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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Bogota Música Clásica Festival I: Gold im Museum und Gold von Schubert, Brahms und den Schumanns auf der Bühne

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Kolumbien? Kultur? Klassik? Da fällt mir zunächst außer Präkolumbianischem nicht viel ein. Und dann doch. Der Dirigent Andrés Orozco-Estrada kommt aus Medellín. Der studierte freilich seit er 20 war in Wien. Aber er hat doch da noch immer was mit Jugendorchestern laufen. Und waren nicht die Wiener Philharmoniker kürzlich in Bogotá? Dann gab es noch diese Einladung auf Tourneemitfahrt mit dem Deutschen Symphonie-Orchester vor einigen Jahren zu einem neuen Klassikfestival. Die wurde aber, wie auch die Tour, wieder gecanelt, der Veranstalter hatte nicht genug Geld. Und jetzt die neuerliche Anfrage: Festival Internacional de Música Clásica de Bogotá, in der Karwoche. Zum vierten Mal findet es statt. Dreieinhalb vollgepackte Tage, ganz der deutschen romantischen Musik gewidmet. „Bogotá es Brahms, Schubert, Schumann“. Beide sogar, auch Clara, dieses Jahr 200. Geburtstag feiernd, kommt ausführlich vor. Die Kodirektorin Yalilé Cardona lebt in Wien und erklärt: Es ist ein wenig wie die Folle Journée in Nantes, viele Konzerte zu einem Thema an einem Tag.“ Viel Begeisterung also, Musik als Masse, aber wer möchte bekommt auch ungeahnt viel mit und geboten. Bogotá war schon Beethoven, Mozart und russische Romantik. Jetzt sind wieder die Deutschen dran. Also, warum nicht? Mindestens schließt sich ein weiterer weißer Fleck auf meiner Weltmusikkarte.

Weit, weg ist. Sehr weit. Das merkt man immer dann, wenn die Monitorkarte vor dem Flugzeugsitz nur offenes Meer anzeigt. Lange Strecken über Festland zählen irgendwie nicht. Unten schweben Wolkenfetzen, die glitzernden Wellen sehen von hier oben sehr friedlich aus. Reine Poesie. Für Bogotá allein hätte sich der Trip freilich nicht gelohnt. Hier lebt zwar ein Sechstel des 49-Millionen-Volkes im zweitbevölkerungsreichsten südamerikanischen Staat nach Brasilien. Aber die neun Millionen habe sich in gerade in den letzten Jahrzehnten sehr unordentlich über dieses 2600 Meter zählenden Andenhochtal ergossen. Das sieht man vom Kloster Montserrate aus, auf den eine bequeme und entsprechend vielfrequentierte Zahnradbahn fährt.

Ein unendlicher Häuserteppich, mit Grün dazwischen, denn sehr oft regnet es. Die Jahreszeiten machen kaum einen Unterschied.

Viele Hochhäuser, wenig schön, in der nicht sehr gepflegten Stadtmitte. Das fantastische Goldmuseum, vor dem sie Riesenarscharmeisen als Aphrodisiakum verkaufen und mit hier gar nicht heimischen Lamas zum Reiten locken. Das von ihm mit einer Sammlung als Schenkung ausgestattete Botero-Museum, sehr reinlich und schön hergerichtet, in einem prächtigen Kolonialpalast mit modernen Anbauten. Mein Fall sind die gefälligen Dicken nicht, aber er hat eine überraschend gute Sammlung mit Werken anderen Künstlern dazugegeben.

Gegenüber liegt lethargisch die Nationalbibliothek in rostigem DDR-Charme, es gibt quirlige Lokale mit üppig-rustikaler Kost in alten Villen. An der Placa de Bolívar stehen sich das geballte Katholikentum in Barock, als bruitistisches Bollwerk der erst in den Achtzigern zuletzt bei einer Revolte zerstörte Justizpalast, das von einem Franzosen leicht mit Jugendstil überhauchte Rathaus und das Parlament im neoklassizistischen Kapitol gegenüber. Es gibt goldüberladene Kirchen und eine öde Kathedrale, in der die unbefleckte Empfängnis eben restauriert wird.

Und dann gehen schon die ersten Konzerte los. Hauptspielort und Veranstalter des Musikfestes in das Teatro Mayor das im Norden liegt, wo die Reichen wohnen. Die wollten nicht immer so weit zu den im alten Zentrum platzierten Vergnügungsstätten, also kam man ihnen entgegen. Vor neun Jahren. Viel Beton und Klinker, ein praktischer, nüchterner Zweckbau. Aber mit Möglichkeiten. Es gibt eine riesige öffentliche Bibliothek und eine weiträumige Kinderabteilung, behinderte Jugendliche sind in eine eigene Veranstaltungsreihe eingebunden. Das von einer Frau gemanagte Orquesta Filarmonica de Bogotá spielt einmal die Woche, fast das ganze Jahr über. In den Fluren hinter dem Bühneneingang hängen wie überall die unterschriebene Plakate von denen, die schon alle da waren: Gergiev, Nagano, Mehta, Fleming, Barenboim, Mattila, das Leipziger Ballett, das aus Monte Carlo, die Hamburger Oper – und in zwei Wochen kommt Simon Rattle mit seinem London Symphony Orchestra. Das Südamerika-Geschäft mit der Klassik läuft als wieder ganz ordentlich nach der Wirtschaftsdelle in Argentinien. Kolumbien ist im Kommen, mal sehen, was mit Brasilien wird.  

Festivalplakate sieht man an vielen Bushaltestellen, in den Kinos und im Fernsehen wird mit Romantikspots geworben. In Pastelltönen präsentieren sich die Silhouetten der Fab Romantic Four, gemeinsam und auch einzeln. Clara hat weiße Gesichtsfarbe, die anderen sind ein wenig gelblich angelaufen. Im jetzt gut gefüllten Foyer steht das Bogotá-Logo mit dem Star – 2600 Meter näher an den Sternen. Daneben kleben und liegen als Pforten, Puppentheater, Banderolen, Stelen die deutschen Komponisten.

Es beginnt – ganz intim und innerlich. Mit dem Liederkreis nach Eichendorff von Robert Schumann im kleinen Saal. Begrüßung, Dank an die Sponsoren, die Ermahnung, zwischendurch nicht zu klatschen. Im geradlinig holzwärmenden Teatro Estudio mit seinen 300 Sitzen ist es still und konzentriert, kein Husten, kein Handy. Und wenn im dritten Lied der in der Höhe etwas dünn gewordene, gleichwohl prima textverständliche und souverän deutende Christoph Prégardien mit seinem formidablen Klavierpartner Roger Vignoles von „der Hexe Lorelei“ singt, dann ist das wieder so ein Moment, wo man als Deutscher einfach angerührt sein muss, wie hier die Kolumbianer der deutschen Kunst förmlich an den Lippen hängen. Tausende Kilometer und soziale Welten vom Rhein entfernt. Doch der zarte Zauber dieser Musik, wie nach der Pause auch der der „Dichterliebe“, er hält alle gefangen. Mögen die deutschen Musikspiele beginnen! Vielleicht ist hinterher Bogotá wirklich ein bisschen Clara, Robert, Johannes und – als österreichischer Vetter – Franzl.

50 Konzerte, 12 davon gratis, an 12 Standorten vom Konzertsaal über Museum, Kirche, Stadtteilcenter, Bibliothek in ganz Bogotá verteilt, wurden in die drei Tage geschaufelt. Drei Orchester, eines auf alten Instrumenten spielend, kommen aus Europa und treffen auf vier lokale Klangkörper. Dazu kommen fünf Chöre, einer aus Wien. Sieben Dirigenten, 33 Solisten, vier Quartette, ein Trio und ein Ensemble haben sich, die meisten zum ersten Mal, aus 15 Ländern nach Kolumbien aufgemacht. Das erste große Konzert aber ist dem Hausensemble, dem Orquesta Filarmonica de Bogotá, vorbehalten. Der vorwiegend in den USA arbeitende deutsche Dirigent Eckart Preu gibt sein Debüt mit Schuberts Rosamunde-Ouvertüre, die zunächst ein wenig wie auf ausgelatschten Socken daher schlurft, aber schnell an Fahrt gewinnt.

Ordentlich wird Brahms 4. Sinfonie absolviert, die Hörner klingen mulmig, alles wirkt watteweich abgefedert. Dafür spielte zuvor die reif gewordene Lise de la Salle ihre Calling Card – das Schumann-Klavierkonzert – mit Verve und rhythmischer Pikanz. Und gibt, glitzerig armefrei, ein zärtlich ausgekostetes Schubert-Ständchen zu. Das Publikum liebt offenbar auch hier den Klatschmarsch.

Im Hotel, in jedem Theaternebenraum wird geübt, bei dem Mammutprogramm zählt jede Probenmöglichkeit und Minute. Auf sechs Konzerte komme ich am ersten Komplett-Festivaltag. Draußen hat es sich kräftig eingeregnet, Wasser spritzt und steht auf den Straßen, derer man – die Entfernungen zwischen allem sind lang – viele sieht. Witzige Viertel mit einer eklektischen Häusermischung zwischen orientalisch, spanisch und Tudor ziehen vorbei, schrille Kirchen, auch eine Moschee, viele Backsteinbauten, betonverschlungene Autobahnkreuze. Alles bröckelt, es herrscht würdevolle Tristesse, aber ein paar feine Viertel sind auch darunter.

tEs beginnt frühmorgens mit einer halben Stunde Trio Alba. Die ausgezeichneten Österreicher vertiefen sich Schuberts sehnsuchtsvolles 2. Klaviertrio B-Dur. Nach zwei Sätzen muss geschieden werden, im großen Saal lockt das Dresdner Festspielorchester, erstmals auf Auslandstour, unter Josep Caballé-Domenech. Der Ex-Hallenser GMD zwirbelt sie durch eine rasch, harsch, und knapp genommene Schumann-Zweite, das es knallt und knistert. Das auf alten Instrumenten spielende Projektorchester legt einen schnittigen Lauf hin. Und wieder kommt Rührung auf, wenn sich ein kolumbianischer Universitätschor, umschmeichelt von Brahmschen Streicherläufen an Schillers „Nänie“ und dem „Schicksalslied“ formvollendet die Latinozungen bricht. „Auch das Schöne muss sterben! Das Menschen und Götter bezwinget, / Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.“ Und solches in Bogotá!

Ab ins Auto, das Nationalmuseum wartet. Zum Glück sind die Straßen leer, über Ostern ist offenbar halb Bogotá, Stadt der Migranten, nach Hause oder aufs Land gefahren. Das Museum war früher ein Gefängnis, interessant, wie die relativ neue Dauerpräsentation in die kreuzförmig angeordneten Zellen und Gänge geschachtelt wurde. Der Konzertsaal hat rustikalen Charme, im Gegensatz zu den Frühkonzerten im Teatro Mayor ist er voll, auch hier behält das Publikum am liebsten die Jacken an, denn ein wenig klamm ist es. Doch das großartig harmonierende französische Quatuor Modigliani macht warm und heizt ein, mit einem musikalisch glanzvoll synchronen Schubert-Quartettsatz, dem tiefsinnigen 3. Brahms—Quartett B-Dur op. 67 und dem treffsicher und großflächig ausgebreiteten 3. Schumann-Vierer A-Dur op. 41 mit seinem tiefsinnig-dichten Adagio molto.

Schnell zurück zum Theater, kaum bleibt Zeit zum Essen, der Krabbencocktail mit scharfer Sauce an einem der Foyerstände des Theaters erweist sich als gut gewählt. Eine halbe Stunde mit dem Fusión Filarmónica Juvenil, OFB, der Best of der vier Jugendklangkörper, die das philharmonische Orchester auch noch mitbetreibt, zu den 20.000 Schülern, das es mit seiner dezentralen Jugendarbeit erreicht. Und die juvenile Best of gewinnt auch spielend den Hauptpreis für das bestangezogene Festivalorchester. Die Abendkleider der zahlreichen Damen sind eine Augenweide, so wie sich auch die griechische Dirigentin Zoe Zeniodi vor allem optisch gut verkauft.  Die Schumann-Erste als Hochzeitsgeschenk-Hommage an Clara lassen wir so durchgehen, repertoirewertvoller war die seltene Begegnung mit Claras Klavierkonzert op. 7. Und wieder veredelt eine kraftvoll symbolisch zubeißende Lise de la Salle (heute einärmelig weiß) die einfach gestrickte Virtuosen-Façon der damals 13-Jährigen. Und das auf einem plötzlich verstimmten, heftig klappernden Flügel.

Im kleinen Saal hat gleichzeitig bereits der Wiener Volksopern-Bariton Günter Haumer, im wahren Leben Ehemann von Direktorin Yalilé Cardona und auf der Bühne gerade noch Thielemanns Salzburger Konrad Nachtigall, bereits mit der „Winterreise“ begonnen. Die Textverständlichkeit könnte besser sein, aber die Stimme strömt besonders in den langsamen der 24 „schauerlichen“ Lieder ebenmäßig edel, die Interpretation ist angenehm geradlinig und schlicht, verliert sich nicht in Manierismen. Und wieder ist Roger Vignoles ein zurückhaltend subtiler Mitgestalter.

Noch einmal großer Saal und große Geste im 1300-Plätze-Auditorium mit seinen zwei rohen Betonrängen und den atmosphärisch leuchtenden Holzkästen im Konzertzimmer auf der Bühne. Die Akustik ist etwas trocken, der Amerikaner Robert Treviño setzt dem bereits in Schumanns Genoveva-Ouvertüre robuste Lautstärke entgegen. Das Antwerpener Sinfonieorchester kontert solches professionell. So wie es auch das Brahms-Violinkonzert mit prächtigem Klangrahmen anfüttert. Vor dem Ray Chen golden leuchtet. Der allzu smarte, in Australien aufgewachsen Taiwanese kommt nicht mehr ganz so glattgebügelt daher, wie noch vor einigen Jahren. Er spielt mit strahlend sicherem Ton, sucht durchaus Zwischentöne, ein leise nachhängendes Verharren im Adagio, aber die angeborene Brillanz des Werkes lässt ihn dann doch hin und wieder in den Honigtopf des Wiener Caféhausgeigers greifen. Ein angemessener Tagesabschluss, die Zweite-Brahms lasse ich aus, die wäre jetzt wie zu viel Sahne auf dem Eisbecher; zumal Chen (wie schon vor ihm de la Salle mit Bach) in der Zugabe den vorgeschriebenen Komponistenkanon verlässt. Als Hommage an Australien schmalzt er „Walzing Matilda“!

Der Beitrag Bogota Música Clásica Festival I: Gold im Museum und Gold von Schubert, Brahms und den Schumanns auf der Bühne erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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