Büchlein, Platten und seinen Büchern prangt. Und dann, ganz zum Schluss, ist da noch das Trüppchen fanatischer, aber netter Omis, die ihr Muti-Fan-Bettlaken enthüllen und das Gruppenbild stellen; auch die Söhne und die Schwiegertochter müssen mit drauf. Muti lässt es über sich ergehen, und wir scherzen: „1975 haben die wohl als Le Sorelle di Riccardo gestartet, jetzt sind sie Le Nonne di Muti.“

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