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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Movimentos Nr. 17: neue Location, neuer Termin, reduziertes Angebot und ein paar alte Bekannte in Wolfsburg

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Ist man mit 17 schon flügge? Heute wohl ja. Nicht ganz freiwillig freilich legt das als Marke längst unabhängig vom Geldgeber VW Autostadt Wolfsburg gewordene Movimentos Festival neu los: mit reduziertem, auf das Wesentliche konzentrierte Konzept, mit einer anderen, extra gebauten Spielstätte, mit neuem, freilich nicht mehr so günstigem  Termin vom 19. Juli bis zum 25. August, aber auch mit ein paar alten Bewegungsbekannten am Mittellandkanal. Erstaunlich allerdings, aber das spricht eben für den Wert und die Nachhaltigkeit dieser kulturpolitischen Behübschungsmaßnahme, dass es überhaupt weitergeht. Diverse Skandale haben den Autokonzern erschüttert, in der Autostadt hat die Leitung komplett gewechselt. Das Kraftwerk steht nicht mehr zu Verfügung, weil hier wieder mit effizienten Gasturbinen Energie gewonnen wird. Und trotzdem zeigen wieder fünf Tanzkompanien aus Brasilien, Kanada, USA und Großbritannien in der Wolfsburger Autostadt ihr Können. Das wird sogar mottomäßig umwunden, man widme sich den Herausforderungen des kulturellen Erbes durch die aktuellen Zeitfragen, heißt es. Naja, wer tut das nicht?

„Hafen 1“ heißt die neue, für Events aller Art am Wolfsburger Hafen herhalten sollende „Multifunktionshalle“, die bereits auch intern für die nächsten 12 Monate ausgebucht ist. Zunächst freilich muss sie erst einmal fertig werden. „Das Festival wegfallen zu lassen, war angesichts der auch vom Publikum so kräftig nachgefragten Marke Movimentos keine Option”, behauptete Claudius Colsman, einer der neuen Autostadt-Geschäftsführer, bei der Programmpräsentation. Aber intern ist durchaus der Rotstift angesetzt worden und der Konzern hat die Autostadt stärker an sich gebunden. Während die Lesungen und das Musikprogramm mit Nachwuchsklassikstars gestrichen wurden, bleiben die bewährt fünf Tanzgastspiele mit internationalen Truppen erhalten, für die neuerlich Bernd Kauffmann, künstlerischer Leiter des Festivals von Anbeginn, verantwortlich zeichnet.

Fotos: Movimentos / Autostadt

Kaufmann selbst, dazu ist er viel zu sehr abgebrühter und auch (un-)wettergegerbter Kulturfunktionär, hat dem natürlich nur Positives abzugewinnen: „Ich kann nur meiner lauten und leisen Freude Ausdruck geben, dass Movimentos jetzt im neuen ,Hafen 1’ vor Anker gehen können. Hinzu kommt mein großer Dank an die Autostadt, dass sie im tiefgreifenden Zeitenschnitt, in der sich neue Konstrukte des Mobilen in Technik, Form und Ästhetik ankündigen, dem originären Kern der menschlichen Bewegung, dem Tanz, weiterhin Raum und Gewicht einräumt. Insofern empfinde ich die Entscheidung der Autostadt für eine ,neue Heimat’ der Movimentos auch als ein kulturpolitisches Ausrufezeichen und als geneigte Geste gegenüber dem Stammsitz des Unternehmens.“

Es gibt in der 17. Movimentos-Ausgabe neun Werke, darunter sieben deutsche Erstaufführungen plus eine Uraufführung zu sehen; drei der Kompanien sind alte Movimentos-Bekannte. Am wenigsten nur unterhaltend sein dürfte „Dog without Feathers“ der Brasilianerin Deborah Colker, das ihre Companhia de Danca vom 1. bis 4. August zeigt. Das Werk der Wolfsburger Wiederholungstäterin handelt auf Basis eines Gedichts des brasilianischen Lyrikers Joo Cabral von einem entlegenen Fluss in Brasilien und den Bewohnern dieser oft trocken fallenden Gegend, zusätzlich bedroht durch die Folgen des Klimawandels. Großflächige Videoeinspielungen zeichnen die Landschaften um den Fluss Capibaribe nach. Nach 2005 und 2009 ist die Companhia de Danca Deborah Colker zum dritten Mal hier zu erleben.

Aus Brasilien kommt auch zum zweiten Mal die Sao Paulo Dance Company, für die der berühmte Kanadier Edouard Lock ein brandaktuelles Stück über das Flammen aufgegangene Nationalmuseums in Rio de Janeiro erarbeiten wird. Diese Auftragsarbeit will sich dem zerstörten kulturellen Erbe Südamerikas widmen. „Das Museum hat die Kunstäußerungen des ganzen Kontinents gesammelt, die nun alle verbrannt sind“, so Kaufmann. Die Truppe zeigt vom 19. bis 21. Juli außerdem „Gnawa“ des in Berlin als Ballettdirektor durchgefallenen Nacho Duato und „Agora“ von Cassi Abranches.

Erstmals bei Movimentos zu Gast, zeigen BJM – Les Ballets Jazz de Montréal ab dem 24. Juli ihre Choreografie „Leonard Cohen / Dance Me“. Sie ist dem Dichter, Songwriter und Maler Leonard Cohen gewidmet und vereint die drei international renommierten Choreografen Andonis Foniadakis, Annabelle Lopez Ochoa und Ihsan Rustem. Inspiriert von Cohens vielfältigem Werk ist die Arbeit eine eindrucksvolle Hommage an den berühmten Sänger und Melancholiker.

Vom 8. bis zum 10. August ist nicht nur der erste Auftritt des L.A. Dance Project bei Movimentos, sondernd überhaupt in Deutschland zu erleben: Das Ensemble des Künstlerischen Leiters und Choreografen Benjamin Millepied zeigt drei seiner Stücke in Wolfsburg. „Homeward“ ist eine kurze, schnelle Arbeit zu einem Videokunstwerk des Künstlers James Buckhouse, die exemplarisch für die multimediale und interdisziplinäre Ausrichtung der Company steht. In „Orpheus Highway“, geht Millepied der tragischen Liebesgeschichte von Orpheus und Eurydike nach und verleiht der Eindringlichkeit des Geschehens durch den Einsatz von Filmsequenzen und Livemusik intensiven Ausdruck. Für „Bach Studies (Part 1)“ ließ sich Millepied von der Komplexität und Tiefe der Musik von Johann Sebastian Bach inspirieren und setzt die Kompositionstechniken des Kontrapunkts, der Fuge und des Kanons in eine hochemotionale, suggestive Choreografie um.

Der griechische Komponist, Klangkünstler und Oscarpreisträger Vangelis – einer der Pioniere der elektronischen Musik – ist vom 15.-17. August Subjekt und Objekt einer choreografischen Hommage des zum dritten Mal in Wolfsburg gastierenden Londoners Russell Maliphant. Für die Choreografie „The Thread“ (der Faden) haben sich beide zusammengetan, um dem traditionellen griechischen Tanz zu den Kompositionen von Vangelis in die Neuzeit zu überführen. Der antike Mythos des Ariadnefadens diente als Wegweiser durch die Weiten der tradierten griechischen Klangwelten. Dafür wurde eigens ein Ensemble aus 18 Tänzerinnen und Tänzern geschaffen, die teils in traditionellem griechischem Tanz, teils in westlichem zeitgenössischem Tanz ausgebildet sind. Diesem Ansatz folgend, hat Vangelis griechische Traditionals in raumfüllende elektronische Klänge transformiert.

Außerdem erarbeiten junge Tänzerinnen und Tänzer der Movimentos Akademie vier Choreografien für Wolfsburg, die am 24. Und 25. August gezeigt werden.

Und dann gab es natürlich – nachhaltiges Essen spielt bei Movimentos lange schon eine Rolle –  ein besonderes Brot für einen besonderen Anlass: Auf der Baustelle des „Hafen 1“ am Nordufer des Hafenbeckens wurde zum Richtfest gefeiert. Von den Bäckern der Autostadt Manufaktur „Das Brot.“ kredenzt. Schließlich ist es gute Tradition, zu einem Richtfest Brot und Salz mitzubringen, damit es im neuen Haus immer genug zu essen gibt. Das kastenförmige Sauerteigbrot mit kräftigem Aroma wog 500 Gramm und bestand aus Roggen- und Dinkelmehl in Bio-Qualität. Zum besonderen Hingucker wurde das Brot durch den Mehl-Schriftzug „Hafen 1“.

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