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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Er ist wieder da: Benjamin Bernheim wird für seinen Des Grieux in Bordeaux als der nächste französische Traumtenor gefeiert

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Die Konkurrenz just in diesem Premierenaugenblick war groß: In Zürich stand Piotr Beczała in einer „Manon“-Premiere auf der Bühne und im Pariser Théâtre des Champs-Élysées sang gleichzeitig Juan Diego Flórez erstmals konzertant die Partie, bevor er den des Grieux Anfang Juni an der Wiener Staatsoper erstmals szenisch ausprobieren wird. Und im klassizistisch-eleganten, blaugoldenen Grand Théâtre de Bordeaux war nun auch Benjamin Bernheim als Novize in doppelter Hinsicht zu erleben: als Massenets schwärmerischer Student, der sich in die junge, aber leider verführerische Manon verliebt und verliert, bis schließlich alles perdu ist – Geld, Manon und er selbst; und als souveräner Eroberer eben einer der zentralen Rollen des französischen Repertoires, mit Bedacht, aber vokaler wie darstellerischer Souveränität. Voilà un artiste! Und nicht nur die französischen Medien sind des Lobes voll. Was gut passt, wurde doch zeitgleich verkündet, dass die Deutsche Grammophon Bernheim verpflichtet hat. Im November soll das erste Album mit italienischen, russischen und französischen Arien erscheinen. Vorher noch kommt bei Aparté sein hinreißender Gounod-Faust heraus, den der Tenor mit perfekt verblendeter Voix mixte im letzten Juni unter Christophe Rousset und seinen Talens lyriques beim Bru-Zane-Gounod-Festival in Paris konzertant gesungen hat.

Endlich also ein französischer Nachfolger für den längst schon in den Herbst seines Tenorlebens eingetretenen Roberto Alagna; welcher gleichwohl von seinen jugendlichen Rollen wie Nemorino und Rodolfo nicht lassen mag, obwohl er längst schon beim Samson, Manrico, Cid, Otello, Éléazar und Calaf angekommen ist. Kleiner Schönheitsfehler: der bald 56-jährige Alagna ist italienischstämmig und der 33-jährige Bernheim ist Schweizer, in Genf, Lausanne und Zürich ausgebildet und sängerisch erste Schritte machend. Und es schadet sicher nix, dass sein Großvater im Aufsichtsrat von Rolex saß (wo er inzwischen auch als Marken-Testimonial fungiert) und seine sehr kultivierte, zeitweise als Ersatzmama fungierende Großmutter in eigentlich jeder prestigeträchtigen Opernpremiere anzutreffen ist.

Fotos: Eric Bouloumié

In Bordeaux gib man Olivier Pys Genfer „Manon“-Inszenierung aus dem Jahr 2016. Wieder eine typische Tits & Cocks-Produktion des allmählich sich mit seiner Masche auslaugenden Regisseurs, der immerhin für fünf Probentage vorbeigeschaut hat bevor die Inszenierung im mai an die Pariser Opéra Comique weiterzieht. Aber mit ein paar überraschenden Wendungen. Natürlich sieht der Manon als noch gar nicht geborene Lulu, ein Chamäleon, „das schöne, wilde Tier“ – „geschaffen, Unheil anzustiften“. Das tut sie von Anfang an in einem puffigen Redlight-Ambiente der zeitlos modernen Art, dort sind die dauernd busenwackelnden Girls wie die bisweilen das Gemächt schlenkernden Boys sehr beautiful im gnädigen Glitzerlicht der verregneten Großstadt-Halbwelt. Und die bourgeoisen Spießer begaffen sie von außen. Pierre-André Weitz hat wieder eine seiner schwarz-raffinierten, feucht glimmenden Häuserlabyrinthschluchten gebaut.

Die verschiebt und öffnet sich auch auf engstem Bühnenraum höchst virtuos zu gut 30 Szenenwechseln mit immer neuen Zimmern, Cabarets, Revuetreppen und künstlichen Palmenparadiesen für ein paar Momente nicht wirklich unschuldsvoller Zweisamkeit. Am Ende formt sich nach deren Tod aus dem Sternenhimmel das jetzt reinweiße Lichtersymbol zum Namen „Manon“: Epiphanie einer zumindest zweifelhaften Heldin. Und des Grieux schlupft einfach unter dem schwarzen Tuch ins Hinterbühnen-Nirwana davon. Bis dahin freilich ging’s bergab, obwohl das Ambiente von Anfang an dem Spielerparadies Hôtel Transylvanie des vierten Aktes ähnelte. Immer schäbiger wurde das, irgendwann sind sogar  die Leuchtreklamen weg, und selbst für das Kircheninnere von Saint Sulpice muss ein simples Kruzifix herhalten.

Jules Massenets frivol puderiges, dabei so kraftvoll melodisches Meisterwerk von 1884 über ein gefallenes Material Girl glänzt traumschön wie immer in den Händen von Opernchef Marc Minkowski. Diese Musik aus Eleganz und Raffinement, Üppigkeit und sinnlicher Delikatesse, theatralischer Intensität, harmonischem Reichtum, Effektivität und Knappheit hat den sprichwörtlichen französischen Chic und Charme. Diese zärtlich-verdorbene „Manon“ wurde trotz ihres altmodisch anmutenden Koloraturwerkes und ihres sentimentalen Seiten nie von ihrer jüngeren, veristisch radikaleren Puccini-Schwester (von 1893) verdrängt.

 Besonders gut gelingt Minkowski die kontrastierende Zeichnung der betriebsam-realitätsnahen und der innig-traumhaften Szenen der Oper. Auch wenn er da seinen Massenet mehr in Richtung Puccini rückt. Mit prallen Farben, hohem Tempo, auslandender Dynamik und bewusst eingesetzten Härten. Das bestens bewährte Orchestre National Bordeaux Aquitaine ist ihm flexibler Partner.

Ausgewogen ist die Besetzung mit ihren vielen episodischen Rollen. Für Manons berechnend bösen Cousin Lescaut hat Alexandre Duhamel einen herrischen, überlauten  Kavaliersbariton, Laurent Alvaro lädt die Auftritte des Vaters des Grieux mit belcantesker Basswucht auf.

Manon, das sollte Nadine Sierra sein, die in dieser Vorstellung aber krank ist. Die ambitiös schnittige Amerikanerin hätte diese kaltherzig-intelligente, von Patricia Petibon kreierte Inszenierung sicher gut ausgefüllt, slicky, mit kühl-glamouröser Sexyness und strahlendem, ein wenig stählernen Ton. Jetzt aber singt die Zweitbesetzung, die gerade auch die Matineevorstellung am Tag zuvor bestritten hat: die in Neuseeland aufgewachsene Ägypterin Amina Edris, von Minkowski gefördert. Und die hat Wärme, Weiblichkeit, schmiegt sich schmusemuschimäßig im Negligée an ihren petite table. Da stirbt ein Mädchen mit zarten gewandten Tönen auch einfach an den Verhältnissen und sich verhauchend als femme fragile. Manon ist bei Amina Edris keine femme fatale, eher der fatalité, dem Schicksal ausgeliefert, wohinein sie freilich des Grieux hineinzieht.

Dieser zu Anfang als epische Ausrutscher Kant zitierende des Grieux wirkt ins einem grauen Anzug aufrichtig unbeholfen. Trotzdem präzise und genau ist jetzt schon seine Diktion, er phrasiert traumschön, hat Kraft, singt herrlich auf dem Atem. Benjamin Bernheim gelingt so ein rares Kunststück: Er singt die kräftezehrende Partie einerseits mit einer ätherisch leichten, typisch französischen voix mixte, also mit hohen Kopfstimmenanteilen. Doch er kann seinen perfekt durchgebildeten Tenor auch in italienischer Manier strecken, mit vor Leidenschaft berstenden, körperlich geerdeten und doch hochfliegend sichereren und freien Spitzentönen. Da macht sich dann Temperament los, der Tenortiger springt aus dem Tank. Wunderfein anzuhören, zumal Bernheim sorgfältig jedes Wort abwägt, mustergültig Text gestaltet, in den Musikfluss bringt.

Doch wie stets liefern in der Kirchenszene alle ihr Meisterstück. Massenet mit seinem zuckerwattig erotisierenden Glaubenskitsch samt Orgel und Nonnenchor. Bernheim als in der Priesterschaft sein Heil vor der Verführerin suchender, ihrem sinnlich zuckenden Fleisch natürlich erliegender, mit schönsten, rot glühenden Tenortönen vergeblich widerstehender des Grieux. Auch ein osmotischer Duopartner für Amina Edris, die hier wahrlich die Soprankatze auf dem heißen Operndach herauslässt. Da schmölze, falls vorhanden, selbst das schmiedeeiserne Chorgitter zwischen diesem ächzend und stöhnend außer sich geratenden Paar.

Wie geht es mit Benjamin Bernheim weiter? Da sind noch einige Rodolfos, Nemorinos und Alfredos, mit denen er in den letzten zwei Jahren von Paris über London, Berlin, Mailand und Wien an den großen Häusern debütiert hat. Alexander Pereira hatte ihn früh aus Zürich für kleinere Aufgaben mit nach Salzburg genommen, Minkowski hat ihn als Offenbachs Pequillo zu Pfingsten zurückgeholt. Ursprünglich war er auf Tamino (für den er eben selbst im strengen Wien gefeiert wurde), Erik, Matteo, Lenski, sogar schon Lohengrin gebucht. Der kann noch warten, wird aber sicher eine Option sein Jetzt sollen es zunächst einmal Italiener und Franzosen sein, wovon letztere wünschenswerter wären. Denn im französischen Fach ist Bernheim wirklich überragend. Es folgen aber in der nächsten Saison zunächst eine „Traviata“ und eine „Manon“-Premiere in Paris, das Herzog-Debüt im Münchner „Rigoletto“ Man kann sich aber jetzt schon auf Roméo, Werther, Hoffmann à la Bernheim freuen.

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